Bereits ab 1933 waren Sinti und Roma im Deutschen Reich einer
verstärkten Diskriminierung und Schikanierung ausgesetzt, die sich in
ihrem Wesen aber nicht sonderlich von der „Zigeunerpolitik“ der Weimarer
Republik unterschied.
Ab dem Jahre 1936 änderte sich dies. Eine „Reichszentrale zur Bekämpfung
des Zigeunerunwesens“ wurde gegründet, um dem Reichskriminalpolizeiamt
eine effektive Kontrolle der Roma und Sinti in den Gebieten des Altreiches
zu garantieren.
Ebenfalls 1936 wurde der Psychiater Robert Ritter Leiter der
„Rassenhygienischen und Bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle“. Seine
Aufgabe war es, die Frage der „Asozialen“ zu klären, zu denen auch die
Zigeuner gerechnet wurden. Anfängliches Ziel war es, diese auf lange Sicht
durch Sterilisation auszumerzen, analog dem „Gesetz zur Verhütung
erbkranken Nachwuchses“. Ritters Institut untersuchte die Sinti und Roma
im Altreich nach rassehygienischen Kriterien bis ins Jahr 1941. Die
erstellten Gutachten dienten den Polizeibehörden dann zur Verfolgung der
als asozial und kriminell eingestuften „Zigeunermischlinge“. In der
wahnsinnigen Ideologie der Nazis galten die wenigsten als „reinrassige
Zigeuner arischen Ursprungs“, von denen für das deutsche Volk keine Gefahr
ausgehe. Diese absurde und menschenverachtende Unterscheidung hatte dann
aber spätestens innerhalb der Stacheldrahtzäune der KZ und
Sklavenarbeitslager ihre Bedeutung verloren.
Ab 1936 wurde in verschiedenen Städten begonnen, Roma und Sinti in
bewachten Lagern zu sammeln, von denen sie später zu Zwangsarbeiten
herangezogen werden konnten. Von hier aus konnten die Menschen dann auch
einfacher deportiert werden.
Hierbei spielte die Stadt Frankfurt eine wichtige Rolle. Während die
Stadtverwaltung unter Oberbürgermeister Friedrich Krebs (langjähriges
NSDAP-Mitglied) die in der Weimarer Republik praktizierte Politik der
Abschiebung aus der eigenen Stadt fortführen wollte, hatte das
Polizeipräsidium unter dem Polizeipräsidenten Adolf Heinrich Beckerle
(ebenfalls langjähriges NSDAP-Mitglied) Interesse daran, zwecks
effektiverer Kontrolle Roma und Sinti in Lagern zu konzentrieren. Beiden
Institutionen war es jedoch gemeinsam, dass sie reichseinheitliche
rechtliche Bestimmungen wünschten, die eine Verfolgung der Sinti und Roma
ermöglichen sollten. Hierzu wurden von beiden Seiten im Jahre 1935
Anfragen an das Innenministerium in Berlin gesandt. Mit diesen Anfragen
stieß man in Berlin auf offene Ohren. Es wurde bereits an einer
rechtlichen Untermauerung der Verfolgung von Roma und Sinti gearbeitet.
Anfang 1936 inszenierte das Polizeipräsidium eine Hetzkampagne gegen Roma
und Sinti mit dem Ziel, eine pogromähnliche Stimmung zu schaffen und damit
eine Grundlage für die Verschärfung der Bestimmungen gegen Roma und Sinti
herzustellen. Die Kampagne fand im ganzen Deutschen Reich Widerhall.
Eigentlicher Tatvorwurf war ein geringfügiger Verstoß zweier Roma gegen
das zu dieser Zeit erst seit einem Jahr gültigen „Gesetz über die
Devisenbewirtschaftung“. Durch Razzien und bewusste Falschmeldungen der
Frankfurter Polizei und nationalsozialistischen Presse wurde diese
Geringfügigkeit zu einem „Devisenschieberskandal“, an dem viele Roma und
Sinti beteiligt seien.
Im August 1937 wurde in Frankfurt das Lager Dieselstr. errichtet und 1942
in die Kruppstr. verlegt.
Am 18. August 1937 wies das Fürsorgeamt unter Mitwirkung der Polizei 55
Roma und Sinti in die Dieselstr. ein. Dass es sich hierbei um eine
Zwangsaktion handelte, wurde dadurch deutlich, dass das Fürsorgeamt
bemerkte, dass die Familien dort durch die Besetzung des Lagers durch
einen Polizeiposten „einer ständigen Überwachung“ unterliegen würden.
