Rede auf der Demonstration gegen Abschiebung (am 8.6.02, Flughafen Ffm)


Die EU macht ihre Außengrenzen dicht und dennoch flüchten Tag für Tag Menschen aus Afrika, Asien, Osteuropa und Lateinamerika nach Europa. Ursachen hierfür sind Elend, Armut, Hunger, Verfolgung, Perspektivlosigkeit. Die Not der Menschen lässt sie alles riskieren. Auch die Gesundheit und die tödliche Gefahr an Leib und Leben.

Wer die Entwicklung von Flucht, Ausweisung und Abschiebung mit offenen Augen verfolgt, stellt fest, dass Flüchtlinge in Abschiebehaft, beim Transport zu Tode kommen und er stellt fest, dass Flüchtlinge beim Versuch, vor der Ausweglosigkeit im Herkunftsland zu fliehen, sterben. Die Absicherung der Grenzen, ein inhumanes Ausländergesetz, die Abschaffung des Rechtes auf Asyl, das Flughafenverfahren, das neue Gefängnis für Flüchtlinge am Flughafen Ffm., das strikte Vorgehen der Ordnungsbehörden beinhaltet die Billigung dieser Toten. Und wir reden nicht über Einzelfälle. Der Tot von Aamir Ageeb und Kola Bankole setzt sich fort durch die Erstickten in Containern, die Ertrunkenen im Mittelmeer und diejenigen, die verdurstet sind, bevor sie europäisches Festland betreten konnten. Er setzt sich allerdings auch fort durch den offenen und versteckten Rassismus in Deutschland, der verantwortlich zeichnet für ermordete Migranten, für jede Bemühung, Flüchtlingen das Leben so unerträglich wie möglich zu gestalten und diese Haltung gipfelt schließlich in der unvergleichbaren deutschen Tradition, dem Antisemitismus in Bevölkerung und politischer Elite, der erneut Opfer zu Täter werden lässt.

Sehr eng daran knüpft der Hass gegenüber den Roma und Sinti an. Gleich, ob es sich um deutsche Staatsbürger handelt oder um Roma-Flüchtlinge. Im Kern ist keiner von ihnen willkommen und jeder an seinem Elend selbst schuld. Die Vernichtung der Roma und Sinti im Nationalsozialismus, die Fortsetzung der Diskriminierung der Überlebenden und deren Kindeskinder sind die gedanklichen Grundlagen des modernen Ressentiments und der Ausweisung der Flüchtlinge, die in den letzten 15 Jahren aus Osteuropa kamen.

Das Argumentationsnetz, ihren Aufenthalt zu versagen, wurde mit administrativer Gründlichkeit Schritt für Schritt gestrickt. Die Verweigerung der Asylgründe war der Anfang – ungeachtet der anhaltenden Proteste von vielen Organisationen, die vor allem nach 1990 anhaltende Menschenrechtsverletzungen gegenüber Roma in allen osteuropäischen Ländern dokumentieren. Der Abschluss von Rückübernahmeverträgen mit allen Anrainerstaaten und die jeweilige Modifikation dieser Vereinbarungen folgte mit dem Ziel, Gesetze effektiv umzusetzen. Im Klartext heißt das, die Ausweisung und Abschiebung wird erleichtert und die Aufnahme in den Herkunftsländern wird garantiert.

Gerade Rumänien, ein Land aus dem viele Roma-Flüchtlinge im Rhein-Main-Gebiet stammen, ist ein Paradebeispiel dieser Politik. Über 80 % der zur Zeit in Ffm. lebenden aus Rumänien stammenden Roma sollen in den nächsten Jahren ausgewiesen werden. Etliche Millionen DM, die Anerkennung Rumäniens als EU-Anwärterstaat, verwaltungsrechtliche Vereinfachungen und Gefälligkeitsgutachten, die die Abschiebungen der Roma als Akt reiner Menschlichkeit absegnen sind die Versatzstücke des Prozesses. An seinem Ende stehen verzweifelte Familien, Alte, Kranke, Kinder, die in ein Land verfrachtet werden, das ihnen Arbeitslosigkeit, Verfolgung durch Behörden, Armut, Krankheit, den blanken Hass der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, ökonomische und soziale Perspektivlosigkeit garantiert.

