60. Jahrestages der Befreiung des Lagers Auschwitz (Ursula Rose, 27.01.2005)



Über eine halbe Million Roma und Sinti wurden in der NS-Zeit Opfer von Sonderkommandos, von medizinischen Experimenten, von unmenschlichen Arbeitsbedingungen, sie wurden Opfer einer fabrikmäßig organisierten perfekten Mordmaschinerie. Auschwitz hat in diesem Zusammenhang als Stätte des tausendfachen Mordes und als Symbol für Verfolgung und Vernichtung besondere Bedeutung.

Ein Überlebender Rom berichtete „Alles, was ich damals erlebt habe, kann ich nicht vergessen, bis auf den heutigen Tag. Regelmäßig habe ich nachts Alpträume, dann träume ich von all dem Schrecklichen, das ich in Auschwitz und anderswo erlebt habe, ich wache dann mitten in der Nacht aus meinen Träumen auf und zittere am ganzen Körper. Die Angstträume kehren immer wieder zurück, sie sind ein Teil von mir geworden, den ich nicht mehr loswerde.“ Dieses Gefühl bewegt viele Roma und Sinti und es vereinigt sich mit der Erfahrung, auch nach Auschwitz im Land der Täter mit Verhaltensweisen konfrontiert zu werden, deren Spektrum vom ignoranten Leugnen, über die intelligente Verdrehung bis hin zur Umkehrung der Schuld reicht und zwar so, dass aus den Mördern Opfer und die Geschundenen, die Roma und Sinti, für das widerfahrene Leid selbst verantwortlich gemacht werden. Die ungebrochene Popularität der Auschwitz-Lüge, die Umdeutung von Tätern und Mitläufern in Opfer der Bomben der Alliierten, das ungeteilte heroische Gedenken an NS-Kriegsverbrecher wie Stülpnagel und Nebe anlässlich des 20. Juli 1944, das unerträgliche Hinauszögern der Entschädigung, die Hinzuziehung von NS-Tätern als Gutachter und die bis in die 60er Jahre reichende Rechtsprechung im Nazi-Jargon bei Wiedergutmachungsprozessen von Roma und Sinti sind Elemente dieser Konfrontation.

Am 27.1.2000 wurde in der Braubachstraße, in der Frankfurter Innenstadt, gegen den Widerstand etlicher städtischer Institutionen, aus privaten Mitteln und nur durch massiven öffentlichen Druck der Roma-Union, des Förderverein Roma und vieler Unterstützer eine Tafel am Stadtgesundheitsamt angebracht. In diesem Gebäude befand sich das Erbarchiv, das u. a. Roma und Sinti als Zigeuner definierte, erfasste und so die Vorbereitung für Zwangssterilisation, Verschleppung und Mord bildete. Die Tafel erinnert an die getöteten Roma und Sinti. Sie benennt, dass die beiden für die Erfassung und Deportation maßgeblich verantwortlichen NS-Rasseforscher, Robert Ritter und Eva Justin, nach 1945 nicht etwa strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurden, sondern bis in die 60er Jahre im gehobenen medizinischen Dienste der Stadt Frankfurt standen; trotz Wissen über ihre Funktion während der NS-Zeit.

Die Stadt Frankfurt täte gut daran, sich dessen zu erinnern, was der politischen und menschlichen Verantwortung entspricht. Das bedeutet, dass alleine die recht spät errichteten Gedenkplatten auf dem Hauptfriedhof, in Frankfurt Eckenheim, die Tafeln in der Krupp- und Dieselstrasse und am Stadtgesundheitsamt nicht ausreichen. Sie schließen auch nicht, wie Kulturdezernent Nordhoff formulierte, eine Lücke. Verantwortung für die unvergleichbare Vernichtung im Nationalsozialismus fällt wie bei den Tafeln Diesel- und Kruppstraße, im Industriegebiet von Frankfurt Fechenheim, wo sich die beiden Lager befanden, von denen aus Sinti und Roma nach Auschwitz deportiert wurden, der beabsichtigten Vergessenheit anheim, weil es kein öffentliches Interesse gibt, den relevanten politischen Zusammenhang zwischen NS-Vergangenheit und Gegenwart herzustellen. Was heißt das?

Frankfurt Fechenheim hat für die dort lebenden Roma eine ganz spezielle Bedeutung. Vor sechs Jahren tobten sich in Fechenheim Bürger aus, weil dort zu viele Roma lebten. Angeblich würde das harmonische Miteinander des Stadtteils durch die „asoziale“ Verhaltensweise der Familien gestört. Roma aus Rumänien, die seit geraumer Zeit in einer Bruchbude in Alt-Fechenheim wohnten, wurden ganz speziell Zielschreibe der Kritik. Gegenstand war weniger die Überlegung über die Ursache des Elends der Betroffenen oder die Bemühung, erträgliche Lebensumstände zu schaffen. Nein, es ging mehrheitlich darum, ihren Aufenthalt zu verunmöglichen, sie zu verjagen. Die Hasstiraden des CDU-Mannes und Ortsbeiratsmitglieds Bodenstedt endeten schließlich darin, dass ein Brandanschlag, der auf das Haus einer Roma-Familie verübt wurde, den Opfern selber zugeschrieben wurde. So schloss sich erneut der Kreis der Betrachtung gegenüber dem „Zigeuner“. Er trägt an seinem Elend nicht nur eigene Schuld, sondern stellt diese auch noch unter Beweis, indem er sich selbst anzündet. Unschuldig bleiben in dieser Logik von Gewalt und rechtfertigender Erklärung allein die Täter.

Es ist notwendiger denn je, daran zu erinnern, welche tragende Rolle NS- Bürgermeister Krebs, der Polizeipräsident Beckerle oder Lageraufseher Himmelheber, für den sich nach 1945 selbst der Bischof von Limburg einsetzte, bei der Verfolgung von Roma und Sinti hatten. Es soll nicht verschwiegen werden, dass KZ-Arzt Mengele und einer der Haupttheoretiker der NS-Rassenideologie, Ottmar von Verschuer, an der Universität, in Frankfurt Niederrad, tätig waren. Hinweise über die Machenschaften des Erbgesundheitsgerichtes und die Informationen, aus welchen Schulen Roma und Sinti entfernt wurden, stehen ebenso offen wie die Bezeichnung der Bahnhöfe von denen aus deportiert wurde, der Zeitungen und ihren Nachfolgern, die die Hetze betrieben und der Lager in der Kriegstraße, im Gallusviertel und in der Solms- und Fritzlaer Straße, in Frankfurt Bockenheim, die bereits in den frühen 30er Jahren zur Internierung von Roma und Sinti dienten.

Und schließlich bleibt die Forderung, ein zentrales Mahnmal am IG-Farben-Haus, im Frankfurter Westend, anzubringen. Dort, wo sowohl der Massenmord durch Zyklon-B als auch die Vernichtung durch Arbeit geplant und letztlich in Auschwitz umgesetzt wurde.