Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter / Roma und Sinti (Okt. 2002)


"Das falsche Wort" 

Melanie Spitta und Kathrin Seibold gaben ihrer Dokumentation über Entschädigung und Wiedergutmachung von während des Nationalsozialismus verfolgten Roma und Sinti den Titel "Das falsche Wort". Ignoranz und Verweigerung ebenso wie die Unmöglichkeit, die industrielle Vernichtung durch Geldbeträge wieder gut zu machen, wurden so auf den Punkt gebracht. Diese Verhaltensweisen in Bezug auf  setzt sich ähnlich fort nach der Gründung der .
Die Aufnahme des Zentralrats der deutschen Sinti und Roma in das Kuratorium steht knapp zwei Jahre nach Beginn der Stiftungstätigkeit immer noch aus, Gesetzeslücken verhindern die Vertretung. Von den drei bis viertausend Roma und Sinti wurden bisher etwa tausend teilentschädigt und zwar mit einem geringeren Betrag als andere Opfergruppen. Allein der Protest der Betroffenen Ende letzten Jahres vor dem Bundesfinanzministerium eröffnete die Zusammenarbeit der internationalen Migrantenorganisation IOM, die die Prüfung und Abwicklung der Zahlungen übernimmt, mit dem Zentralrat. Die Kritik seitens des Verbandes: die IOM ist maßlos überfordert und verschleppt durch unprofessionelle Arbeit die Zahlungen. Die IOM bemängelt ihrerseits, dass viele Roma und Sinti in KZ-Listen nicht geführt wurden und Arbeitslager nicht ohne weiteres als Haftstätten anerkannt werden. Eine unglaubliche Vorgehensweise, wenn man bedenkt, dass bereits 1942 per Erlass feststand, "Juden und Zigeuner schlechthin zu vernichten, am besten durch Arbeit". Das Haftstättenverzeichnis liegt nach etlichen Auseinandersetzungen nunmehr in erweiterter Form vor. Zudem konnte die ursprüngliche Absicht der Bundesregierung, Opfer, die eine spärliche Rente beziehen, von der Entschädigung vollends auszunehmen, nur durch nachhaltigen Druck des Zentralrates abgewendet werden.
Dennoch, der aktuellen Gleichsetzung des Entschädigungsteilbetrages mit dem Niveau anderer Opfergruppen steht die hinlänglich bekannte Tatsache gegenüber, dass die Mehrzahl der Menschen etwa 80 Jahre alt ist und bisher bereits 60 Personen starben.

Einige Beispiele, die belegen, welche Geschichte sich hinter Zahlen und Namen verbirgt.

Frau S. wurde 1924 geboren. Mit 19 Jahren kam sie und ihre gesamte Familie von Köln nach Auschwitz, von Auschwitz nach Ravensbrück und schließlich ins Lager Schwarzenforst. Frau S. wurde schwer misshandelt, leistete Zwangsarbeit bei Heinkel und Siemens. Sie ist zu 70 % behindert, leidet an Herz- und Gelenkkrankheiten und kann sich ohne Hilfe nicht fortbewegen. Die KZ-Nummer trägt sie, ebenso wie ihr Bruder, der der einzig überlebende Verwandte ist, auf dem Arm. Frau S. erhielt bisher lediglich ein Drittel der Summe, die Sklavenarbeiterinnen zusteht. Frühere Zahlungen wurden unberechtigterweise angerechnet. Ein Widerspruch ist anhängig.

Frau W. wurde 1922 geboren. 1939 deportierten die Nazis sie von Hamburg nach Warschau ins Ghetto. Von dort nach Tomaschov, nach Ravensbrück und Bergen-Belsen. Frau W. bekam 25 Schläge mit dem Ochsenziemer, wurde an Kopf und Operkörper schwer verletzt und im mit Wasser gefüllten Stehbunker arretiert. Gearbeitet hat sie in einer Planierkolonne, im Steinbruch und in der Rüstungsindustrie. Obwohl alle Unterlagen vollständig sind, Akten der Bundesentschädigungsbehörde vorliegen ist bis heute keine Zahlung an Frau W. seitens der Bundesstiftung ergangen. Interventionen beim Büro der IOM in Berlin und in Genf blieben erfolglos. Zu viele Anträge, zu viel Arbeit ist die Standardantwort. Das Krankheitsbild von Frau W. bestätigt ernst zu nehmende Herz-, Lungen- und Gelenkbeschwerden. Ihr Behindertenstatus weist 100 % aus.

