Das "Recht zur Ausweisung muß bleiben". So begründeten die
Delegierten der Bundesrepublik als einziges EG-Land die Ablehnung einer Resolution der UN-Menschenrechtskommission, die beabsichtigte, alle Formen von Diskriminierung gegenüber den Roma abzuschaffen. Mit dümmlicher Ignoranz wurde festgestellt, daß sie in Deutschland keine Minderheit darstellen, ihnen insofern auch kein Privileg zugestanden werde, schon gar nicht Schutz und Sicherheit von sich illegal auf dem Staatsgebiet aufhaltenden Roma.(1)
Daß diese Überlegungen im März 92 bereits darauf zielten, die vor Armut, vor Bedrohung an Leib und Leben flüchtenden Roma aus Osteuropa nachhaltig darauf hinzuweisen, die BRD weder als Ziel-, noch Transitland zu nutzen, ist klar. Ebenso eindeutig sind die aktuellen Entscheidungen quer durch die bürgerliche Parteienlandschaft hinsichtlich der Veränderung des § 16, dem Grundrecht auf Asyl. Ab Mitte 93 kann leichter abgeschoben, kaum noch eingereist und noch schwieriger Widerspruch gegen Willkür und Kalkül formuliert werden, soweit Flüchtende um Einlaß in einer sich vorwiegend christlich wähnenden Gesellschaft begehren.
Erschreckender als diese Entscheidungen ist die Tradition, die dem zugrunde liegt. Das tief sitzende Ressentiment bis hin zur ungebrochenen, ungeteilten rassistischen Haltung gegenüber dem "Zigeuner". Wenn die Rede davon ist, daß Entnazifizierung nicht stattgefunden hat, daß die Kontinuität deutscher Mehrwertigkeit in Kopf und Praxis - auch ohne die unvergleichbare
Konsequenz von Auschwitz - in der Wirklichkeit fortbestehen kann, so läßt sich dies einmal mehr an der Geschichte und der aktuellen Lage der Roma aufzeigen.
"Euer Unglück ist vielleicht noch schlimmer als das unsere, denn nicht nur die Euren sind vernichtet worden, auch die Kenntnis von deren Vernichtung wird unterschlagen, damit vernichtet. Auch heute noch. Auch heute noch systematisch. Was einem zweiten Genozid gleichkommt. Und auch heute noch, und auch heute noch systematisch, werdet Ihr als Menschen zweiter, dritter Klasse behandelt."(2) Diesen Unterschied markiert Günter Anders in der Grußadresse anläßlich einer Kundgebung von deutschen Sinti und Roma im KZ Bergen-Belsen.
Die Realität stellt es unter Beweis. Robert Ritter, Chef des Rassehygieneinstituts im deutschen Reich von 1938, Eva Justin und Sophie Erhard, enge Mitarbeiterinnen von ihm, zeichneten neben Mengele maßgeblich verantwortlich, für die Erfassung und Vernichtung der Roma. Das ist aktenkundlich und wurde nach
1945 von Betroffenen zur Klage geführt. Ohne Erfolg - für die Sinti und Roma. Mit glänzendem Abschluß allerdings für Ritter und Justin, die eine gut dotierte Stelle im Gesundheitsamt Ffm. begleiteten, nach wie vor als Fachleute Expertisen in sog. Wiedergutmachungsprozessen anfertigten, die dann für die Opfer negativ beschieden wurden.(3)
So ist der Weg frei für weitere Demütigungen einer ethnischen Minderheit, frühe Voraussetzung ist geschaffen, daß Fremdenfeindlichkeit Tür und Tor geöffnet, daß sie vom Kopf auf die Füße gestellt wird. Man braucht sich ihrer nicht zu schämen, geschweige denn schuldig zu fühlen. Vielmehr ist die Einstellung gesellschaftsfähig und erlaubt es einigen besonders Konsequenten schließlich, beklatscht und geduldet von der überwiegenden Mehrheit, wieder Brandflaschen und Fackeln in Flüchtlingsheime, nicht zuletzt gegen Roma zu schleudern, sie mit dem Tode zu bedrohen und eben diese Ankündigung in stiller Akzeptanz umsetzen zu dürfen.
