"Das falsche
Wort"
Melanie Spitta und Kathrin Seibold gaben ihrer Dokumentation über Entschädigung
und Wiedergutmachung von während des Nationalsozialismus verfolgten Roma und
Sinti den Titel "Das falsche Wort". Ignoranz und Verweigerung ebenso wie die
Unmöglichkeit, die industrielle Vernichtung durch Geldbeträge wieder gut zu
machen, wurden so auf den Punkt gebracht. Diese Verhaltensweisen in Bezug auf setzt sich ähnlich fort nach der Gründung der
.
Die Aufnahme des Zentralrats der deutschen Sinti und Roma in das Kuratorium
steht knapp zwei Jahre nach Beginn der Stiftungstätigkeit immer noch aus,
Gesetzeslücken verhindern die Vertretung. Von den drei bis viertausend Roma und
Sinti wurden bisher etwa tausend teilentschädigt und zwar mit einem geringeren
Betrag als andere Opfergruppen. Allein der Protest der Betroffenen Ende letzten
Jahres vor dem Bundesfinanzministerium eröffnete die Zusammenarbeit der
internationalen Migrantenorganisation IOM, die die Prüfung und Abwicklung der
Zahlungen übernimmt, mit dem Zentralrat. Die Kritik seitens des Verbandes: die
IOM ist maßlos überfordert und verschleppt durch unprofessionelle Arbeit die
Zahlungen. Die IOM bemängelt ihrerseits, dass viele Roma und Sinti in KZ-Listen
nicht geführt wurden und Arbeitslager nicht ohne weiteres als Haftstätten
anerkannt werden. Eine unglaubliche Vorgehensweise, wenn man bedenkt, dass
bereits 1942 per Erlass feststand, "Juden und Zigeuner schlechthin zu
vernichten, am besten durch Arbeit". Das Haftstättenverzeichnis liegt nach
etlichen Auseinandersetzungen nunmehr in erweiterter Form vor. Zudem konnte die
ursprüngliche Absicht der Bundesregierung, Opfer, die eine spärliche Rente
beziehen, von der Entschädigung vollends auszunehmen, nur durch nachhaltigen
Druck des Zentralrates abgewendet werden.
Dennoch, der aktuellen Gleichsetzung des Entschädigungsteilbetrages mit dem
Niveau anderer Opfergruppen steht die hinlänglich bekannte Tatsache gegenüber,
dass die Mehrzahl der Menschen etwa 80 Jahre alt ist und bisher bereits 60
Personen starben.
Einige Beispiele, die belegen, welche Geschichte sich hinter Zahlen und Namen
verbirgt.
Frau S. wurde 1924 geboren. Mit 19 Jahren kam sie und ihre gesamte Familie von
Köln nach Auschwitz, von Auschwitz nach Ravensbrück und schließlich ins Lager
Schwarzenforst. Frau S. wurde schwer misshandelt, leistete Zwangsarbeit bei
Heinkel und Siemens. Sie ist zu 70 % behindert, leidet an Herz- und
Gelenkkrankheiten und kann sich ohne Hilfe nicht fortbewegen. Die KZ-Nummer
trägt sie, ebenso wie ihr Bruder, der der einzig überlebende Verwandte ist, auf
dem Arm. Frau S. erhielt bisher lediglich ein Drittel der Summe, die
Sklavenarbeiterinnen zusteht. Frühere Zahlungen wurden unberechtigterweise
angerechnet. Ein Widerspruch ist anhängig.
Frau W. wurde 1922 geboren. 1939 deportierten die Nazis sie von Hamburg nach
Warschau ins Ghetto. Von dort nach Tomaschov, nach Ravensbrück und
Bergen-Belsen. Frau W. bekam 25 Schläge mit dem Ochsenziemer, wurde an Kopf und
Operkörper schwer verletzt und im mit Wasser gefüllten Stehbunker arretiert.
Gearbeitet hat sie in einer Planierkolonne, im Steinbruch und in der
Rüstungsindustrie. Obwohl alle Unterlagen vollständig sind, Akten der
Bundesentschädigungsbehörde vorliegen ist bis heute keine Zahlung an Frau W.
seitens der Bundesstiftung ergangen. Interventionen beim Büro der IOM in Berlin
und in Genf blieben erfolglos. Zu viele Anträge, zu viel Arbeit ist die
Standardantwort. Das Krankheitsbild von Frau W. bestätigt ernst zu nehmende
Herz-, Lungen- und Gelenkbeschwerden. Ihr Behindertenstatus weist 100 % aus.