Herr G ist 68 Jahre alt. Als Junge von sechs Jahren kam die Deportation von Köln in die Ghettos Platerow, Sidlice und Warschau. Das Kind musste bei Gleis- und Bauarbeiten für die Wehrmacht helfen und in einer Munitionsfabrik in Oranienburg arbeiten. Allein die Flucht und ein Dasein im Untergrund rettete das Leben. 1950 und 1959 leisteten der Entschädigungsausschuss Wanne-Eickel und das Regierungspräsidium Arnsberg einmalige Zahlungen. Eine Rente wurde verweigert, weil das RP Arnsberg die festgestellte Herzneurose bereits 1960 als nicht verfolgungsbedingt einschätzte. 1966 kam eine weitere Ablehnung der Landesentschädigungsbehörde NRW hinzu, die urteilte, dass kein Schaden an Körper und Gesundheit vorläge. Auch das Innenministerium bestätigte zwei Jahre später, es ist kein Anspruch aufgrund des Verlustes an Ausbildung während der NS-Zeit geltend zu machen, da die Schulbildung ja nach 45 hätte nachgeholt werden können. Herr G. musste sich erstrangig um die Versorgung der wenigen Familienüberlebenden kümmern. Für Schule gab es weder Zeit noch Möglichkeit. Das Innenministerium sah das anders und begründete den Bescheid mit den Worten, Herr G. habe auf die Ausbildung wohl "keinen besonderen Wert gelegt...". Eine Argumentation, die an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes anknüpfte, das lange Zeit aus Opfern Täter machte. Es konstatierte höchstrichterlich bis in die 60er Jahre, dass Roma und Sinti aufgrund von Straftaten zu Recht in der NS-Zeit in Konzentrationslager inhaftiert wurden und somit kein Anspruch auf Entschädigung bestehe.
Die Bewilligung einer Beihilfe beim Bezirksamt Köln verlief vor zwei Jahren ebenfalls negativ, da bereits entschädigt worden sei. Wie bereits erwähnt, vor fünfzig Jahren mit einer einmaligen Summe. Der Antrag bei der Bundesstiftung kam zu spät. Herr G. reichte einige Dokumente erst in diesem Jahr ein. Er glaubt nicht mehr an eine Entschädigung.

Herr L. wurde 1943 mit neun Jahren nach Auschwitz verfrachtet. Er kam mit seiner Familie aus Leipzig. Als Neunjähriger baute er das Nebenlager Birkenau mit auf. Den Todesmarsch nach Buchenwald überlebte Herr L., ebenso die Misshandlungen, das Fleckfieber und den Typhus. Was blieb ist eine spärliche Opferrente, die frühe Erwerbsunfähigkeit und ein extremer Hörschaden. Der früh gestellte Antrag bei der Bundesstiftung hat noch nichts ergeben. Auch eine Inaussichtstellung, ob und wann mit Geldern zu rechnen sei, ist nicht möglich. Die eintätowierte KZ-Nummer und die Bestätigung durch das Gedenkbuch Auschwitz-Birkenau reicht nicht aus. Ohne die Hilfe seiner Frau, die er im Lager kennen lernte, kann Herr L. den Alltag kaum bewältigen.

Frau P., 1930 geboren, mit Herrn L. verheiratet, kam von Berlin nach Auschwitz, nach Ravensbrück und nach Bergen-Belsen. Die Zwangsarbeit im Steinbruch, die Schläge der SS und der Typhus bedingen die heutige schlechte gesundheitliche Verfassung, die Magen- und Knochenkrankheit. Der NRW-Härtefonds gewährte eine kleine Rente. Ihr Antrag bei der Bundesstiftung wurde früh gestellt. Alle Bestätigungen, so wie sie auch ihr Mann vorweisen kann, haben bisher nichts genützt. Es wird immer noch geprüft.

Fazit eines kleinen Ausblicks. Drei von vier Antragsteller haben nach 1 ½ Jahren immer noch keine Entschädigung aus Mitteln der Bundesstiftung erhalten. Bei Frau S. hat der geleistete Betrag nicht mal symbolischen Wert. Herr G. ist die Zermürbungstaktik leid, sein Antrag kann die Frist nicht mehr wahren.
Die Menschen sind alt und leiden an verfolgungsbedingten schweren Krankheiten, die nur noch eine kurze Lebensperspektive zulassen. Nicht zur Sprache kam der Diebstahl von Schmuck und Bargeld. Die Rede ist ebenso wenig von dem Raub an Kindheit und Jugend, von Traumatisierungen aufgrund des Verlustes der Eltern oder anderer enger Familienmitglieder, die im Gas geblieben sind. In den Arztberichten sprechen die Experten von extremen Angstzuständen, Schlaflosigkeit, von Apathie, Suizidgefährdung, Antriebslosigkeit, Isolation und Verzweiflung.
Allerdings gibt es eine Ausnahme. Herrn W. wurde Mitte diesen Jahres die Entschädigung aus einem österreichischen Fonds zugesprochen. Zwei Tage vor der Auszahlung starb er in Frankfurt am Main.


Joachim Brenner
Förderverein Roma e.V



Zum Seitenanfang