Der Förderverein Roma, Mitglied der AG
ausgegrenzte Opfer, veranstaltete am 26.1.03, um 17.00 Uhr, im Historischen
Museum Frankfurt am Main, Am Römerberg, anlässlich des Gedenktages zur Befreiung
des Vernichtungslagers Auschwitz einen Abend mit dem Thema
"Verfolgung
und Vernichtung der Roma und Sinti. Frankfurter Roma berichten über die
verweigerte Entschädigung"
In der
Veranstaltung kamen Frankfurter Roma, die das KZ überlebt haben, zu Wort.
In einem zweiten Teil wurde über die Geschichte der verweigerten Entschädigung
nach 1945 berichtet.
Völkermord und zweite Verfolgung. Gedenktag zur Befreiung des
Vernichtungslagers Auschwitz
Mit der Machtübernahme der Nazis am 30. Januar 1933 begann eine Zeit, die für
Millionen von Menschen Verfolgung, Schrecken und Tod bedeutete.
Wir sind heute hier, um dem Völkermord an Roma und Sinti in der Zeit des Dritten
Reiches zu gedenken.
1. Teil: Die Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma in der NS-Zeit
Bereits ab 1933 waren Sinti und Roma im Deutschen Reich einer verstärkten
Diskriminierung und Schikanierung ausgesetzt, die sich in ihrem Wesen aber nicht
sonderlich von der "Zigeunerpolitik" der Weimarer Republik unterschied.
Ab dem Jahre 1936 änderte sich dies. Eine "Reichszentrale zur Bekämpfung des
Zigeunerunwesens" wurde gegründet, um dem Reichskriminalpolizeiamt eine
effektive Kontrolle der Roma und Sinti in den Gebieten des Altreiches zu
garantieren.
Ebenfalls 1936 wurde der Psychiater Robert Ritter Leiter der "Rassenhygienischen
und Bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle". Im war aufgetragen, die Frage
der "Asozialen" zu klären, zu denen auch die Zigeuner gerechnet wurden.
Anfängliches Ziel war es, diese auf lange Sicht durch Sterilisation auszumerzen,
analog dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses". Ritters Institut
untersuchte die Sinti und Roma im Altreich nach rassehygienischen Kriterien bis
ins Jahr 1941. Die erstellten Gutachten dienten den Polizeibehörden dann zur
Verfolgung der als asozial und kriminell eingestuften "Zigeunermischlinge". In
der wahnsinnigen Ideologie der Nazis galten die wenigsten als "reinrassige
Zigeuner arischen Ursprungs", von denen für das deutsche Volk keine Gefahr
ausgehe. Diese absurde und menschenverachtende Unterscheidung hatte dann aber
spätestens innerhalb der Stacheldrahtzäune der KZ und Sklavenarbeitslager ihre
Bedeutung verloren.
Ab 1936 wurde in verschiedenen Städten begonnen, Roma und Sinti in bewachten
Lagern zu sammeln, von denen sie später zu Zwangsarbeiten herangezogen werden
konnten. Von hier aus konnten die Menschen dann auch einfacher deportiert
werden.
Anfänglich waren es Zwangssterilisationen, Verfolgung und Verhaftung von
Einzelpersonen, ab 1939 begann der NS-Staat mit den ersten Abtransporten von
Roma und Sinti in größeren Gruppen nach Polen. Anfang 1943 dann Himmlers Befehl
zur Deportation der Sinti und Roma nach Auschwitz.
Auschwitz-Birkenau II e, das war das sogenannte Zigeunerlager:
Aufgrund ein paar weniger sogenannter "Vergünstigungen" wurde Birkenau von der
Lagerleitung als Modellager vorgestellt. Die Essensversorgung war miserabel, die
kraftlosen Körper konnten den zahlreichen Krankheiten im Lager nichts
entgegensetzen, es starben über 13.000 Menschen aufgrund dieser
Lebensbedingungen, eine Sterberate, die weit über dem Durchschnitt von Auschwitz
lag.
Im Sommer 1944 lebten wegen dieser Bedingungen und der Überstellung von einigen
Menschen in andere Lager nur noch maximal 6500 Sinti und Roma in
Auschwitz-Birkenau (1943 waren es zeitweise 14.000). Von diesen wurden die
arbeitsfähigen Menschen und eineiige Zwillinge für Mengeles Versuche ins
Hauptlager überstellt. Der Arzt Mengele war einer der Mediziner, die grausame,
angeblich wissenschaftliche Versuche an Menschen unternahmen. Für sie waren die
betroffenen Menschen nur eine Ware und Versuchsobjekte. Die Erwachsenen und
Kinder, die die unmenschlichen Versuche überlebten, wurden umgebracht, wenn sie
für die perverse sogenannte medizinische Wissenschaft nicht mehr interessant
waren.
