Presseerklärung und Redeentwurf zum Neonazi-Aufmarsch am 1.Mai 2002


Presseerklärung


Demonstrationszug der Neonazis am 1. Mai 2002 soll in der Nähe des ehemaligen NS „Zigeuernlagers“ Dieselstraße in Frankfurt/Fechenheim stattfinden

Das Verwaltungsgericht Ffm. hat eine Route für die Demonstration der Neo-Nazis am 1. Mai 2002 in Frankfurt/Fechenheim festgelegt, die in der Nähe der Dieselstraße vorbeiführt.
In der Dieselstraße befand sich ein Konzentrationslager für in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet lebende Roma und Sinti-Familien. Zeitweise wurden dort bis zu 200 Personen unter menschenunwürdigen Lebensbedingungen zusammengepfercht. Die Menschen waren den Schikanen des Wachpersonals hilflos ausgesetzt und leisteten Zwangsarbeit in den umliegenden Betrieben. Das KZ Dieselstraße war eine der letzten Stationen vor der Deportation nach Auschwitz. Im Vernichtungslager Auschwitz wurden über 20.000 Roma und Sinti ermordet.
Nach jahrelangem Engagement des Landesverbandes Hessen der deutscher Sinti und Roma und der Roma-Union Frankfurt wurde eine von Frankfurter Bürgern gestiftete Mahntafel in der Dieselstraße angebracht.

Überlebende des Nazi-Terrors und deren Nachkommen sehen in der Entscheidung der Polizeiführung und der Stadt Frankfurt, den Aufmarsch der Neo-Nazis in der Nähe des Lagers Dieselstraße zu gestatten, eine Missachtung der Opfer und der historischen Verpflichtung, die aus der Vernichtung der Roma und Sinti im Nationalsozialismus entstanden ist. Es ist für die Betroffenen unerträglich, dass erneut Gruppierungen mit antisemitischem und rassistischem Gedankengut Gelegenheit zur Hetze und Lüge gegeben wird.

Ffm., den 29.4.2002


Entwurf einer Rede (Diese Rede wurde in Fechenheim nicht vorgetragen)

Anti-Nazidemo in Frankfurt am Main/Fechenheim

Mein Name ist Joachim Brenner. Ich bin Mitarbeiter des Förderverein Roma, der sich vor allem für Roma-Flüchtlinge aus Osteuropa einsetzt.

Erneut marschieren Neo-Nazis in Frankfurt am Main auf. Offensichtlich ist es seitens der offiziellen politisch Verantwortlichen nicht gewollt, dieser braunen Bande kein Podium für ihre menschenverachtenden, rassistischen und antisemitischen Inhalte zu bieten. Es gibt zu viele Parallelitäten zwischen der sogenannten demokratischen Öffentlichkeit, einer bereiten Gesinnung in der Bevölkerung und den neonazistischen Forderungen. Die Flüchtlingspolitik, die Rückbesinnung auf nationale Identität, offener Rassismus, die Einstellung gegenüber den Verbrechen im Nationalsozialismus und der wieder hoffähige Antisemitismus – selbst innerhalb von Teilen der Linken - macht die Grenzen eher fließend. Die Vernetzung von Verfassungsschutz und NPD vor dem Hintergrund des laufenden Verbotsverfahrens ist ein Beispiel von bewusster politischer Provokation und Verstrickung der herrschenden Politik im rechtsradikalen Feld.

Die heutige Demonstration der Neo-Nazis in Frankfurt findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem Nazis und Faschisten international Erfolge feiern. Le Pen, Führer der französischen Front-National, erringt 17% bei den Präsidentschaftswahlen. Das zweitbeste Ergebnis. Berlusconi, italienischer Faschist in bürgerlichem Gewand, Vorsitzender der Forca Italia, ist Ministerpräsident des Landes und Jochen Haider, Bewunderer der SS, verschafft seiner rechtsradikalen Freiheitlichen Partei in Österreich Regierungsbeteiligung. Niemand hat die Wähler und Wählerinnen dieser Parteien zu ihrer Stimmabgabe gezwungen. Sie haben es alle freiwillig getan und somit einen Teil des Bewusstseins geschaffen, das nicht nur gegenwärtig Öffentlichkeit ist.

Frankfurt-Fechenheim hat für die hier lebenden Roma eine ganz spezielle Bedeutung. Eine Bedeutung, die geflissentlich von denjenigen, die die alternative Route für die Nazis entwickelt haben, unbeachtet blieb. Vor vier Jahren tobten sich in Fechenheim Bürger aus, weil zu viele Roma hier lebten. Angeblich würde das harmonische Miteinander des Stadtteils durch die asoziale Verhaltensweise der Familien gestört. Roma aus Rumänien, die seit geraumer Zeit in einer Bruchbude in Alt-Fechenheim wohnten, wurden ganz speziell Zielschreibe der Kritik. Gegenstand war hier weniger die Überlegung über die Ursache des Elends der Betroffenen oder die Bemühung, erträgliche Lebensumstände zu schaffen. Nein, es ging der breiten Masse mehrheitlich darum, ihren Aufenthalt zu verunmöglichen, sie zu verjagen. Die Hasstiraden des CDU-Mannes und Ortsbeiratsmitglieds Bodenstedt endeten schließlich darin, dass ein Brandanschlag, der auf das Haus der Familie verübt, den Opfern selber zugeschrieben wurde. So schloss sich erneut der Kreis der Betrachtung gegenüber dem „Zigeuner“. Er trägt an seinem Elend nicht nur eigene Schuld, sondern stellt diese auch noch unter Beweis, indem er sich selber verbrennt. Unschuldig bleiben in dieser Logik von Gewalt und rechtfertigender Erklärung allein die Täter.

