Menschenrechtsbericht des Förderverein Roma e. V.


In unserer täglichen Arbeit werden wir zum Teil mit eklatanten Menschenrechtsverletzungen gegenüber Roma konfrontiert. Nach unserer Beobachtung ist davon auszugehen, daß diese Menschenrechtsverletzungen in kausalem Zusammenhang mit der ethnischen Herkunft sowie der sozialen, politischen und ökonomischen Situation der Betroffenen steht. Die aufgeführten Punkte sind auf strukturelle Mängel und generelle Einstellungen zurückzuführen und gehen daher über den Charakter von Einzelfällen hinaus.

o Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung aus den Reihen der Roma bleiben zum Teil bis heute bei Entschädigungsverfahren unberücksichtigt, weil entweder die damals zu Unrecht entzogene deutsche Staatsbürgerschaft den Betroffenen und deren Kindeskindern nach dem Krieg nicht mehr verliehen wurde oder weil die KZ-Inhaftierung nicht auf die rassische Verfolgung in der NS-Zeit, sondern auf kriminelles Verhalten zurückgeführt wird. Eine spätere Beweisführung fällt insofern schwer, als die Verantwortlichen im Nationalsozialismus entsprechende Papiere bezüglich der Staatsangehörigkeit oder der KZ-Haft vernichteten und nach 1945 die für die Verfolgung und Vernichtung verantwortlichen Personen auch weiterhin in den Staatsdienst übernommen wurden und an den Entschädigungsanträgen der Roma und Sinti in negativer Weise beteiligt waren.

o Nach Dokumentation des Rom e. V. Köln und des Roma-National-Congress Hamburg kommt es immer wieder zu Übergriffen und Mißhandlungen von Roma-Angehörigen im Polizeigewahrsam. Allein in Frankfurt am Main dokumentierte die Roma Union vier Fälle, in denen Betroffene über entsprechende Diskriminierungen und Mißhandlungen (Prügel, Vorenthaltung der persönlichen Rechte, mangelhafte oder keine Übersetzung) berichten (Böttcher, Pohl, Pawlowska, Lakatosz). In Köln sind Roma-Frauen Zwangsuntersuchungen unterzogen und mißhandelt worden. In Hamburg wurde der Vorsitzende des Roma-National-Congress sowie dessen Familie von der Polizei überfallen und mißhandelt. Dienstaufsichtsbeschwerden blieben ohne Erfolg.

o In Asylverfahren oder Gerichtsverfahren bleibt nach wie vor die Übersetzung in Romanes, der Muttersprache der Roma, weitgehend unberücksichtigt. Statt dessen wird in der Sprache des Herkunftslandes, das gleichzeitig in vielen Fällen auch das Verfolgerland ist, übersetzt. Den betroffenen Roma entstehen bereits im Vorfeld durch Ungleichbehandlung und den Entzug der Ausdrucks- und Erklärungsmöglichkeit in der eigenen Sprache so erhebliche Nachteile, daß ein faires Verfahren nicht mehr gewährleistet ist. 

o In Nachbarschaftskonflikten werden Roma als Sündenböcke stigmatisiert und ins Zentrum der Auseinandersetzung gerückt, ohne daß im Vorfeld Konflikte eingehend, vorurteilsfrei und ohne Klischee untersucht werden und eine Prävention unter Gleichbehandlung aller Involvierten angestrebt wird. Im Rahmen der verschiedener Vermittlungstätigkeiten wurden bereits Morddrohungen mit rassistischen Motiven gegenüber den betroffenen Familien ausgesprochen.

o In vielen Staaten der BRD, so auch in Frankfurt am Main, stehen keine Plätze für durchreisende Roma zur Verfügung. Der Aufenthalt auf privaten Campingplätzen wird in der Regel untersagt. Die betroffenen Familien sind so gezwungen ohne Versorgung mit Wasser oder Elektrizität illegal zu campieren. Das hat zur Folge, daß sie vermehrt zur Zielscheibe von Angriffen werden und/oder innerhalb kürzester Zeit von der Polizei verjagt werden.

o Vor Pogromen, Diskriminierung, Mord, Mißhandlungen und rassistischer Verfolgung vor allem aus Osteuropa geflüchtete Roma werden im Asylverfahren innerhalb der BRD nicht berücksichtigt, da eine Gruppenverfolgung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit nicht anerkannt wird. Trotz eindeutiger Belege seitens international anerkannter Menschenrechtsorganisationen (helsinki watch, Gesellschaft für bedrohte Völker, ai) werden Roma-Angehörige in die Herkunftsländer abgeschoben.