Die übrigen 2.897 Menschen des Lagers wurden am 2.8.1944 vergast, am 10.10.1944
ereilte das gleiche Schicksal 800 aus Buchenwald zurückgeschickte Sinti und
Roma-Kinder.
Danach war das "Zigeunerlager" Auschwitz-Birkenau aufgelöst.
2. Teil: Die zweite Verfolgung
Nach 1945 begaben sich die wenigen Überlebenden der Roma und Sinti auf die Suche
nach Freunden und Verwandten. In den Orten, in denen sie sich niederließen,
waren sie keineswegs willkommen. Da sie in der NS-Zeit alles verloren hatten,
waren sie zumeist gezwungen in Baracken, Wohnwagen und an Plätzen zu wohnen, die
während des Dritten Reiches als Sammellager dienten. Die dort ansässige
Bevölkerung war meistens schnell dabei von einer Zigeunerplage zu reden und
verlangte von den Behörden, etwas zu unternehmen. Diese waren anfangs nicht ganz
sicher, wie sie damit umgehen sollten, nachdem die Zigeunergesetzgebung des
Dritten Reiches nicht mehr angewendet werden durfte und der Rückgriff auf die
restriktiven Gesetze der Weimarer Republik, die Sinti und Roma einer
diskriminierenden Behandlung unterwarfen, mit der neuen von den Alliierten
verlangten demokratischen Ordnung ebenfalls nicht so ohne weiteres vereinbar
war.
Mit der Zeit wurde man jedoch routinierter. In den erlassenen Gesetzen wurde
nicht mehr von Zigeunern, sondern von Landfahrern gesprochen. Die Definition des
Begriffes und die Praxis zeigten jedoch klar, welche Personengruppe gemeint war.
Im Landeserkennungsamt Bayern wurde die Nachrichtenstelle über Zigeuner (später
Nachrichtensammel- und Auskunftsstelle über Landfahrer) untergebracht. Diese
Stelle existierte bereits seit 1899 und war 1936 dem "Zentralamt für
Zigeunerfragen" des Reichskriminalpolizeiamtes in Berlin unterstellt worden.
Ende der vierziger Jahre übernahm Josef Eichberger die Leitung dieses
Nachrichtendienstes. Er war während der Nazizeit maßgeblich an Deportationen von
Sinti und Roma beteiligt. Mit ihm arbeiteten einige der polizeilichen
"Zigeunerspezialisten" aus dem RKPA, die die in der NS-Zeit erstellten Akten
weiter nutzten und neue Informationen sammelten. Erst 1965 wurde diese Abteilung
aufgelöst.
In der Frage der Entschädigung von Sinti und Roma kamen die einzelnen
Entschädigungsbehörden unterschiedlich schnell zu der Auffassung, dass die
Betroffenen nicht wie Juden aus rassischen Gründen verfolgt wurden, sondern
wegen Asozialität oder Kriminalität verhaftet und in Lager verbracht wurden.
Ende der vierziger Jahre empfahlen einige Entschädigungsbehörden bei Anträgen
von Roma und Sinti besondere Vorsicht walten zu lassen und Informationen bei den
zuständigen Polizeistellen einzuholen. Besonders rege war der Austausch mit der
Nachrichtensammel- und Auskunftsstelle über Landfahrer in München, die anhand
der Akten aus der NS-Zeit Empfehlungen zu den Entschädigungsanträgen abgaben. So
konnten Anträge oft genug wegen vermeintlicher Asozialität und somit eigenem
Verschulden abgelehnt werden.
Nur wer nach dem Auschwitz-Erlass vom Januar 1943 deportiert wurde, konnte eine
Verfolgung aus rassischen Gründen geltend machen.