Der besondere Hinweis auf die Situation der Roma, ihre eigene Stellung in der Geschichte von Ausgrenzung und Flucht muß betont werden, weil das ihnen zugefügte Leid auch nach den nationalsozialistischen Vernichtungslagern - in denen über eine halbe Million der europäischen Roma, d. h. fast 70 % der gesamten Bevölkerungsgruppe
ermordet wurden - zwar ohne die Logik der Tötungsmaschinerie aber mit der unvermittelten Härte des rassisch Überlegenen, im Zweifelsfall Zivilisierteren fortgeführt wird.(4)
Roma besitzen keinen Nationalstaat. Ihnen fehlt dieses konstitutive Merkmal des legalen Fremdenhasses. Sie sind so nicht in der Lage, qua jener Einrichtung individuell oder kollektiv Schutz und Bedrohung gegenüber vermeintlichen Aggressoren zu mobilisieren. Diplomatische Immunität, Souveränität und gesetzlich verfaßte Integrität können nicht geltend gemacht werden. Auf dem Parkett der nationalen und internationalen Politik, spielen sie keine Rolle. Selbst das Zugeständnis der UN, sich als Nation begreifen zu dürfen, ist letztlich kaum das Papier
wert auf dem es steht. Hanna Ahrendt, vor den Nazis rechtzeitig geflüchtet, stellt fest, "die `Nation der Minderheiten' und das `Volk der Staatenlosen' wird als Folge der Kriegskatastrophen in ein mehr oder weniger recht- und gesetzloses Niemandsland verwiesen (...) Dem Flüchtling und dem Staatenlosen selbst bleibt praktisch nur die Wahl, entweder gegen das Gesetz des Landes zu verstoßen, in dem er sich gerade befindet, oder desjenigen, in das er ausgewiesen wird".(5) Was bleibt
ist der Status vogelfrei zu sein und der Schluß, sich vor allem selbst zu helfen.
Dies erfahren nicht zuletzt rumänische Roma, deren Situation hier kurz dargestellt wird.
In Rumänien, wo die größte Gruppe der Roma in Europa lebt, wurden sie bis zum Sturz Ceaucescus nicht als nationale Minderheit anerkannt. Erst danach durften sie sich erstmals politisch und kulturell organisieren. Die Tatsache, daß bei der Wahl des neuen rumänischen Parlaments im Mai 1991 ein Vertreter der Internationalen Roma-Union als Abgeordneter einzog, täuscht allerdings nicht über die anhaltenden gewalttätigen Übergriffe hinweg. Tägliche Brandanschläge,
Ausschreitungen, bei denen sich die Polizei auf die Seite der Angreifer schlägt oder passiv verhält, zeigen deutlich, daß ein Demokratisierungsprozeß nicht stattfindet. Das Aufflammen nationaler Konflikte hat die Lage der Roma noch erheblich verschlechtert.
Hierzulande wird trotz der pogromartigen Überfälle und Lynchjustiz bezüglich geflüchteter rumänischer Roma so diffamierend berichtet wie über kaum eine andere Flüchtlingsgruppe. Ihre Chancen als Asylbewerber anerkannt zu werden sind von allen Verfolgten am geringsten einzuschätzen. (6) Amnesty International hat dieses Jahr erstmals in seinem Jahresbericht bezüglich der Lage der Roma von eindeutig rassistischer Verfolgung aufgrund ethnischer Zugehörigkeit gesprochen.