Herr G ist 68 Jahre alt. Als Junge von sechs Jahren kam die Deportation von Köln in
die Ghettos Platerow, Sidlice und Warschau. Das Kind musste bei Gleis- und
Bauarbeiten für die Wehrmacht helfen und in einer Munitionsfabrik in Oranienburg
arbeiten. Allein die Flucht und ein Dasein im Untergrund rettete das Leben. 1950
und 1959 leisteten der Entschädigungsausschuss Wanne-Eickel und das
Regierungspräsidium Arnsberg einmalige Zahlungen. Eine Rente wurde verweigert,
weil das RP Arnsberg die festgestellte Herzneurose bereits 1960 als nicht
verfolgungsbedingt einschätzte. 1966 kam eine weitere Ablehnung der
Landesentschädigungsbehörde NRW hinzu, die urteilte, dass kein Schaden an Körper
und Gesundheit vorläge. Auch das Innenministerium bestätigte zwei Jahre später,
es ist kein Anspruch aufgrund des Verlustes an Ausbildung während der NS-Zeit
geltend zu machen, da die Schulbildung ja nach 45 hätte nachgeholt werden
können. Herr G. musste sich erstrangig um die Versorgung der wenigen
Familienüberlebenden kümmern. Für Schule gab es weder Zeit noch Möglichkeit. Das
Innenministerium sah das anders und begründete den Bescheid mit den Worten, Herr
G. habe auf die Ausbildung wohl "keinen besonderen Wert gelegt...". Eine
Argumentation, die an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes
anknüpfte, das lange Zeit aus Opfern Täter machte. Es konstatierte
höchstrichterlich bis in die 60er Jahre, dass Roma und Sinti aufgrund von
Straftaten zu Recht in der NS-Zeit in Konzentrationslager inhaftiert wurden und
somit kein Anspruch auf Entschädigung bestehe.
Die Bewilligung einer Beihilfe beim Bezirksamt Köln verlief vor zwei Jahren
ebenfalls negativ, da bereits entschädigt worden sei. Wie bereits erwähnt, vor
fünfzig Jahren mit einer einmaligen Summe. Der Antrag bei der Bundesstiftung kam
zu spät. Herr G. reichte einige Dokumente erst in diesem Jahr ein. Er glaubt
nicht mehr an eine Entschädigung.
Herr L. wurde 1943 mit neun Jahren nach Auschwitz verfrachtet. Er kam mit seiner
Familie aus Leipzig. Als Neunjähriger baute er das Nebenlager Birkenau mit auf.
Den Todesmarsch nach Buchenwald überlebte Herr L., ebenso die Misshandlungen,
das Fleckfieber und den Typhus. Was blieb ist eine spärliche Opferrente, die
frühe Erwerbsunfähigkeit und ein extremer Hörschaden. Der früh gestellte Antrag
bei der Bundesstiftung hat noch nichts ergeben. Auch eine Inaussichtstellung, ob
und wann mit Geldern zu rechnen sei, ist nicht möglich. Die eintätowierte
KZ-Nummer und die Bestätigung durch das Gedenkbuch Auschwitz-Birkenau reicht
nicht aus. Ohne die Hilfe seiner Frau, die er im Lager kennen lernte, kann Herr
L. den Alltag kaum bewältigen.
Frau P., 1930 geboren, mit Herrn L. verheiratet, kam von Berlin nach Auschwitz,
nach Ravensbrück und nach Bergen-Belsen. Die Zwangsarbeit im Steinbruch, die
Schläge der SS und der Typhus bedingen die heutige schlechte gesundheitliche
Verfassung, die Magen- und Knochenkrankheit. Der NRW-Härtefonds gewährte eine
kleine Rente. Ihr Antrag bei der Bundesstiftung wurde früh gestellt. Alle
Bestätigungen, so wie sie auch ihr Mann vorweisen kann, haben bisher nichts
genützt. Es wird immer noch geprüft.
Fazit eines kleinen Ausblicks. Drei von vier Antragsteller haben nach 1 ½ Jahren
immer noch keine Entschädigung aus Mitteln der Bundesstiftung erhalten. Bei Frau
S. hat der geleistete Betrag nicht mal symbolischen Wert. Herr G. ist die
Zermürbungstaktik leid, sein Antrag kann die Frist nicht mehr wahren.
Die Menschen sind alt und leiden an verfolgungsbedingten schweren Krankheiten,
die nur noch eine kurze Lebensperspektive zulassen. Nicht zur Sprache kam der
Diebstahl von Schmuck und Bargeld. Die Rede ist ebenso wenig von dem Raub an
Kindheit und Jugend, von Traumatisierungen aufgrund des Verlustes der Eltern
oder anderer enger Familienmitglieder, die im Gas geblieben sind. In den
Arztberichten sprechen die Experten von extremen Angstzuständen,
Schlaflosigkeit, von Apathie, Suizidgefährdung, Antriebslosigkeit, Isolation und
Verzweiflung.
Allerdings gibt es eine Ausnahme. Herrn W. wurde Mitte diesen Jahres die
Entschädigung aus einem österreichischen Fonds zugesprochen. Zwei Tage vor der
Auszahlung starb er in Frankfurt am Main.
Joachim Brenner
Förderverein Roma e.V
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