Die EU macht ihre
Außengrenzen dicht und dennoch flüchten Tag für Tag Menschen aus Afrika, Asien,
Osteuropa und Lateinamerika nach Europa. Ursachen hierfür sind Elend, Armut,
Hunger, Verfolgung, Perspektivlosigkeit. Die Not der Menschen lässt sie alles
riskieren. Auch die Gesundheit und die tödliche Gefahr an Leib und Leben.
Wer die Entwicklung von Flucht, Ausweisung und Abschiebung mit offenen Augen
verfolgt, stellt fest, dass Flüchtlinge in Abschiebehaft, beim Transport zu Tode
kommen und er stellt fest, dass Flüchtlinge beim Versuch, vor der
Ausweglosigkeit im Herkunftsland zu fliehen, sterben. Die Absicherung der
Grenzen, ein inhumanes Ausländergesetz, die Abschaffung des Rechtes auf Asyl,
das Flughafenverfahren, das neue Gefängnis für Flüchtlinge am Flughafen Ffm.,
das strikte Vorgehen der Ordnungsbehörden beinhaltet die Billigung dieser Toten.
Und wir reden nicht über Einzelfälle. Der Tot von Aamir Ageeb und Kola Bankole
setzt sich fort durch die Erstickten in Containern, die Ertrunkenen im
Mittelmeer und diejenigen, die verdurstet sind, bevor sie europäisches Festland
betreten konnten. Er setzt sich allerdings auch fort durch den offenen und
versteckten Rassismus in Deutschland, der verantwortlich zeichnet für ermordete
Migranten, für jede Bemühung, Flüchtlingen das Leben so unerträglich wie möglich
zu gestalten und diese Haltung gipfelt schließlich in der unvergleichbaren
deutschen Tradition, dem Antisemitismus in Bevölkerung und politischer Elite,
der erneut Opfer zu Täter werden lässt.
Sehr eng daran knüpft der Hass gegenüber den Roma und Sinti an. Gleich, ob es
sich um deutsche Staatsbürger handelt oder um Roma-Flüchtlinge. Im Kern ist
keiner von ihnen willkommen und jeder an seinem Elend selbst schuld. Die
Vernichtung der Roma und Sinti im Nationalsozialismus, die Fortsetzung der
Diskriminierung der Überlebenden und deren Kindeskinder sind die gedanklichen
Grundlagen des modernen Ressentiments und der Ausweisung der Flüchtlinge, die in
den letzten 15 Jahren aus Osteuropa kamen.
Das Argumentationsnetz, ihren Aufenthalt zu versagen, wurde mit administrativer
Gründlichkeit Schritt für Schritt gestrickt. Die Verweigerung der Asylgründe war
der Anfang – ungeachtet der anhaltenden Proteste von vielen Organisationen, die
vor allem nach 1990 anhaltende Menschenrechtsverletzungen gegenüber Roma in
allen osteuropäischen Ländern dokumentieren. Der Abschluss von
Rückübernahmeverträgen mit allen Anrainerstaaten und die jeweilige Modifikation
dieser Vereinbarungen folgte mit dem Ziel, Gesetze effektiv umzusetzen. Im
Klartext heißt das, die Ausweisung und Abschiebung wird erleichtert und die
Aufnahme in den Herkunftsländern wird garantiert.
Gerade Rumänien, ein Land aus dem viele Roma-Flüchtlinge im Rhein-Main-Gebiet
stammen, ist ein Paradebeispiel dieser Politik. Über 80 % der zur Zeit in Ffm.
lebenden aus Rumänien stammenden Roma sollen in den nächsten Jahren ausgewiesen
werden. Etliche Millionen DM, die Anerkennung Rumäniens als EU-Anwärterstaat,
verwaltungsrechtliche Vereinfachungen und Gefälligkeitsgutachten, die die
Abschiebungen der Roma als Akt reiner Menschlichkeit absegnen sind die
Versatzstücke des Prozesses. An seinem Ende stehen verzweifelte Familien, Alte,
Kranke, Kinder, die in ein Land verfrachtet werden, das ihnen Arbeitslosigkeit,
Verfolgung durch Behörden, Armut, Krankheit, den blanken Hass der überwiegenden
Mehrheit der Bevölkerung, ökonomische und soziale Perspektivlosigkeit garantiert.