Im November 92 wurde der sog. Rückübernahmevertrag zwischen der BRD und Rumänien gültig. Er besagt u. a., neben der Zahlung von 30 Mio. DM an die rumänische Regierung, die für sich spricht, daß illegal auf deutschem Hoheitsgebiet befindliche rumänische Staatsbürger auszuweisen sind. In Ausführung und Praxis dieses Machwerks stellt es ein Lex Roma dar. Da ihre Fluchtgründe schlichtweg ignoriert werden, werden alle noch Fliehenden an der Grenze direkt abgewiesen und die, die seit 92 in der BRD sind, haben mit ihrer baldiger Abschiebung zu rechnen. Die Krux, nämlich daß der Text nur auf rumänische Staatsangehörige anzuwenden ist, wird geknackt, indem die staatenlosen Roma, die aus Rumänien flüchteten, mit der Unterstellung, sie seien lediglich zur "Erschleichung" von Sozialhilfeleistungen in die BRD gekommen und durch den Entzug aller Leistungen nach § 120 BSHG (HLU,
Krankenschutz, Mietzahlung, Kindergeld) genötigt werden, sich repatriieren zu lassen. Das oft mit dieser Erpressung kolportierte Versprechen, so hätten sie wieder Anspruch auf Leistungen, kann den eigentlichen Grund, die beabsichtigte Ausweisung, nicht verschleiern. Das wissen auch die Betroffenen. Ein Zynismus, der an Menschenverachtung nichts übrig läßt.
Die Roma-Union Frankfurt e. V.
Sprachrohr für deutsche und ausländische, speziell osteuropäische Roma, sind - im Zuge der Selbstorganisation - die verschiedenen Initiativen und Vereine in Kiel, Hamburg, Berlin, Köln, München und Stuttgart.
Als Beispiel wird die Roma Union Frankfurt vorgestellt.
In Ffm. leben gegenwärtig etwa 2000 Roma, unter anderem aus Polen, Jugoslawien und Rumänien. Als Nachfolgeorganisation von "Roma International" setzt sich die Roma Union bereits seit 30 Jahren für die Rechte der Menschen ein. Der Verein ist chronisch unterbesetzt. Bis April d. J. fand die Arbeit ausschließlich in den privaten Räumen der beiden Vorsitzenden statt.
"Nachdem die Roma gemerkt haben, wie sehr wir mit ihren Problemen überlastet sind, haben sich die Leute zurückgezogen. Dann kam die Stadt. Die kam ohne Voranmeldung. Wir wurden so eine Art
Feuerwehrverein für die Stadt." Harald Heller und Hans-Georg Böttcher, die Vorsitzenden der Roma Union, reiben sich in Auseinandersetzungen mit den Behörden auf. "Das Ganze ist zunehmend schlechter geworden. Man hat vielen die Papiere wieder weggenommen. Jetzt gibt es Duldungen (letzter Status vor der Abschiebung, d. V.) für Leute, die bereits in der zweiten Generation hier leben. Oft ist die Willkür der Sachbearbeiter maßgebend. Aber dieses Bild kennt man ja als Roma. Man läßt die Leute in einem leeren Raum. Die Angst fängt wieder an. Jeden Tag auf dem Sprungbrett. Können wir bleiben, können wir nicht bleiben. (...) Rumänen, die schon länger hier sind, mußten vor der Ausreise ihre Pässe abgeben, jetzt nimmt man ihnen ihre deutschen Papiere auch noch. Neuankömmlinge ohne Dokumente werden sofort zurückgeschickt. Die Leute versuchen sich einzurichten und man gibt ihnen keine Chance. Bei jeder Kleinigkeit sind es immer wieder Roma."
Arbeitserlaubnis oder Gewerbeschein sind für ausländische Roma nur in Ausnahmefällen zu erhalten. Es fehlen schlichtweg die Grundvoraussetzungen, nämlich der gesicherte
Aufenthalt. "Das ist verlorene Liebesmüh (...) Man nimmt einem Menschen die Würde. Es ist erniedrigend, wie damit umgegangen wird. Ich habe in manchen Ämtern Erfahrungen gemacht, da würde ich mich lieber aufhängen, bevor ich einen Antrag stelle. Was bleibt den Leuten übrig. Wenn sie die Sozialhilfe nicht in Anspruch nehmen, heißt es gleich, wo habt ihr das Geld her. Dann fallen Wörter wie Diebstahl, krumme Geschäfte usw. usf.. Immer wieder dasselbe Bild. Gehen die Leute einer illegalen Arbeit nach, wird sofort abgeschoben."