o Die Ausweisung wird durch die seit 1992 abgeschlossenen Rückübernahmeverträge zwischen der BRD und den östlichen Anrainerstaaten (Polen, Rumänien, Tschechien ...) erheblich erleichtert. Entsprechende Zahlungen an die Länder und die Konstruktion von Reintegrationsprogrammen flossen, wenn überhaupt, nur zu einem verschwindenden Teil an die Roma (Mazedonien). Die beabsichtigte Integration trat in keinem Falle ein, da die Roma bereits vor der Flucht in den entsprechenden Ländern nicht integriert waren. In erster Linie werden mit diesen Geldern die Grenzanlagen technisch und personell aufgerüstet.

o Die BRD hat seit der Wiedervereinigung selber enorme Gelder in die Modernisierung der Grenze nach Osten investiert. Nach Informationen des Roma-National-Congresses und nach Aussagen von Betroffenen, die von der R.U.F. betreut werden, sind bisher etwa 70.000 Roma an der Grenze abgewiesen worden und über 30 Personen kamen während der Flucht zu Tode. 

o Notgedrungen haben viele Betroffene nach dem erfolglosen Asylantrag die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft des Herkunftslandes beantragt, um zumindest der Ausweisung entgegenzutreten. Die Ausländerbehörden erteilen allerdings nur ungenügend gesicherte Aufenthaltstitel (Duldung, Befugnis) bzw. lediglich eine Grenzübertrittsbescheinigung, sodaß weder eine Arbeit zu finden ist, noch einem Gewerbe nachgegangen werden kann. Durch die gesetzliche Regelung des erschwerten Zugangs für eine Aufenthaltserlaubnis entfällt für die Betroffenen zusätzlich die Unterstützungsberechtigung durch Kindergeld.

o Anhand der einschlägigen Rechtsprechung lehnt das Sozialamt gegenüber staatenlosen Roma nach dem Bundessozialhilfegesetz und der Sozialgesetzgebung vermehrt die Auszahlung von Hilfe zum Lebensunterhalt mit der Begründung ab:
- daß jenseits der Fluchtursachen das Hoheitsgebiet der BRD nur betreten worden sei, um Sozialhilfe zu erhalten,
- daß, aufgrund der notdürftigen Unterstützung von staatenlosen Roma durch die Großfamilie oder die Roma-Gemeinde, offensichtlich kein Bedarf für Sozialhilfe vorläge, da für das eigene Auskommen genügend gesorgt werden könne und 
- daß der Kooperationspflicht mit den Behörden nicht nachgekommen werde. 

Zu dieser Argumentation bleibt festzustellen, daß die Betroffenen in der Regel weder schriftlich noch mündlich der deutschen Sprache so mächtig sind, daß sie den Schriftverkehr bzw. die gesetzlichen Grundlagen verstehen können. Die Sozialämter nutzen den Entzug der Unterstützung, um betroffene Roma aufzufordern, ihre Repatriierung wieder zu betreiben und damit die Voraussetzung für die spätere Ausweisung zu schaffen. Diese Aufforderung wird mit der unverbindlichen Erklärung versehen, daß bei einer erneuten Beantragung der früheren Staatsbürgerschaft wieder Sozialhilfe gezahlt würde.

o Aus den o. g. Ablehnungen bleibt vielen Familien alleine der Weg über Bettelei für die eigene Existenz zu sorgen. Eine Entwicklung in die Illegalität wird durch das Ausbleiben öffentlicher Unterstützung gefördert. Besonders gravierend macht sich dieser Armutszustand unter dem Existenzminimum und die Obdachlosigkeit bei Säuglingen und Kleinkindern sowie kranken Menschen bemerkbar, für die weder Versorgung, noch Unterkunft, noch Ausbildung, noch gesundheitliche Pflege auch nur annähernd gewährleistet sind. 

o Die Bundesregierung hat erst Anfang Mai d. J. deutsche Roma und Sinti als ethnische Minderheit anerkannt. Eine europäische Akte zum Schutz von Roma und Sinti wurde ebenfalls erst zu diesem Zeitpunkt unterzeichnet. 
Es bleibt festzustellen, daß die schulische Entwicklung vieler Roma-Kinder negativ von dem Unwissen, dem mangelnden Verständnis und dem mangelnden Einfühlungsvermögen seitens vieler Lehrer gegenüber den sozialen und kulturellen Hintergründen der Roma geprägt ist. Ebenso wie in der Gesamtbevölkerung, der Verwaltung und allen anderen öffentlichen und privaten Bereichen dominiert auch in der Schule das Klischee, das Vorurteil, die Angst oder der Hass gegenüber den Roma und Sinti oder genauer gesagt dem "Zigeuner". Ein enormer Teil der eingeschulten Kinder wird nach dem 9. oder 10. Lebensjahr in die Sonderschule für Lernbehinderte eingewiesen. Es handelt sich hierbei um Kinder, die mehrere Sprachen sprechen können und über Talente, Fähigkeiten und Fertigkeiten in vielen anderen Bereichen verfügen. Durch diese vorprogrammierten Defizitkarrieren werden maßgebliche Schritte für die spätere Benachteiligung in Ausbildung und Beruf gemacht.

Ffm., Dezember 2000 
 

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