Allein jedes fünfte Kind der Tagesstätte „Schaworalle“ des Förderverein Roma
soll bis Sommer diesen Jahres ausgewiesen werden. Es sind Kinder, die auch in
Deutschland geboren wurden, die Romanes und Deutsch sprechen - nicht rumänisch
und die in Rumänien, ebenso wie ihre Eltern, keine Chance haben. Bilder über den
Zustand der Roma-Kinder, die viele in den letzten Jahren in verschiedenen
Reportagen gesehen haben, entsprechen der Wahrheit. Gestalten, die auf der
Müllkippe leben, Kinder und Jugendliche, die sich durch Prostitution über Wasser
halten, Minderjährige, die aussehen wie Greise, Familien, deren Hab und Gut in
einer Wellblechhütte besteht, bilden nicht die Ausnahme. Sie sind die Regel.
Der viel bemühte Begriff der Integration entlarvt sich selbst. Es ist letzten
Endes den deutschen Parteipolitikern und Spezialisten gleich, was mit den
Roma-Flüchtlingen passiert. Jeder weiß, dass mit Ihnen keine Stimme zu gewinnen
ist und die Öffentlichkeit honoriert die Abschiebung mit Genugtuung. Roma sind
nicht beliebt. Auch vielen Migranten sind sie lästig, hat doch jeder in jedem
Land, seine eigenen, sprich negativen Erfahrungen mit „Zigeunern“ gemacht. Es
gibt keine breite Solidarität mit Roma und Sinti und am wenigsten mit
Roma-Flüchtlingen.
Wir machen gegenwärtig mehr denn je die Erfahrung, dass es unerheblich ist, ob
die Kinder sich in ihrem Haus, der Kindertagesstätte „Schaworalle“ wohl fühlen,
beachtenswerte Lernfortschritte machen und ihre Eltern sich fieberhaft um die
Sicherung einer akzeptierten Existenz bemühen, also den sogenannten
Integrationsbemühungen nachkommen, oder ob ihnen diese Möglichkeiten nicht zur
Verfügung stehen. Letztendlich ist all das Gerede über Schule, Ausbildung und
Arbeit nicht das Papier Wert, auf dem es steht, denn nach Recht und Gesetz wird
ausgewiesen.
Bei nüchterner Betrachtung bleibt dem Engagement für die Betroffenen allein,
Schlimmeres zu verhindern, Ausweisungen hinauszuzögern, Zeit zu gewinnen, in
Einzelfällen Sand im Getriebe zu sein. Die größeren Entwürfe sind bei der
europäischen Vereinigung bewusst außen vor geblieben. Bleiberechts- und
Härtefallregelungen, Freizügigkeit, die Akzeptanz von Ausgrenzung und Verfolgung
als Grundlage eines dauerhaften Aufenthalts, als Sicherheit und Voraussetzung
für eine menschliche Perspektive galt und gilt nicht für Roma-Flüchtlinge. Die
Luft für humanitäre Lösungen im Sinne der Betroffenen wird nicht nur dünner, sie
existiert nicht mehr. Das Motto seit Beginn diesen Jahres lautet: Vollzug.
Entweder in der zynisch ignoranten Art des subalternen Angestellten einer
Ausländerbehörde oder in der mitleidvollen Feststellung mancher politischen
Bedenkenträger, die letzten Endes nichts ändern können. In der Konsequenz sind
sich beide unausgesprochen einig. Für Flüchtlinge und vor allem für
Roma-Flüchtlinge ist kein Platz. Die in dieser Woche durchgeführte
Innenministerkonferenz stellte das erneut unter Beweis. Ein dauerhaftes
Bleiberecht für Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien gibt es nicht. Über die
Abschiebung von Roma aus Rumänien wurde nicht einmal gesprochen.
Kleine Erfolge – und das kennzeichnet zur Zeit Bewusstsein und Praxis – kleine
Erfolge erringt man nur noch im Einzelfall. Dort wo unter Wahrnehmung
individueller Ermessenspielräume eine Amtsperson hinter die Kulissen blickt und
zwischen Recht und Gerechtigkeit zu unterschieden weiß oder sich jemand wider
die Parteiraison engagiert. Ansonsten dominiert neben der perfekten juristischen
Argumentation der seit Jahrhunderten antrainierte Blick, es bei Roma mit
„Zigeunern“, sprich mit Betrügern und Verbrechern, zu tun zu haben.
Um so wichtiger sind die kleinen praktischen Erfolge und die Proteste der Roma
selbst, wie beispielsweise das Zeltlager jugoslawischer Roma in Essen oder die
Demonstration betroffener Roma-Flüchtlinge vor der Innenministerkonferenz in
Bremerhaven und die Möglichkeit, die Situation und politischen Absichten auf
Veranstaltungen wie der heutigen darzulegen.
Vielen Dank.
Joachim Brenner
Förderverein Roma e.V
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