Ein Schwerpunkt der Tätigkeit liegt im Bereich Unterkunft. Daß das in Frankfurt am Main ein besonderes Problem ist, hat sich in der Republik herumgesprochen. Für Flüchtlinge ist es schier unlösbar. "Man bringt die Leute jahrelang in Hotels unter, bevor eine Wohnung zugewiesen wird. Habe ich keine Aufenthaltsberechtigung von mindestens einem Jahr, kriege ich keinen Wohnungsberechtigungsschein vom Amt. Ich kenne eine alte Frau, die lebt mit ihren beiden Enkel und der behinderten Tochter seit über 15 Jahren in unzumutbaren Verhältnissen. Selbst eine Wohnung zu finden ist so gut wie aussichtslos." Die Einstellung eines Sachbearbeiters einer Frankfurter Sozialstation, Roma besser drei bis vier Jahre in teuren, unbequemen, überbelegten Hotels hausen zu lassen, anstatt sie in akzeptablen Wohnungen unterzubringen, also noch dazu beizutragen, daß sie sich hier erst recht häuslich niederlassen, komplettiert Hellers Aussage und beschreibt das Kalkül behördlicher Logik.
Das Roma-Beratungsbüro und das Roma-Gemeindezentrum
Sowohl der reiche Erfahrungsschatz der Roma-Union als auch einzelne nicht institutionell vorgefertigte Versuche, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten enden meist in der bitteren Erkenntnis, gegen Windmühlen zu kämpfen, die Wand von Vorurteilen und bewußter Diskriminierung kaum überwinden zu können. Alleine gegen Gott und die Welt vorzugehen hat keine Zukunft. Die Struktur kann nur durchbrochen werden, indem sich die Betroffenen selbst zu Wort melden, wenn Gegenöffentlichkeit und Selbstorganisation aufklärt, schützt, Druck macht, widersteht und verändert.
Die Idee der Errichtung eines Gemeindezentrums für deutsche und ausländische Roma knüpft daran an.
"Wir hatten überhaupt keine Möglichkeit uns kulturell zu betätigen, das Leben entsprechend unserer Identität zu gestalten. Sagen wir, einer hatte eine Trauerfeier, eine Hochzeit. Dann geht es endlos lang, bis Räumlichkeiten gefunden sind. Das ständige Bitten und Betteln, ungeheure Schwierigkeiten und sollte es dann mal soweit sein, war das nur möglich mit sehr viel teurem Geld. Jede kleine Gemeinde hat in Frankfurt ihr Zentrum. Wir streben ein
Gemeindezentrum an, in dem alles unter einem Dach ist, Seniorentreff, Kinderbetreuung, Vorbereitung auf die Schule, Angebote für Jugendliche, Beratung, Familienfeiern, Kultur- und
Informationsveranstaltungen, Verständigung zwischen Roma und Nicht-Roma. Die Stadt hatte anfangs ein wahnsinniges Interesse, war sehr begeistert von dem Vorhaben. Wir sind mit einem enormen Eifer an die Arbeit gegangen. Haben Konzepte, Finanzpläne, Stellenbeschreibungen entwickelt. Als dann alles auf dem Tisch lag, konnten wir es wegschmeißen. Dann
ging´s los. Ändern sie das, jenes. Keine Möglichkeit, kein Geld, keine Liegenschaften.
Das zog sich wie ein roter Faden durch unsere Aktivitäten in den letzten drei Jahren."
