"Die Zigeunerfrage ist gelöst" (November 1992)
So hätte Innenminister Seiters an seinen Dienstherrn, Helmut Kohl, telegrafieren können, als er mit dem rumänischen Staatspräsident vereinbarte, daß gegen harte DM kein Roma mehr zukünftig deutsches Staatsgebiet erreicht. Zumindest was die Verhinderung der Flucht von rumänischen Roma in die BRD angeht, wäre dieser Erfolg ein zweites mal zu vermelden, nachdem derselbe Wortlaut im Nationalsozialismus bereits kennzeichnete, wie man am besten mit Volksschädlingen umgeht. Damals allerdings wurden Sinti und Roma umgebracht.
Die Haltung nicht nur der Bundesregierung - schlichtweg der deutschen Gesamtbevölkerung und niemand hat sich hier auszunehmen - ist sich einig darin, daß Roma, sprich Zigeuner, nicht hierher gehören. Sie sind fremd, nicht integrierbar, gefährlich und unberechenbar, wie es tausendfach in der Presse und in Volkesmund bekundet wird. Auch die, die sich mit den Roma solidarisch sehen, sich für ihre Belange einsetzen, sollen sich des Umstands bewußt sein, daß diese Solidarität nichts nützt, wenn sie allein ein weiteres Mosaiksteinchen in der umfassenden Systemanalyse darstellt und die unabdingbare Konsequenz der eigenen Selbstkritik fehlt. Weder das romantische Mitgefühl noch die Funktionalisierung der Roma für fremde Zwecke erfaßt das, was unentbehrlich ist, nämlich die voraussetzungslose Akzeptanz ihrer Identität.
Alle Denkweise über die Menschen, was Roma eigentlich heißt, ist ungebrochen. Seit Jahrhunderten. Ungebrochen in der Kontinuität von Ausgrenzung, Kriminalisierung, Hetze, offenem und verstecktem, alltäglichem Rassismus. Auch wenn es nicht die Logik der industriellen Vernichtung ist, der während der NS Zeit fast 70 % der europäischen Roma zum Opfer vielen, so knüpft das Denkmuster doch nahtlos daran an.
Niemals wurde glaubhaft zum Ausdruck gebracht, daß man sich auch nur ansatzweise der Schuld und der daraus resultierenden Verantwortung für die Gegenwart bewußt wäre. Ganz im Gegenteil.
Nicht weit vom Magistrat der Stadt Frankfurt, der wie so viele andere Kommunen durch Unterlassung und Passivität glänzt, wenn es um die Roma hier geht, um ihre soziale Situation, ihr sicheres Bleiberecht, nicht weit von dort, in der Braubachstraße, ist das Gesundheitsamt. Und dieses Gesundheitsamt verkörperte wie kaum eine andere Institution die unglaubliche Ignoranz und das bemessene Kalkül, wenn es um die doppelte Demütigung von Sinti und Roma geht, wenn es um die verlogene Aufarbeitung, um die Abwicklung unbequemer deutscher Geschichte geht.
Robert Ritter und Eva Justin, beide nach 45 auf Protektion des damaligen OBs in eben dieser Behörde beschäftigt, waren maßgeblich verantwortlich für die Erfassung von Sinti und Roma im Nationalsozialismus. In der Reichsstelle Ritter wurden sogenannte rassehygienische Untersuchungen an Roma vorgenommen, somit die Voraussetzung für die spätere Deportation und Tötung in den Vernichtungslagern geschaffen. Ritter, in der Nachkriegsära zum Amtsarzt im Gesundheitsamt Ffm. avanciert, fertigte u. a. Gutachten in Schadensersatzprozessen von Sinti und Roma an. Natürlich zum Nachteil der Opfer, die so erneut auf die widerwärtigste Weise erniedrigt wurden. Seine Mitarbeiterin Eva Justin, Psychologin, ließ es sich auch nach 45 nicht nehmen, weiterhin Forschungen mit der Zielsetzung zu betreiben, ob man denn nicht von der Physiognomie eines Menschen, auf sein vermeintlich kriminelles Wesen schließen kann. Was für ein Staat, was für eine Administration, was für eine Bevölkerung, die es wissentlich duldet und vorantreibt, daß der Bock zum Gärtner wird.
Die Vorgänge in Rostock, die Verhaftung von Mitgliedern der französischen Delegation verfolgter Juden und Roma, die auf die historische Verantwortung der Bundesrepublik gegenüber den flüchtenden Roma hinwies, die Vorgänge in Rostock und tausendfach anderswo stehen in dieser Tradition der ungebrochenen Haltung, doch letztlich alles ausgrenzen, diskriminieren, vertreiben, demütigen und nötigenfalls erschlagen zu dürfen, was nicht deutsch ist. Nicht zuletzt Roma!
Die heute am Römer und Gesundheitsamt angebrachten Tafeln, die eben auf diese Tradition hinweisen und das Bleiberecht der Roma einfordern, sind ein Schritt, den alltäglichen Rassismus zu durchbrechen. Wir müssen darauf achten, wie lange die Gedenktafeln angebracht bleiben!
Andrea Noack, Joachim Brenner
Der Vortrag wurde in gekürzter Form von Joachim Brenner, einem Vertreter des Arbeitskreis Roma im Dritte Welt Haus Ffm. während einer Kundgebung vor dem Gesundheitsamt gehalten. Der Arbeitskreis, der eng mit der Roma Union, der Selbstorganisation der Roma in Ffm. zusammenarbeitet, wird noch in diesem Jahr einen Förderverein zur Errichtung eines Gemeindezentrums für deutsche und ausländische Roma gründen. Hierzu sind alle, die sich interessieren und mitarbeiten wollen recht herzlich eingeladen.
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