Diese Praxis der Behörden ist die Kontinuität der NS-Politik, die Sinti und Roma
diskriminierte, kriminalisierte, verfolgte und ihnen ein menschenwürdiges Leben
unmöglich machte. Diese Politik endete in ihrem eigentlichen Ziel, Sinti und
Roma zu ermorden. Die Beamten führten die Rassenideologie der Nazis fort, in der
"Zigeuner" von vornherein asozial und kriminell waren, also die ethnische
Zugehörigkeit allein ausreichte, um Sinti und Roma auch ohne Auschwitz-Erlass,
sondern mit dem Grund der "vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" oder als
"Arbeitsscheue" zu inhaftieren. Die verantwortlichen Stellen reproduzierten mit
der Ablehnung der Anträge eben genau die Ansichten, die eine Verfolgung aus
rassischen Gründen zur Folge hatten.
In einer Begründung der Entschädigungsbehörde Wiesbaden aus dem Jahre 1956 heißt
es beispielsweise:
"Darüber hinaus konnte eine verfolgungsbedingte Freiheitsentziehung jedoch nicht
festgestellt werden. Lt. Auskunft der Polizeibehörde Hamburg vom 15.10.1956
sowie lt. Auskunft der ITS Arolsen vom 26.10.1956 wurde die Antragstellerin mit
ihren Eltern und Geschwistern am 20.5.1940 im Rahmen der allgemeinen Umsiedlung
von Zigeunern in das ehemalige Generalgouvernement verschubt. bei dieser
Umsiedlungsaktion aber handelte es sich um eine Aktion, die ausschließlich auf
militärischen und sicherheitspolizeilichen Maßnahmen beruhte. Erst mit dem sog.
Auschwitzerlaß Himmlers vom 16.12.1942 bzw. 29.1.1943 trat eine grundlegende
Wendung in der Einstellung der nationalsozialistischen Gewalthaber gegenüber der Zigeunerfrage
ein. Der Bundesgerichtshof hat deshalb ausgesprochen, daß im Generalgouvernement
festgehaltene Zigeuner erst in der auf den 1.3.1943 folgenden Zeit - dies ist
der Zeitpunkt, der für die Durchführung des Erlasses maßgebend war - aus
rassischen Gründen ... inhaftiert blieben ...".
Zu behaupten, dass eine "grundlegende Wendung in der Einstellung" gegenüber
Sinti und Roma erst 1943 stattfand, ist eine Verhöhnung der Betroffenen und
ihres Schicksals und schlichtweg falsch. Es bedurfte niemals einer Wendung, weil
die Einstellung von Anfang an klar war, was die Zwangssterilisationen und die
rassehygenischen Untersuchungen nur allzu deutlich zeigen.
Wie anders lässt sich denn eine "allgemeine Umsiedlung von Zigeunern" verstehen,
wenn nicht als Verfolgung aus rassischen Gründen? Die Entschädigungsbehörde hat
darauf scheinbar die Antwort. Es handelte sich um eine "sicherheitspolizeiliche
Maßnahme". Die rassistische Ideologie, die bestimmte Volksgruppen untrennbar mit
negativen Eigenschaften zusammenbringt (in diesem Fall Asozialität und
Kriminalität), findet in einer derartigen Begründung ihre Kontinuität und wird
reproduziert.
Die bundesdeutsche Justiz bestätigte die Entschädigungspraxis der zuständigen
Behörden. In einem Urteil, das erklärte, dass erst ab 1943 eine rassische
Verfolgung der Grund für eine Deportation sein könne, begründete der
Bundesgerichtshof 1956 seine Auffassung mit der Aussage:
"Die Zigeuner neigen zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und zu
Betrügereien. Es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe zur Achtung vor
fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter
Okkupationstrieb eigen ist."
Erst 1963 revidierte der Bundesgerichtshof sein Urteil von 1956 und legte das
Jahr 1938 als Beginn der rassischen Verfolgung von Sinti und Roma fest. Von der
Revision konnte ein Teil der Entschädigungsberechtigten keinen Gebrauch mehr
machen, sie waren bereits verstorben.
Nachdem in den Jahren 1979 und 1980 die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma
in der Öffentlichkeit Aufsehen erregte, anerkannte die Bundesregierung unter
Helmut Schmidt den Völkermord an Sinti und Roma aus rassischen Gründen und ein
Härtefonds wurde eingerichtet. Viele Roma und Sinti empfanden den Umgang der
deutschen Behörden mit ihrem Schicksal als zweite Verfolgung.