Sehr bald fing die Stadt an, nicht nur in Wohnwagen lebende Roma und
Sinti, sondern auch in Wohnungen lebende in das Lager zwangseinzuweisen.
Um die Jahreswende 1937/38 begann man den Roma und Sinti, die in
stadteigenen Wohnungen lebten, die Mietverträge zu kündigen, um sie dann
in das Lager einzuweisen. Bei Familien, die in privaten Wohnungen lebten,
war dies schwieriger. Man bat die Polizei daher um Mithilfe, die ihre
Unterstützung damit kundtat, dass sie eine Liste dieser Familien
anforderte. So lebten bis Kriegsende nur noch wenige Roma und
Sinti-Familien in Frankfurt in Wohnungen.
Die Wohnsituation im Lager war erbärmlich. Das einzige Gebäude, das für
die Internierten errichtet wurde, war die Toilettenanlage, während dem
Lageraufseher Himmelheber ein Haus auf dem Gelände zur Verfügung stand.
Was die Unterbringung der internierten Menschen anging, so war man der
Meinung, dass die einzige „zigeunermäßige“ Art des Wohnens, die in einem
Wohnwagen sei.
Viele der Familien besaßen jedoch gar keine Wohnwagen, da sie ja zuvor in
festen Wohnungen lebten. Für diese musste die Stadt Möbelwagen zukaufen
und in Wohnwagen umbauen. Teilweise lebten bis zu drei Familien in einem
solchen Möbelwagen, der 6m lang und 2 m breit war und weder mit Wasser,
Licht oder Toilette ausgestattet war. Diejenigen Familien, die keinen
eigenen Wohnwagen hatten, mussten für die städtischen Miete bezahlen;
1941/42 waren dies monatlich 10-20 Reichsmark.
Die Anzahl der internierten Menschen stieg kontinuierlich, obwohl die
Polizei immer wieder Menschen in KZs einwies. 1941 waren es 160 Menschen.
Für das Lager in der Kruppstr. existieren keine Zahlen mehr, man kann
jedoch davon ausgehen, dass die Belegung weiterhin leicht anstieg. Ein
Sinto berichtete von einer Gesamtzahl von 180 Menschen Anfang 1943.
Der Lebensalltag der Menschen im Lager war durch restriktive Bestimmungen,
einen brutalen Lageraufseher namens Himmelheber und Zwangsarbeit in
Frankfurter Fabriken bestimmt.
Das Lager durfte nur zur Berufsausübung oder zum Schulbesuch verlassen
werden, ansonsten lediglich zum Kauf von Lebensmitteln und ähnlichem, was
später in der Praxis auf eine Stunde reduziert wurde. Wer im
Winterhalbjahr bis 20:00 und im Sommer bis 21:00 nicht zurück war, musste
mit Sanktionen rechnen, wie zum Beispiel einer Ausgangssperre mit einer
Dauer von bis zu vier Wochen.
Der Lageraufseher schikanierte die Menschen verbal, misshandelte sie
physisch und drohte ihnen kontinuierlich, dass „sie auch noch in die KZs
fortkommen würden“.
Mehrfach erwirkte er dann auch die Deportation von Sinti und Roma, in dem
er dem Polizeipräsidium Verstöße gegen die Lagerordnung oder sonstige
Auflagen meldete.
Anfänglich waren es Zwangssterilisationen, Verfolgung und Verhaftung von
Einzelpersonen, ab 1939 begann der NS-Staat mit den ersten Abtransporten
von Roma und Sinti in größeren Gruppen nach Polen. Im Dezember 1942 gab
Himmler den Befehl zur Deportation der Sinti und Roma nach Auschwitz.
Auschwitz-Birkenau IIe, das war das so genannte Zigeunerlager:
Aufgrund ein paar weniger so genannter „Vergünstigungen“ wurde Birkenau
von der Lagerleitung als Modellager vorgestellt. Die Essensversorgung war
miserabel, die kraftlosen Körper konnten den zahlreichen Krankheiten im
Lager nichts entgegensetzen, es starben über 13.000 Menschen aufgrund
dieser Lebensbedingungen, eine Sterberate, die weit über dem Durchschnitt
von Auschwitz lag.
