Rede zur Paulsplatzveranstaltung am 29.6.1996
("Toleranz Main", VHS und KAV)


Sehr geehrte Damen und Herren,

wie ging es den Roma und Sinti nach dem ersten Weltkrieg in Frankfurt am Main?

Sie müssen wissen, Roma und Sinti gibt es hier schon länger als mancher denkt. 

1418, genau 500 Jahre vor dem Ende des ersten Weltkrieges ist erstmals die Rede von "Zigeunern", dem "diebischen, unartigen und zauberischen Bettelvolk" und davon, daß die Stadt Frankfurt am Main vier Pfund und vier Schilling den "elendigen und fremden Leuten aus dem kleinen Ägypten" schenkte. 
Aus unseren Reihen kam ein wohlhabender Ritter. Er wurde 1520 in Frankfurt erschlagen und sein Hab und Gut ging, so die urkundliche Erwähnung, an seinen Sohn über.

Roma und Sinti waren nicht gerne gesehen. Alle Eintragungen zeugen davon, sie schnellstmöglich los zu werden. Die Gabe von Almosen wechselte sich mit der Aufforderung, die Stadt zu verlassen, ab. Dem kamen die Stadtherren auch mit Waffengewalt nach. 

Ein Bauernsohn aus Niederursel erstach einen "Heiden oder Zigeuner", wie es 1571 in der Chronik hieß. Der Mann wurde nicht bestraft, da der Ratsbeschluß der Stadt Frankfurt es für rechtens hielt, gegen "solche Heiden oder Zigeuner" auf diese Art vorzugehen.

Sie sehen, auch Roma und Sinti begleiten die Stadtgeschichte und die Geschichte begleitet uns.

Zurück zum 20. Jahrhundert. 

Wie sah Frankfurt zum Ende des 1. Weltkrieges aus? 

Knapp 600.000 Einwohner, Zerstörungen und 10.000 Tote, die die Stadt zu beklagen hatte. Die Bürgermeister Adickes und Voigt wurden von Gräf und Ludwig Landmann abgelöst. 1925 fand die erste internationale Arbeiterolympiade statt und Frankfurt am Main wurde zum internationalen Mittelpunkt. Der Architekt May ließ Sozialwohnungen bauen. Das Waldstadion und die Großmarkthalle wurden errichtet. Das Hafenbecken, der Flughafen Rebstock und die Frankfurter Messe ausgebaut und die Akademie der Arbeit gegründet. Einige Stimmen behaupten sogar, daß durch die Eingemeindung von Höchst und Fechenheim Frankfurt am Main zur flächenmäßig größten Stadt Deutschlands wurde. Das kann ich, als gebürtiger Berliner, nur schwer glauben.

Ende der zwanziger Jahre begann nach Planung des Architekten Poelzig der Bau des IG-Farben-Hauses, dem Sitz des größten Unternehmens dieser Zeit. Ein Unternehmen, das einige Jahre später für die Vernichtung von so vielen Roma und Sinti in den Konzentrationslagern der Nazis mit verantwortlich zeichnete. 
Das Ende der Weimarer Republik kündigte sich im Mai 1927 durch den schwarzen Freitag an. Die Stadt verschuldete sich innerhalb von drei Jahre um das Sechsfache. 1932 weist die Arbeitslosenstatistik 80.000 Menschen in Frankfurt am Main ohne Beschäftigung aus. 

Die ersten Jahre nach dem Krieg war die Anzahl der Flüchtlinge und Migranten ohne deutsche Staatsbürgerschaft in Frankfurt am Main gering. Nicht mal 1 % der Stadtbevölkerung machte sie aus. Frankfurt zog damit gleich mit dem viel kleineren Bad Homburg und hatte nur einen Bruchteil der ausländischen Bevölkerung, den das ebenfalls kleinere Wiesbaden hatte. 

Wie ging es unseren Leuten? Den Roma und Sinti.