Bei der Festlegung der Route blieb eine weiteres unberücksichtigt. Unweit des Weges, den die Neo-Nazis gehen, wurde am 18. August 1937 das Konzentrationslager Dieselstraße eingerichtet. Ein Lager, das ausschließlich für Roma und Sinti Familien aus Frankfurt und dem Rhein-Main-Gebiet bestimmt war. Bis zu 200 Personen lebten hier unter menschenunwürdigen Bedingungen; Alte, Frauen, Kinder und Kranke. Das spärliche Inventar stammte vom Frankfurter Fürsorgeamt, dessen federführende Initiative die Internierung erst ermöglichte. Die „zigeunermäßige“ Einrichtung zwang die Menschen aus ihren früheren Wohnungen in behelfsmäßige Planwagen. Die Versorgung war fürchterlich. Alle fähigen Personen leisteten Zwangsarbeit in den umliegenden Betrieben. Ein Lageraufseher, Johannes Himmelheber, tat sich besonders hervor. Für ihn war, so einer Überlebender, das Lager eine „Lebensaufgabe“. „Bei jeder Kleinigkeit (wurde) gleich mit der Peitsche auf die Kinder eingeschlagen. Ein fünfjähriges Kind hatte Striemen über Waden, Gesäß und Nacken. Die Wade war aufgeplatzt. Es hatte Löcher im Schädel.“ Das Lager Dieselstraße ergänzte ein weiteres Lager in der Kruppstraße. Von dort aus wurden die Familien nach Auschwitz deportiert. Allein in Auschwitz vergasten die Nazis über 20.000 Roma und Sinti.

Himmelheber ging es nach Kriegsende ähnlich wie den beiden maßgeblichen NS Rasseforschern Ritter und Justin. Sie fanden Stellen in Frankfurt oder sogar bei der Stadtverwaltung und wurden für ihre Verbrechen trotz Anklage nicht zur Verantwortung gezogen. Im Gegensatz zu den Opfern, die teils bis heute – soweit sie noch am leben sind – auf Anerkennung und Schadenersatz warten.

Es spricht Bände und braucht nicht näher kommentiert zu werden, wenn das Verwaltungsgericht Ffm. meint, eine Lösung für den Nazi-Aufmarsch gefunden zu haben. Die Geschichte holt die Verdrängung und Ignoranz immer wieder ein. Bei klarem Blick offenbart sich, dass es keine weißen unbelasteten Flächen gibt.

Ich möchte schließen mit dem Hinweis auf die gegenwärtige Situation der Roma-Flüchtlinge in Frankfurt am Main. Die größte Gemeinde, die Roma aus Rumänien, ist derzeit von Ausweisung und Abschiebung bedroht. Menschen, die bereits seit über zehn Jahren hier leben, deren Kinder in Frankfurt oder Offenbach geboren sind, denen Rumänien fremd ist, werden ultimativ aufgefordert entweder freiwillig auszureisen oder per Zwangsmaßnahme, wie bereits mehrfach geschehen, abgeschoben zu werden. Die Abschiebung bedeutet erneut, Gefahr an Leib und Leben aufgrund rassistischer Angriffe durch die rumänische Polizei oder Teilen der Bevölkerung ausgesetzt zu sein, sie bedeutet die Rückkehr in das soziale Elend und Chancenlosigkeit und die Rückkehr in ein Land, das derzeit geprägt ist von existentiellen Verteilungskämpfen und einer extremen Polarisierung der Gesellschaft in arm und reich. Vor dem Hintergrund wir den Roma in Rumänien die Rolle der Sündenböcke und Verlierer zugewiesen.

Der Protest gegen die Neo-Nazis am 1. Mai sollte angesichts der Situation von Flüchtlingen und speziell der Lage der Roma-Flüchtlinge nicht außer Acht lassen, in welchem breiten gesellschaftlichen Klima sich die Rechte und radikale Rechte wieder organisiert und innerhalb wie außerhalb der bürgerlichen Parteien an Einfluss gewinnt. Antisemitismus und Rassismus als elementare Bestandteile breiter gesellschaftlicher Gesinnung sind hierfür die unabdingbare Voraussetzung. Ziel von Politik und Handlung sind deshalb nicht zuletzt und erneut diejenigen, die bereist vor 60 Jahren ein für alle mal vom Erdboden getilgt werden sollten.

Ihnen hat vor allem unsere Unterstützung zu gehören.

Vielen Dank.


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