Die Gründe für die Bedecktheit sind für Heller klar. "Viele Vertreter gaben sich jovial. Die wollten uns im guten Glauben und Gewissen als Alternative Stellplätze zuweisen, um Container oder Wohnwagen aufzustellen, damit wir campieren können. Eine andere Idee war die Einrichtung einer Kindertagesstätte, auf die hätten wir dann Gemeindezentrum schreiben sollen. Kommunaler Etikettenschwindel. Jeder, der sich im Metier auskennt, weiß, daß das nicht machbar ist - ganz abgesehen davon, daß es nicht unseren Vorstellungen entspricht. Ich nehme an, sobald die Tür nach den Verhandlungen zu war, dominierte immer wieder das alte Bild. Roma haben eben kein Gemeindezentrum zu haben. Das wäre doch auch ein unliebsamer Anziehungspunkt für die, die noch kommen."
In einem neuen Anlauf wird in Kooperation mit einem Förderverein, der sich Ende d. J. im Dritte-Welt-Haus Ffm. gründet, versucht, das Projekt wieder in Angriff zu nehmen. Das soll allerdings jenseits der weit verbreiteten Funktionalisierung von Zielen und Forderungen der Roma in die Gänge kommen. Die Geschichte der Roma läßt sich nicht, nach dem Motto: unter ferner liefen, als bunt romantisches Mosaiksteinchen - das letztlich nur dazu dient, umfassend eigenes Gewissen zu beruhigen, ohne im geringsten begriffen zu haben, worum es eigentlich geht - in den Fuhrpark von tausend hochnötigen Kennzeichnungen systemischer Niedertracht einfügen. Im Gegensatz dazu, setzt sich der Förderverein vorwiegend aus Leuten zusammen, die seit Jahren in unterschiedlichen Bereichen mit Roma arbeiten und ihre Kenntnisse mittels gezielter politischer Öffentlichkeit, Information und Finanzmobilisierung für den Aufbau des
Gemeindezentrums verwenden. Einfluß auf politische Parteien, Medien, maßgebliche gesellschaftliche Institutionen und Personen, die Konstitution eines Beirats, politisches Kleinwerk ist Instrumentarium dafür, unbequeme wie unüberhörbare Stimme für die Belange der Roma in Frankfurt am Main zu sein.
Ab April dieses Jahres konnte mit Unterstützung des Amts für multikulturelle Angelegenheiten und dem Land Hessen ein Büro in der Petterweilstraße 4 - 6 bezogen werden. Die Anschubfinanzierung gewährt den vorläufigen Aufenthalt bis Ende
1993. Die Räumlichkeit wird mit SOS Rassismus geteilt. Aufgrund der engen Verhältnisse und der extrem hohen Miete (1.400,-- DM monatlich für einen Raum von ca. 15 qm) ist davon auszugehen, daß das Büro lediglich zur notwendigen Konsolidierung der Arbeit in Anspruch genommen werden kann. Es muß daher - auch aus ökonomischen Gründen - dringend eine dem Inhalt und der Quantität der Tätigkeit entsprechende Unterkunft gefunden werden. Als eigentliche Zielsetzung bleibt die Umsetzung eines Roma Gemeindezentrums in Frankfurt am Main.
Vor allem werden ausländische Roma beraten, d. h. Menschen, die seit Öffnung der osteuropäischen Länder in die BRD geflüchtet sind. In der Regel suchen Großfamilien das Roma-Büro auf. Eine zweite Gruppe stellen die deutschen Roma, die bereits seit Generationen hier leben, dar. Anfragen dieser Gruppen sind begrenzt und thematisch eingeschränkt (z. B. Entschädigungsanträge als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung, Fragen der Staatsbürgerschaft). Weitaus größer ist die Kontaktnahme von
Seiten der Administration, die sich nicht alleine auf den Frankfurter Raum begrenzt. Die Palette reicht vom Arbeitsamt bis Zulassungsstelle.
Neben Anfragen und praktischen Tätigkeiten werden Gespräche bezüglich Konflikte zwischen Rom und Nicht-Rom vor Ort geführt. Das Büro wurde bereits von Multiplikatoren (LehrerInnen, SozialarbeiterInnen) aus Dänemark, Frankreich und Spanien, die im Bereich Flüchtlingsarbeit tätig sind, besucht. Innerhalb der Öffentlichkeitsarbeit werden in Kooperation mit dem Verein zur Förderung eines Roma Gemeindezentrums Aktionen, Informations- und Diskussionsveranstaltungen durchgeführt. Im Laufe der Zeit haben sich die Kontakte mit der Presse (FR, FAZ, FNP), dem Hörfunk und Fernsehen erheblich intensiviert. Neben der Dokumentation, der Rechenschaftslegung stellt der Förderverein methodisch didaktische Materialien zur Weiterbildung, Fortbildung und Information für Schule, Sozialarbeit und generelles Interesse bereit.