Diese zweite Verfolgung setzt sich nach der Gründung der Bundesstiftung zur
Entschädigung für ehemalige NS-Zwangsarbeiter fort. Gegründet wurde diese
Stiftung auch nicht aus der Einsicht Deutschlands, Unrecht und Verfolgung
anzuerkennen, sondern aufgrund des Drucks durch die in den USA anhängigen
Sammelklagen und der dortigen Öffentlichkeit. Deutsche Firmen, die während der
Nazizeit von der Arbeit der Sklavenarbeiter profitierten und nach wie vor hohe
Gewinne einfahren, sowie die Bundesregierung verhandelten nicht aus wirklicher
Einsicht des begangenen Unrechts, sondern um möglichst billig davonzukommen.
Dies wurde dann ja auch erreicht. Nach der Gründung der Stiftung ist die
Kostenminimierung weiterhin höchste Priorität.
Knapp zwei Jahre nach Beginn der Stiftungstätigkeit sind noch keine Vertreter
des Zentralrats der deutschen Sinti und Roma in das Kuratorium aufgenommen. Etwa
ein Viertel der anspruchsberechtigten Roma und Sinti wurden bisher
teilentschädigt, jedoch mit einem noch geringeren Betrag als bei anderen
Anspruchsberechtigten.
Die ursprüngliche Absicht der Bundesregierung, Betroffene, die bereits eine
spärliche Rente beziehen, nicht zu entschädigen, konnte nur durch nachhaltigen
Druck des Zentralrates verhindert werden.
Erst der Protest der Betroffenen Ende 2001 vor dem Bundesfinanzministerium
eröffnete die Zusammenarbeit der internationalen Migrationsorganisation IOM, die
für die Prüfung und Abwicklung der Zahlungen zuständig ist, mit dem Zentralrat.
Der Zentralrat kritisiert, dass die IOM völlig überfordert ist und die Zahlungen
durch unprofessionelle Arbeit verschleppt. 60 Personen der Anspruchsberechtigten
sind bereits verstorben.
Ein Beispiel: Nachdem vor über 1 ½ Jahren Frau W. ihren Antrag abgesandt hatte,
wurde ihr noch immer keine Zahlung zuteil. Mehrere Anrufe bei der IOM ergaben,
dass sie bei der Auszahlung diesen Januar in Betracht kommen soll. Bei einem
Anruf vor einer Woche wurde jedoch mitgeteilt, dass noch ein Schriftstück vom
Landesentschädigungsamt fehle. Man benötige noch die Begründung für die
Entschädigungsrente, die Frau W. bezieht. Bei einem Gespräch mit einem
Angestellten des Landesentschädigungsamtes kam dann heraus, dass dieses Amt mit
dem Beginn der Antragsbearbeitung der IOM mehrmals schriftlich und telefonisch
Unterstützung und Zurverfügungstellung der Akten angeboten hatte. Seitens der
IOM wurde dieses Angebot, dass die Bearbeitung der Anträge erleichtert und
beschleunigt hätte, niemals in Anspruch genommen.
Es regt sich der Verdacht, dass hier nicht nur Überforderung und
Unprofessionalität am Werk sind, sondern im Sinne der Bundesstiftung und
Bundesregierung mit dem hohen Alter der Anspruchsberechtigten gespielt wird.
Die betroffenen Menschen sind alt und leiden an schweren Krankheiten, bedingt
durch die Verfolgung und Zwangsarbeit. Ihre Lebensperspektive ist nur noch kurz.
Von dem Diebstahl an Wertgegenständen während der Nazizeit war nie die Rede,
genausowenig wie von dem Raub der Kindheit und Jugend oder den Verlust von
Eltern, Geschwistern, Verwandten oder Freunden, die vergast oder zu Tode
gearbeitet wurden. In den Arztberichten sprechen die Experten von extremen
Angstzuständen, Schlaflosigkeit, Apathie, Suizidgefährdung, Antriebslosigkeit,
Isolation und Verzweiflung.
Das Warten auf die Zahlungen, der bürokratische Aufwand für die Anträge, das
Gefeilsche um jede noch so kleine Summe verstärk das Leid der Betroffenen nur
noch.
Für die Menschen, die eine Zahlung erhalten sollten, bevor sie verstorben sind,
stellt sich die Frage, ob von Entschädigung überhaupt gesprochen werden kann.
Und wenn die gezahlten Beträge einen symbolischen Wert haben sollten, so sind
sie doch eher Symbol für die Ignoranz und Verleugnung gegenüber dem erlittenen
Unrecht und kommen einer Verhöhnung ihres leidvollen Schicksals gleich.
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