Roma – im weitesten Sinne – leben in allen
Ländern Europas.
Obwohl sie eine gemeinsame Sprache mit vielen Dialekten sprechen, eine eigene
Kultur haben, haben sie in ihrer fast tausendjährigen Geschichte nie, wie viele
andere ethnische Gruppen, ein eigenes Territorium beansprucht.
Europa ist „ihr Land“, sie sind in
allen Ländern Europas „zu Hause“ und haben in verschiedenen europäischen Ländern
Verwandte, die ihnen näher sind als die Nachbarn an dem Ort, wo sie gerade
wohnen.
Viele von ihnen sind nirgendwo „Inländer“, auch wenn sie den einen oder anderen
Pass besitzen. Deshalb sind sie – genau genommen –
keine Ausländer.
Sie brauchen
sowohl Bleiberecht
in Deutschland
als auch
Freizügigkeit in Europa!
Wahrscheinlich gibt es keine Gruppe von Menschen, die in allen Ländern so
radikal von den Mehrheitsgesellschaften ausgegrenzt, ja abgelehnt wurde und
wird.
Es gibt nicht nur ein riesiges Spektrum von
Vorurteilen gegenüber „Zigeunern“:
seit Jahrhunderten machen Roma die Erfahrung
von Ausgrenzung, Ablehnung, Verfolgung und Vertreibung. So haben sie
Überlebensstrategien entwickelt, die den Mehrheitsgesellschaften fremd, oder
sogar bedrohlich erscheinen. Beide Seiten grenzen sich gegeneinander ab, das
gegenseitige Misstrauen scheint unüberwindlich.
Akzeptanz und Verständnis zwischen den Roma und der übrigen Bevölkerung
aufzubauen braucht Zeit, Geduld, Phantasie und Engagement, kostet Geld und setzt
politischen Willen voraus.
Über diese Aufgabe wird dank der energischen Intervention der verschiedenen
Roma- und Sinti - Vereinigungen in den europäischen Gremien inzwischen
wenigstens nachgedacht.
Am Umgang mit Minderheiten zeigt sich, ob die Menschenrechte von einer
Gesellschaft ernst genommen werden.
An diese triviale Wahrheit muss ständig neu erinnert werden.
In den Bereichen von
Gesundheit , Wohnen und vor allem Bildung ist die Situation der Roma in allen
europäischen Ländern sehr schlecht, teilweise katastrophal. Mehr als die Hälfte
der Personen hat keine Schulbildung.
In der
Europäischen Union wurden und werden Vorschläge und Richtlinien
entwickelt, wie die Bildungssituation der
Roma-Kinder verbessert werden kann. Entsprechende Initiativen sollen
gefördert werden.
Der Förderverein Roma e.V. mit seiner Kindertagesstätte Schaworalle und der
Familienberatungsstelle
– ist eine solche Initiative, die in ihrer Art
mindestens in Deutschland einmalig ist. Die
Stadt Frankfurt am Main sollte stolz darauf sein.
Warum funktioniert die Arbeit von Schaworalle? Hier wird nicht nur
geklagt und angeklagt, sondern ein Gegenentwurf praktiziert. Hier sind
Mitarbeiter – Roma und Nicht-Roma -, die zeigen, dass es möglich ist, mit den
Kindern und ihren Familien zu arbeiten. Das Lernen ist nicht fremdbestimmt,
sondern richtet sich nach den Bedürfnissen und individuellen Fähigkeiten der
Kinder und berücksichtigt die Lebensumstände der Familien.
Die Beratungsstelle des Fördervereins
hat regen Zuspruch. Die Nachfrage nach Beratung geht inzwischen weit
über Frankfurt hinaus.
Familien, die noch nicht einmal Sozialhilfe beziehen, schicken ihre
Kinder zum Lernen in die Schaworalle – statt zum Betteln auf die Straße.