Als einzige Roma-Beratungsstelle in Ffm. ist das Arbeitsvolumen entsprechend hoch. Seit Einzug in das neue Büro hat sich das Tätigkeitsfeld enorm vergrößert. Obwohl die offiziellen Sprechzeiten Dientags, Mittwochs und Donnerstags von 10.00 Uhr bis 13.00 Uhr zumindest Rahmenbedingungen angeben, ist die Roma-Union rund um die Uhr beschäftigt. Büroorganisation, Schreibarbeiten müssen
am Feierabend oder an Wochenenden erledigt werden. Darüberhinaus erfordern Behördengänge und andere Außentermine erheblich viel Zeit. Es ist davon auszugehen, daß täglich etwa 20 bis 30 Personen die Beratungsstelle aufsuchen und ebensoviele telefonische Anfragen erfolgen.
Die Inhalte der Tätigkeit sind folgendermaßen zusammenzufassen:
o Übersetzung bei Behörden und öffentlichen Veranstaltungen
o Beratung in Fragen des
- Aufenthalts
- der Existenzsicherung (Sozialhilfe, Erwerbstätigkeit)
- der Lebensgestaltung (z. B. Organisationshilfe bei großen Familienfeierlichkeiten)
- der Schulausbildung
- Beratung bei Straffälligkeit
o Hilfe bei Ämtergängen
o Bearbeiten von Anträgen auf Entschädigung
o Hilfe bei der Wohnungssuche und Unterbringung
o Vermittlung bei Konflikten zwischen Rom und Nicht-Rom
o alle notwendigen administrativen Belange der Betroffenen werdenvon der Roma-Union begleitet (Ausweispapiere, Anmeldung, Führerscheinangelegenheiten, Mietangelegenheiten,
Nachbarschaftskonflikte, Kindergeld ... )
o Informationsaustausch mit LehrerInnen, SozialarbeiterInnen und SchülerInnen
o Wahrnehmung von Außenterminen (Sozialstationen, Gericht, Schule, Stadtteile ...) über den Raum Ffm. hinaus
o Organisation von Veranstaltungen, die sich gegen die gesellschaftliche Diskriminierung von Roma richtet und den gleichberechtigten Austausch, die Information, die Vermittlung von Tradition, Kultur und Geschichte zum Gegenstand haben
o Wahrnehmung von Gesprächen mit der Presse, dem Hörfunk und dem Fernsehen
Der Umfang und die Bedeutung der Arbeit - nicht zuletzt auch, wie erwähnt, für die Stadt Frankfurt am Main - lassen es nicht zu, die Tätigkeit weiterhin ohne feste Stelle auszuüben. Ein Arbeitsvolumen von nicht selten 60 Wochenstunden ist ehrenamtlich nicht aufrechtzuerhalten. Die Konsolidierung wiegt um so mehr, als die Einrichtung des Beratungsbüros als institutionalisierte Anlaufstelle eine unerwartet hohe Frequentierung nach sich zog. Offensichtlich besteht im Felde der Roma Arbeit ein Handlungsbedarf, der nicht allein
proffessionel durchzuführen ist, sondern auch entsprechend finanziert werden muß. Die Absicherung einer hauptamtlichen Kraft ist zukünftig unumgänglich, wenn
die Aktivitäten des Büros auch weiterhin aufrechterhalten bleiben sollen. Erfolg, Kooperation, Struktur und Perspektive aller Aktivitäten stehen und fallen letztlich mit der Einrichtung und finanziellen Absicherung mindestens einer hauptamtlichen Stelle.