Ähnlich wie vor 500 Jahren ist die Zeit von Ausgrenzungen gekennzeichnet. Natürlich teilten wir die Armut vieler anderer Menschen. Unsere Familien waren gezwungen, in verschiedenen Lagern der Stadt zu leben. Von der Mainzer Landstraße und der Lahnstraße über die Solmsstraße, von Sindlingen über Unterliederbach, von Ginnheim über Bockenheim bis Seckbach zogen sich die Ghettos. Die hygienischen Zustände und Unterbringung war katastrophal und die Reaktion der aufgebrachten Nachbarn leider auch. 
Roma und Sinti aus ganz Europa, die ihre Existenz über das Reisegewerbe sichern wollten, hatten einen schweren Stand.

Wieder ist die Rede von der "Zigeunerplage", "Entwertung von Grund und Boden" und davon, daß "anständige Bürger unter den hereingeschneiten Zigeunern leiden". Es heißt, der Schmutz und Gestank und die sittlichen Gefahren, die von den Roma ausgingen, machen Ausweisungen und die Unterbringung am Stadtrand notwendig. 

1929 wird schließlich für Roma und Sinti ein "Konzentrationslager", so die offizielle Bezeichnung, in Bergersheim errichtet. 

Viele von uns lebten vom Pferdehandel, vom Handel mit Kurzwaren, vom Kunsthandwerk. Die, die nichts hatten, denen blieb das Betteln. Fein säuberlich wurden Roma und Sinti von der "Nachrichtenzentrale für Zigeuner und Landfahrer" registriert. Selbst der damalige hessische Innenminister und spätere Antifaschist Wilhelm Leuschner sprach von einer "dauerhaften Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" und von der "Ausrottung des Übels", wenn es um Roma ging. 

Auf die Roma-Familien wird mit Fürsorgeamt, Ordnungsamt und Polizei reagiert. Im Gesundheitsamt Braubachstraße, in dem nach 45 zwei maßgebliche NS "Zigeunerforscher" weiterhin tätig waren, machte man sich Gedanken über die Pest- und Seuchengefahr. 
Es gab dennoch andere Meinungen. Die breite Armut führte auch zur Solidarität mit uns. Von Entlassungen in Industrie- oder Dienstleistungsgewerbe waren schließlich auch Roma und Sinti betroffen, die vorher das Glück hatten, eine feste Stelle im Betrieb zu haben. Einige Arbeitslose schlossen sich fahrenden Roma und Sinti an und man versuchte sich gemeinsam über Wasser zu halten. 

Und selbst im Magistrat wurden, wenn auch verschwindend gering, kritische Stimmen laut. Es war die Rede von Integration in die Stadtteile. Leider ein hoffnungsloser Ruf. Ein Verordneter verlangte menschliche Behandlung und Unterbringung und zwar im "Einvernehmen" mit den "Zigeunern".
Trotzdem, die Vorboten von dem, was dann 1933 kam, zeichneten sich bereits am Horizont ab. 

Der Naziabgeordnete Lindner diffamiert Roma und Sinti im Stadtrat als biologisch dumm und faul und verlangt die Ausweisung der "Elemente" aus der Stadt. Im Universitätsinstitut für "Erbbiologie und Rassenhygiene", an dem auch Dr. Mengele später tätig ist, werden schon vor der Machtübernahme der Nazis unsere Leute begutachtet. Die Weichen für die beiden Fechenheimer Lager in der Krupp- und Dieselstraße, die dann direkt nach Auschwitz führten, werden gestellt. Die erkennungsdienstliche Behandlung aller unserer Menschen wird in den zwanziger Jahren weiter perfektioniert und ausgebaut.

Einige unserer Familien verließen Frankfurt. Roma ohne deutsche Staatsangehörigkeit wurden nach Gesetzeslage der Weimarer Republik sowieso direkt ausgewiesen. Erwerbstätigkeit und Aufenthalt waren ihnen nicht gestattet. Rückübernahmeabkommen mit anderen Ländern gab es damals auch schon. 
Andere, die sich sicherer fühlten, hofften, von der immer bedrohlicher werdenden Hetze verschont zu bleiben. 
Ihre Hoffnung sollte sich nicht erfüllen. 1933 begann für uns Roma und Sinti dann die schrecklichste Zeit.

Vielen Dank.

 

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