Allein jedes fünfte Kind der Tagesstätte „Schaworalle“ des Förderverein Roma soll bis Sommer diesen Jahres ausgewiesen werden. Es sind Kinder, die auch in Deutschland geboren wurden, die Romanes und Deutsch sprechen - nicht rumänisch und die in Rumänien, ebenso wie ihre Eltern, keine Chance haben. Bilder über den Zustand der Roma-Kinder, die viele in den letzten Jahren in verschiedenen Reportagen gesehen haben, entsprechen der Wahrheit. Gestalten, die auf der Müllkippe leben, Kinder und Jugendliche, die sich durch Prostitution über Wasser halten, Minderjährige, die aussehen wie Greise, Familien, deren Hab und Gut in einer Wellblechhütte besteht, bilden nicht die Ausnahme. Sie sind die Regel.

Der viel bemühte Begriff der Integration entlarvt sich selbst. Es ist letzten Endes den deutschen Parteipolitikern und Spezialisten gleich, was mit den Roma-Flüchtlingen passiert. Jeder weiß, dass mit Ihnen keine Stimme zu gewinnen ist und die Öffentlichkeit honoriert die Abschiebung mit Genugtuung. Roma sind nicht beliebt. Auch vielen Migranten sind sie lästig, hat doch jeder in jedem Land, seine eigenen, sprich negativen Erfahrungen mit „Zigeunern“ gemacht. Es gibt keine breite Solidarität mit Roma und Sinti und am wenigsten mit Roma-Flüchtlingen.

Wir machen gegenwärtig mehr denn je die Erfahrung, dass es unerheblich ist, ob die Kinder sich in ihrem Haus, der Kindertagesstätte „Schaworalle“ wohl fühlen, beachtenswerte Lernfortschritte machen und ihre Eltern sich fieberhaft um die Sicherung einer akzeptierten Existenz bemühen, also den sogenannten Integrationsbemühungen nachkommen, oder ob ihnen diese Möglichkeiten nicht zur Verfügung stehen. Letztendlich ist all das Gerede über Schule, Ausbildung und Arbeit nicht das Papier Wert, auf dem es steht, denn nach Recht und Gesetz wird ausgewiesen.

Bei nüchterner Betrachtung bleibt dem Engagement für die Betroffenen allein, Schlimmeres zu verhindern, Ausweisungen hinauszuzögern, Zeit zu gewinnen, in Einzelfällen Sand im Getriebe zu sein. Die größeren Entwürfe sind bei der europäischen Vereinigung bewusst außen vor geblieben. Bleiberechts- und Härtefallregelungen, Freizügigkeit, die Akzeptanz von Ausgrenzung und Verfolgung als Grundlage eines dauerhaften Aufenthalts, als Sicherheit und Voraussetzung für eine menschliche Perspektive galt und gilt nicht für Roma-Flüchtlinge. Die Luft für humanitäre Lösungen im Sinne der Betroffenen wird nicht nur dünner, sie existiert nicht mehr. Das Motto seit Beginn diesen Jahres lautet: Vollzug. Entweder in der zynisch ignoranten Art des subalternen Angestellten einer Ausländerbehörde oder in der mitleidvollen Feststellung mancher politischen Bedenkenträger, die letzten Endes nichts ändern können. In der Konsequenz sind sich beide unausgesprochen einig. Für Flüchtlinge und vor allem für Roma-Flüchtlinge ist kein Platz. Die in dieser Woche durchgeführte Innenministerkonferenz stellte das erneut unter Beweis. Ein dauerhaftes Bleiberecht für Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien gibt es nicht. Über die Abschiebung von Roma aus Rumänien wurde nicht einmal gesprochen.

Kleine Erfolge – und das kennzeichnet zur Zeit Bewusstsein und Praxis – kleine Erfolge erringt man nur noch im Einzelfall. Dort wo unter Wahrnehmung individueller Ermessenspielräume eine Amtsperson hinter die Kulissen blickt und zwischen Recht und Gerechtigkeit zu unterschieden weiß oder sich jemand wider die Parteiraison engagiert. Ansonsten dominiert neben der perfekten juristischen Argumentation der seit Jahrhunderten antrainierte Blick, es bei Roma mit „Zigeunern“, sprich mit Betrügern und Verbrechern, zu tun zu haben.

Um so wichtiger sind die kleinen praktischen Erfolge und die Proteste der Roma selbst, wie beispielsweise das Zeltlager jugoslawischer Roma in Essen oder die Demonstration betroffener Roma-Flüchtlinge vor der Innenministerkonferenz in Bremerhaven und die Möglichkeit, die Situation und politischen Absichten auf Veranstaltungen wie der heutigen darzulegen.

Vielen Dank.

Joachim Brenner
Förderverein Roma e.V



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