Pädagogische Einzelfallhilfe
Seit ein paar Jahren schwirrt ein neuer Begriff in der erzieherischen Maßnahmenpalette umher. Die Einzelfallhilfe. Retter in der Not, Mädchen für alles, sozialpädagogische Feuerwehr, letztes Interventionsbollwerk innerhalb des noch existierenden (Rest)Familienverbands - Begriffe die dem Tätigkeitsfeld ebenso zuträglich wie überkommen sind.
Jedenfalls hat die Einrichtung einer solchen Maßnahme gegenwärtig Konjunktur, zumal sich die Einzelfallhilfe ob ihrer mehr oder weniger spektakulären Erfolge im Kleinen mittlerweile von dem anfänglichen Experimentierstadium emanzipiert hat und nach dem neuen Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) eine gleichrangige Alternative innerhalb der Bandbreite familiärer Unterstützungsmöglichkeiten darstellt.
EinzelfallhelferIn zu sein bedeutet das Optimum an pädagogischem Einsatz, was bekanntlich nicht ohne entsprechendes persönliches Engagement vonstatten geht, bedeutet unkonventionelle Arbeitszeit mit ebenso unorthodoxen Herangehensweisen, bedeutet den Wirrnissen und kleinen Fallgruben im Leben eines Jugendlichen durch mindestens doppelt
so viele gute Ideen entgegenzutreten, um ihn letztlich im Kampf gegen die Verlockung als kreativen Sieger zu sehen. Ungeachtet der millionenfachen Einbrüche in dem Wettstreit, bleibt dennoch die eherne Zielsetzung nie außer Acht. Die Gelegenheit, sich mit dem Deputat von 19 bis 38,5 Stunden einem begrenzten Zielpublikum zu widmen, ist selten.. Aber genau hier beginnen schon die ersten nicht unmaßgeblichen Probleme.
Wer würde sich nicht selbst unter Druck setzen, wollte nicht Fortschritte aufweisen, wenigstens vielversprechende Tendenzen herauskitzeln bei einer solch günstigen Infrastruktur. Allerdings erscheint die bei genauem Hinsehen und unter Berücksichtigung der Intensität der Maßnahme innerhalb kürzester Zeit
gar nicht mehr so vielversprechend, wenn alle Akteure des Szenarios (Jugendliche, Familie, Schule, Ausbildung, Freundeskreis, Sozialadministration, Strafverfolgungsbehörden ...) gebührende Aufmerksamkeit empfangen. Um so enttäuschender ist es dann für alle Beteiligten, bricht das ganze Kartenhaus trotz der tausend Impulse, trotz der umfänglich abgestimmten Einflußnahme, trotz der günstigen Prognose und trotz des persönlichen Einsatzes des Einzelfallhelfers zusammen. Althergebrachte Ressentiments gegenüber dem Klientel und mangelnde Unterstützung der involvierten Behörden und Institutionen machen den Einzelfallhelfer zum Fighter gegen den Rest der Welt. An diesem Punkt
kristallisiert sich deutlich heraus, wie wichtig es ist, die Verhältnisse öffentlich zu machen, die Aktivitäten
genauestens zu koordinieren und zu konzeptionieren.
Gerade die letzterwähnte Problematik ist bei der Einzelfallhilfe mit Roma von besonderer Bedeutung. Zum einen - wen trotz Gleichrangigkeit - die Einrichtung der pädagogischen
Einzelfallhilfe am unteren Ende des Maßnahmenkatalogs der Jugendhilfe, quasi als Rettungsanker, zum Einsatz kommt. Zum anderen, wenn sich die klassisch reservierte Haltung gegenüber jedem Fremdartigen, gerade und nicht zuletzt gegenüber den Roma, die über keinerlei Öffentlichkeit, Einfluß und Lobby verfügen, verstärkt und
bedrohlicher denn je zeigt. Der sprichwörtlichen Beamtenwillkür und Schikane sind hier kaum Grenzen gesetzt.