Im Sommer 1944 lebten wegen dieser Bedingungen und der Überstellung von
einigen Menschen in andere Lager nur noch maximal 6500 Sinti und Roma in
Auschwitz-Birkenau (1943 waren es zeitweise 14.000). Von diesen wurden die
arbeitsfähigen Menschen und eineiige Zwillinge für Mengeles Versuche ins
Hauptlager überstellt. Der Arzt Mengele war einer der Mediziner, die
grausame, angeblich wissenschaftliche Versuche an Menschen unternahmen.
Für sie waren die betroffenen Menschen nur eine Ware und Versuchsobjekte.
Die Erwachsenen und Kinder, die die unmenschlichen Versuche überlebten,
wurden umgebracht, wenn sie für die perverse sogenannte medizinische
Wissenschaft nicht mehr interessant waren.
Die übrigen 2.897 Menschen des Lagers wurden am 2.8.1944 vergast, am
10.10.1944 ereilte das gleiche Schicksal 800 aus Buchenwald
zurückgeschickte Sinti und Roma-Kinder.
Danach wurde das „Zigeunerlager“ Auschwitz-Birkenau aufgelöst.
In der Frage der Entschädigung von Sinti und Roma kamen die einzelnen
Entschädigungsbehörden unterschiedlich schnell zu der Auffassung, dass die
Betroffenen nicht wie Juden aus rassischen Gründen verfolgt wurden,
sondern wegen Asozialität oder Kriminalität verhaftet und in Lager
verbracht wurden. Ende der vierziger Jahre empfahlen einige
Entschädigungsbehörden bei Anträgen von Roma und Sinti besondere Vorsicht
walten zu lassen und Informationen bei den zuständigen Polizeistellen
einzuholen. Besonders rege war der Austausch mit der Nachrichtensammel-
und Auskunftsstelle über Landfahrer in München, die anhand der Akten aus
der NS-Zeit Empfehlungen zu den Entschädigungsanträgen abgaben. So konnten
Anträge oft genug wegen vermeintlicher Asozialität und somit eigenem
Verschulden abgelehnt werden.
Nur wer nach dem Auschwitz-Erlass vom Dezember 1942 deportiert wurde,
konnte eine Verfolgung aus rassischen Gründen geltend machen.
Diese Praxis der Behörden ist die Kontinuität der NS-Politik, die Sinti
und Roma diskriminierte, kriminalisierte, verfolgte und ihnen ein
menschenwürdiges Leben unmöglich machte. Diese Politik endete in ihrem
eigentlichen Ziel, Sinti und Roma zu ermorden. Die Beamten führten die
Rassenideologie der Nazis fort, in der „Zigeuner“ von vornherein asozial
und kriminell waren, also die ethnische Zugehörigkeit allein ausreichte,
um Sinti und Roma auch ohne Auschwitz-Erlass, sondern mit dem Grund der
„vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ oder als „Arbeitsscheue“ zu
inhaftieren. Die verantwortlichen Stellen reproduzierten mit der Ablehnung
der Anträge eben genau die Ansichten, die eine Verfolgung aus rassischen
Gründen zur Folge hatten.
In einer Begründung der Entschädigungsbehörde Wiesbaden aus dem Jahre 1956
heißt es beispielsweise:
„Darüber hinaus konnte eine verfolgungsbedingte Freiheitsentziehung jedoch
nicht festgestellt werden. Lt. Auskunft der Polizeibehörde Hamburg vom
15.10.1956 sowie lt. Auskunft der ITS Arolsen vom 26.10.1956 wurde die
Antragstellerin mit ihren Eltern und Geschwistern am 20.5.1940 im Rahmen
der allgemeinen Umsiedlung von Zigeunern in das ehemalige
Generalgouvernement verschubt. bei dieser Umsiedlungsaktion aber handelte
es sich um eine Aktion, die ausschließlich auf militärischen und
sicherheitspolizeilichen Maßnahmen beruhte. Erst mit dem sog.
Auschwitzerlaß Himmlers vom 16.12.1942 bzw. 29.1.1943 trat eine
grundlegende Wendung in der Einstellung der nat.soz. Gewalthaber gegenüber
der Zigeunerfrage ein. Der Bundesgerichtshof hat deshalb ausgesprochen,
daß im Generalgouvernement festgehaltene Zigeuner erst in der auf den
1.3.1943 folgenden Zeit – dies ist der Zeitpunkt, der für die Durchführung
des Erlasses maßgebend war – aus rassischen Gründen ... inhaftiert blieben
...“.
