Über eine halbe Million Roma und Sinti wurden in der NS-Zeit Opfer
von Sonderkommandos, von medizinischen Experimenten, von unmenschlichen
Arbeitsbedingungen, sie wurden Opfer einer fabrikmäßig organisierten
perfekten Mordmaschinerie. Auschwitz hat in diesem Zusammenhang als Stätte
des tausendfachen Mordes und als Symbol für Verfolgung und Vernichtung
besondere Bedeutung.
Ein Überlebender Rom berichtete „Alles, was ich damals erlebt habe, kann
ich nicht vergessen, bis auf den heutigen Tag. Regelmäßig habe ich nachts
Alpträume, dann träume ich von all dem Schrecklichen, das ich in Auschwitz
und anderswo erlebt habe, ich wache dann mitten in der Nacht aus meinen
Träumen auf und zittere am ganzen Körper. Die Angstträume kehren immer
wieder zurück, sie sind ein Teil von mir geworden, den ich nicht mehr
loswerde.“ Dieses Gefühl bewegt viele Roma und Sinti und es vereinigt sich
mit der Erfahrung, auch nach Auschwitz im Land der Täter mit
Verhaltensweisen konfrontiert zu werden, deren Spektrum vom ignoranten
Leugnen, über die intelligente Verdrehung bis hin zur Umkehrung der Schuld
reicht und zwar so, dass aus den Mördern Opfer und die Geschundenen, die
Roma und Sinti, für das widerfahrene Leid selbst verantwortlich gemacht
werden. Die ungebrochene Popularität der Auschwitz-Lüge, die Umdeutung von
Tätern und Mitläufern in Opfer der Bomben der Alliierten, das ungeteilte
heroische Gedenken an NS-Kriegsverbrecher wie Stülpnagel und Nebe
anlässlich des 20. Juli 1944, das unerträgliche Hinauszögern der
Entschädigung, die Hinzuziehung von NS-Tätern als Gutachter und die bis in
die 60er Jahre reichende Rechtsprechung im Nazi-Jargon bei
Wiedergutmachungsprozessen von Roma und Sinti sind Elemente dieser
Konfrontation.
Am 27.1.2000 wurde in der Braubachstraße, in der Frankfurter Innenstadt,
gegen den Widerstand etlicher städtischer Institutionen, aus privaten
Mitteln und nur durch massiven öffentlichen Druck der Roma-Union, des
Förderverein Roma und vieler Unterstützer eine Tafel am
Stadtgesundheitsamt angebracht. In diesem Gebäude befand sich das
Erbarchiv, das u. a. Roma und Sinti als Zigeuner definierte, erfasste und
so die Vorbereitung für Zwangssterilisation, Verschleppung und Mord
bildete. Die Tafel erinnert an die getöteten Roma und Sinti. Sie benennt,
dass die beiden für die Erfassung und Deportation maßgeblich
verantwortlichen NS-Rasseforscher, Robert Ritter und Eva Justin, nach 1945
nicht etwa strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurden, sondern bis in
die 60er Jahre im gehobenen medizinischen Dienste der Stadt Frankfurt
standen; trotz Wissen über ihre Funktion während der NS-Zeit.
Die Stadt Frankfurt täte gut daran, sich dessen zu erinnern, was der
politischen und menschlichen Verantwortung entspricht. Das bedeutet, dass
alleine die recht spät errichteten Gedenkplatten auf dem Hauptfriedhof, in
Frankfurt Eckenheim, die Tafeln in der Krupp- und Dieselstrasse und am
Stadtgesundheitsamt nicht ausreichen. Sie schließen auch nicht, wie
Kulturdezernent Nordhoff formulierte, eine Lücke. Verantwortung für die
unvergleichbare Vernichtung im Nationalsozialismus fällt wie bei den
Tafeln Diesel- und Kruppstraße, im Industriegebiet von Frankfurt Fechenheim, wo sich die beiden Lager befanden, von denen aus Sinti und
Roma nach Auschwitz deportiert wurden, der beabsichtigten Vergessenheit
anheim, weil es kein öffentliches Interesse gibt, den relevanten
politischen Zusammenhang zwischen NS-Vergangenheit und Gegenwart
herzustellen. Was heißt das?
Frankfurt Fechenheim hat für die dort lebenden Roma eine ganz spezielle
Bedeutung. Vor sechs Jahren tobten sich in Fechenheim Bürger aus, weil
dort zu viele Roma lebten. Angeblich würde das harmonische Miteinander des
Stadtteils durch die „asoziale“ Verhaltensweise der Familien gestört. Roma
aus Rumänien, die seit geraumer Zeit in einer Bruchbude in Alt-Fechenheim
wohnten, wurden ganz speziell Zielschreibe der Kritik. Gegenstand war
weniger die Überlegung über die Ursache des Elends der Betroffenen oder
die Bemühung, erträgliche Lebensumstände zu schaffen. Nein, es ging
mehrheitlich darum, ihren Aufenthalt zu verunmöglichen, sie zu verjagen.
Die Hasstiraden des CDU-Mannes und Ortsbeiratsmitglieds Bodenstedt endeten
schließlich darin, dass ein Brandanschlag, der auf das Haus einer
Roma-Familie verübt wurde, den Opfern selber zugeschrieben wurde. So
schloss sich erneut der Kreis der Betrachtung gegenüber dem „Zigeuner“. Er
trägt an seinem Elend nicht nur eigene Schuld, sondern stellt diese auch
noch unter Beweis, indem er sich selbst anzündet. Unschuldig bleiben in
dieser Logik von Gewalt und rechtfertigender Erklärung allein die Täter.
Es ist notwendiger denn je, daran zu erinnern, welche tragende Rolle NS-
Bürgermeister Krebs, der Polizeipräsident Beckerle oder Lageraufseher
Himmelheber, für den sich nach 1945 selbst der Bischof von Limburg
einsetzte, bei der Verfolgung von Roma und Sinti hatten. Es soll nicht
verschwiegen werden, dass KZ-Arzt Mengele und einer der Haupttheoretiker
der NS-Rassenideologie, Ottmar von Verschuer, an der Universität, in
Frankfurt Niederrad, tätig waren. Hinweise über die Machenschaften des
Erbgesundheitsgerichtes und die Informationen, aus welchen Schulen Roma
und Sinti entfernt wurden, stehen ebenso offen wie die Bezeichnung der
Bahnhöfe von denen aus deportiert wurde, der Zeitungen und ihren
Nachfolgern, die die Hetze betrieben und der Lager in der Kriegstraße, im Gallusviertel und in der Solms- und Fritzlaer Straße, in Frankfurt
Bockenheim, die bereits in den frühen 30er Jahren zur Internierung von
Roma und Sinti dienten.
Und schließlich bleibt die Forderung, ein zentrales Mahnmal am IG-Farben-Haus, im Frankfurter Westend, anzubringen. Dort, wo sowohl
der Massenmord durch Zyklon-B als auch die Vernichtung durch Arbeit
geplant und letztlich in Auschwitz umgesetzt wurde.
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