Die Aktivitäten der Einzelfallhilfe mit Roma liegen im sozialen und materiellen Sektor, innerhalb der Freizeitpädagogik und in Hilfen im psychosozialen Bereich. Für ersteres heißt dies vor allem Absicherung des Aufenthalts, Versorgung mit adäquaten Wohnräumen, Sicherstellung der Sozialleistungen, Ausbildungsmöglichkeiten, Schulbesuch, Impulse für Zukunftsperspektiven, Hilfe im Krankheitsfall, Schriftverkehrt mit Ämtern; der Freizeitaspekt bezieht sich auf Bewegung, Bildung, Kulturerhaltung, Kommunikation und Musik; die psychosoziale Betreuung schließt Beratung-
und Vermittlungstätigkeiten ein, deren Schwerpunkte vorrangig Verfolgung, Diskriminierung, Flucht, Verletzung, Krankheit,
Zerrissenheit, Bedrohung und Perspektivverlust sind.
Unabdingbare Voraussetzung in der Arbeit ist die Selbstkritik des Einzelfallhelfers, das Interesse und Einfühlungsvermögen für die Kultur, Tradition, Geschichte, Identität und Integrität der Roma. Diese Akzeptanz sollte vor dem Hintergrund von Konflikten und Widersprüchen gewahrt bleiben. Der aufgebrachte Respekt wird im selben Maße entgegnet und ist erfahrungsgemäß die solideste Arbeitsgrundlage. Vordergründiges Solidarisieren, das Leugnen unterschiedlicher Sozialisation, die jedoch tatsächlich vorhanden ist, sich selbst, ungeachtet jeder Erfahrung und gesellschaftlicher Realität, voller Sympathie und Exotik zum Roma zu machen oder andererseits ständig mit dem überkommenen Vorurteil hinsichtlich des "Zigeuners" mißtrauisch nur "das Beste" zu wollen, nützt in der täglichen Tätigkeit gar nichts und trägt der Glaubwürdigkeit sozialpädagogischer Aktivität in keinster Weise bei. Eine pädagogische Herangehensweise, speziell im Felde der Kinder- und Jugendarbeit, sollte nicht die unkritische Übertragung der eigenen Sozialisationstugenden zur Absicht haben, sondern vielmehr an den Erfahrungen der Betroffenen ansetzen, ihre Talente, Neigungen und Kenntnisse thematisieren. Für die Wahrung, Ausübung kultureller Identität und die traditionelle Lebensgestaltung muß Raum geschaffen werden. Dieser Raum soll darüberhinaus die Möglichkeit eines gleichberechtigten Austauschs mit der Geschichte und Tradition der Roma bereitstellen. Jede Ignoranz gegenüber dieser
Voraussetzung erzeugt bestenfalls schlechtes Krisenmanagement.
Nur mit Sicherung der unabdingbaren materiellen Voraussetzungen für die gesamte Familie kann eine sinnvolle Arbeit mit den Jugendlichen stattfinden.
Anmerkungen
1) FR, 6.3.92
2) Sinti und Roma, Reihe pogrom, Gesellschaft für bedrohte Völker, Göttingen 1980, Seite 122
3) vgl. hierzu Bürgerrechte für Sinti und Roma, Romani Rose, Hrsg.: Zentralrat der deutschen Sinti und Roma. 1987. In Auschwitz vergast. Bis heute verfolgt. Rowohlt Verlag, Reinbek
4) vgl. hierzu Zigeuner Heute, Geigges/Wette, Lamuv Verlag
5) Elemente totaler Herrschaft, Hanna Ahrendt, Frankfurt 1958, zitiert in Zigeuner Heute, Seite 98 und 104
6) vgl. hierzu Roma in Rumänien, Katrin Reemtsma, Gesellschaft für bedrohte Völker, Göttingen, Postfach 2024, 1992
Andrea Noack, Diplom-Sozialpädagogin, Einzelfallhelferin
Joachim Brenner, Diplom-Pädagoge, Diplom-Sozialpädagoge
Mitarbeiter der Roma-Union Frankfurt am Main
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