Zu behaupten, dass eine „grundlegende Wendung in der Einstellung“
gegenüber Sinti und Roma erst 1943 stattfand, ist eine Verhöhnung der
Betroffenen und ihres Schicksals und schlichtweg falsch. Es bedurfte
niemals einer Wendung, weil die Einstellung von Anfang an klar war, was
die Zwangssterilisationen und die rassehygenischen Untersuchungen nur
allzu deutlich zeigen.
Die bundesdeutsche Justiz bestätigte die Entschädigungspraxis der
zuständigen Behörden. In einem Urteil, das erklärte, dass erst ab 1943
eine rassische Verfolgung der Grund für eine Deportation sein könne,
begründete der Bundesgerichtshof 1956 seine Auffassung mit der Aussage:
„Die Zigeuner neigen zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und zu
Betrügereien. Es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe zur Achtung
vor fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter
Okkupationstrieb eigen ist.“
Erst 1963 revidierte der Bundesgerichtshof sein Urteil von 1956 und legte
das Jahr 1938 als Beginn der rassischen Verfolgung von Sinti und Roma
fest. Von der Revision konnte ein Teil der Entschädigungsberechtigten
keinen Gebrauch mehr machen, sie waren bereits verstorben.
Nachdem in den Jahren 1979 und 1980 die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und
Roma in der Öffentlichkeit Aufsehen erregte, anerkannte die
Bundesregierung unter Helmut Schmidt den Völkermord an Sinti und Roma aus
rassischen Gründen und ein Härtefonds wurde eingerichtet. Viele Roma und
Sinti empfanden den Umgang der deutschen Behörden mit ihrem Schicksal als
zweite Verfolgung.
Diese zweite Verfolgung setzt sich nach der Gründung der Bundesstiftung
zur Entschädigung für ehemalige NS-Zwangsarbeiter fort. Gegründet wurde
diese Stiftung auch nicht aus der Einsicht Deutschlands, Unrecht und
Verfolgung anzuerkennen, sondern aufgrund des Drucks durch die in den USA
anhängigen Sammelklagen und der dortigen Öffentlichkeit. Deutsche Firmen,
die während der Nazizeit von der Arbeit der Sklavenarbeiter profitierten
und nach wie vor hohe Gewinne einfahren, sowie die Bundesregierung
verhandelten nicht aus wirklicher Einsicht des begangenen Unrechts,
sondern um möglichst billig davonzukommen. Dies wurde dann ja auch
erreicht. Nach der Gründung der Stiftung ist die Kostenminimierung
weiterhin höchste Priorität.
Der Zentralrat deutscher Sinti und Roma schreibt in seiner Mitteilung zum
Jahreswechsel 2004/2005:
„Nachdem die Mitarbeiter des Zentralrats alle auffindbaren
Beweisunterlagen für die ehemaligen Sklavenarbeiter der Sinti und Roma,
die im KZ wraen, zur IOM in Genf gebracht hatten, erhielten die
Anspruchsberechtigten die erste Rate (50 oder 75% von 15 000 DM, bzw. 7670
Euro) und die 1450 US-Dollar aus dem „Schweizer Bankenvergleich“. Das
klappte, weil wir Ende 2001 mit 250 Sinti und Roma beim
Bundesfinanzministerium in Berlin demonstrierten.
Die Stiftung und die IOM hielten aber ihre mehrfachen Zusagen, die zweite
Rate ab Herbst 2004 auszubezahlen, nicht ein. Dagegen protestierte der
Zentralrat in Berlin und Genf. Die IOM sagte jetzt zu, die zweite Rate ab
März 2005 auszubezahlen. Wir protestierten auch dagegen, dass die Erben
der inzwischen Verstorbenen nichts mehr oder nur einen minimalen Betrag
erhalten sollen. Dazu haben wir im Januar mit dem Stiftungsvorstand in
Berlin ein Gespräch.
Der Kürzung für die Erben und der Verzögerung der zweiten Rate stimmte das
zuständige Stiftungsgremium zu, in das der Zentralrat seit dem Jahre 2000
nicht aufgenommen wurde, um solche Beschlüsse zu verhindern.“
Diese Vorgänge, die Verzögerung der Auszahlungen, die Beauftragung einer
Organisation, die mit einer schnellen und angemessenen Bearbeitung der
Anträge völlig überfordert ist, durch die Bundesstiftung und das zynische
Spielen mit der Zeit und dem Alter der Betroffenen, zeigt, dass die
Ausgrenzung der Sinti und Roma 60 Jahre nach der Befreiung des Lagers
Auschwitz, nach wie vor anhält.
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