Kinder spielen und lernen hier, im Kindergarten, in den Schulgruppen und
im Freizeitbereich. Einige schaffen den Schritt in die Regelschule und
bekommen auch dabei Unterstützung von Schaworalle. Inzwischen wird auch
über Projekte nachgedacht, die Jugendlichen den Weg in die Erwerbsarbeit
anbahnen könnten.
Viele Familien haben im Zusammenhang damit angefangen, mittelfristige
Perspektiven für ihr Leben zu entwickeln.
Beachtliche Schritte
auf dem Weg zur „Integration“ werden vollzogen!
Schaworalle arbeitet mit Roma, die aus
Rumänien kommen und zum großen Teil schon mehr als zehn Jahre in
Deutschland sind. Viele Kinder sind hier geboren und aufgewachsen. Ihre
aufenthaltsrechtliche und wirtschaftliche Situation war von Anfang an
problematisch und wird immer schwieriger. Mit der in 2001 getroffenen
Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien, die
die Rücknahme aller rumänischen Staatsbürger betrifft, ist die
Unsicherheit dem Gefühl von realer Bedrohung gewichen. In den Familien,
aber auch in unserer Einrichtung, wird oft über nichts anderes mehr
gesprochen.
Die Arbeit von Schaworalle wird dadurch
behindert und stark beeinträchtigt.
Seit die Angst vor Ausweisung größer und realer
wird, kommen Kinder weniger regelmäßig, sind weniger
lernmotiviert, können sich schlechter konzentrieren.
Ganz konkret: droht zur Zeit die Abschiebung von zwei Familien. Fünf
ihrer Kinder werden seit langer Zeit und besonders erfolgreich von „Schaworalle“
betreut.
Wir Mitarbeiter von Schaworalle fühlen diese Bedrohung mit den Familien.
Wir sind verantwortlich für diese Kinder.
Unsere pädagogische Arbeit wäre fragwürdig, wenn wir uns nicht um die
existentiellen Belange der Familien kümmern würden.
Auch
die Stadt
Frankfurt hat Verantwortung gegenüber den Kindern, die in der
Kindertagesstätte lernen und leben. Die Stadt kann und soll auf die
Ausländerpolitik Einfluss nehmen, damit die rumänischen Roma-Familien in
Frankfurt bleiben können!
Die Erfahrung zeigt, dass Roma-Familien
nicht in Rumänien bleiben, wenn sie ausgewiesen werden. Die
Lebensbedingungen sind für sie dort so schlecht, dass sie nach anderen
Wegen suchen. Sie gehen in ein anderes europäisches Land – oder auch
wieder nach Deutschland, wo sie den Anschluss an vorher angebahnte
Lebensperspektiven nicht mehr wieder finden.
Die Ausweisung
„funktioniert“ nicht.
Legalisiert man ihren Status hier nicht, treibt man sie in die
Illegalität, in erneute Unsicherheit, in einen ungesicherten Neuanfang.
Wer dauerhaft nirgends ein Recht hat, immer auf gepackten Koffern sitzt,
für den bringt die Teilnahme an Bildungsmaßnahmen nichts.
Der Teufelskreis beginnt an jedem Ort neu: Vorurteile - Leben auf oder
unter dem Existenzminimum – schlecht bezahlte, harte Arbeit - Armut -
Betteln – Kriminalität – Randständigkeit – Ausgrenzung –
Perspektivlosigkeit.
Bleiberecht,
Lebenssicherung, Chancen zur Entwicklung von Perspektiven würden den
Teufelskreis durchbrechen – würden sich auch positiv auf die
Kriminalstatistik auswirken.
In europäischen Städten müssen
Möglichkeiten geschaffen werden, dass Roma menschenwürdig leben und
Perspektiven aufbauen können, um den Kreislauf von Armut
Randständigkeit, Ausgrenzung, Kriminalität zu unterbrechen. Nur so kann
der europäischen Minderheit die Chance gegeben werden, die ihr seit
Jahrhunderten verweigert wird.
Roma brauchen sowohl Bleiberecht
in Deutschland
als auch
Freizügigkeit in Europa
Ffm., den 5.2.2002
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