Roma-Union:
Pogrome gegen Roma in Italien
Rede vor dem italienischen Konsulat in Frankfurt am Main (14.06.2008)



Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Leika Böttcher, ich bin der Vorsitzende der Roma-Union.

Bereits letztes Jahr wies die Roma Union auf die besorgniserregende Situation in Italien hin, wo aufgrund der Straftat eines Einzelnen, Jagd auf Roma und Sinti gemacht wurde. Der Kreislauf von Diffamierung, vermeintlicher Schuldzuschreibung, Generalisierung und breiter Mobilisierung wurde durch Hetze und Gewalt exemplarisch vorgeführt. Die beabsichtigte Ausweisung von Tausenden Flüchtlingen, die Ankündigung von „Aktionswochen“ und „Fackelmärschen“ und die Aktivierung von „Bürgerwehren“ vervollständigten das Bild des zeitgenössischen Pogroms gegenüber Roma und Sinti in Italien und gaben Anlass zu großer Sorge. Unsere Presseerklärung wurde nicht beachtet, doch die aktuellen Vorgänge übertreffen die schlimmsten Befürchtungen.

Alleine die Unterstellung einer nie bewiesenen Straftat reichte aus, um die angestaute Wut, den Hass gegenüber Ausländern ohne Papiere und insbesondere gegenüber Roma erneut in rassistische Gewalt umzuwandeln. Das Bild des Brunnenvergifters, des Schuldigen an der Missernte, an Krankheit und Unglück ist heute ebenso reaktivierbar wie vor hunderten von Jahren. Unterlassungen der Regierung Prodi, ihr allzu großes Verständnis für das bekannte gesunde Volksempfinden, führen nun, unter Berlusconi und seinen faschistischen Gefolgsleuten, zur offenen Hetze, zur „Exekution des Volkszorns“ wie landesweit verbreitet wird. Angesichts der aktuellen Ereignisse wird selbst öffentlich darüber nachgedacht, die heilige Kuh Fußball zu schlachten, indem Sinti und Roma zukünftig aus Profi-Mannschaften verbannt werden.

Es sollte sich niemand wundern, denn alles, was zur Zeit in Italien passiert, war angekündigt und bahnt sich jetzt den Weg vom Mob, der zündelt und tötet, bis in die oberste Politetage, die in Absprache mit andern EU-Regierungen beschließt, schnellstmöglich auszuweisen, die Abschiebehaft auf 18 Monate zu erweitern, die Grenzen noch dichter zu machen und in Erwägung zieht, kurzerhand rechtlich garantierte Freizügigkeiten außer Kraft zu setzten. Auch der österreichische Landeshauptmann Haider meldet sich wieder zu Wort und warnt in alter Nazimanier vor den flüchtenden Sinti und Roma aus Italien, die Tirol übervölkern.

In Italien ist der Notstand ausgebrochen. Nicht etwa wegen des rassistischen neuen und alten Ministerpräsidenten, weil die Müllentsorgung nicht klappt oder das organisierte Verbrechen trotz staatlichem Segen überhand nimmt, nein – letzten Endes sind es die Roma, die wiederholt als Ursache allen Übels entdeckt werden und ihnen geht es aus mindestens zwei Gründen an den Kragen. Ihr Verbrechen ist doppelt, nämlich Migrant und Roma zu sein, wobei letzteres am schwersten wiegt und nach wie vor dem Urteil, vogelfrei zu sein, gleichkommt. Das Szenario für die anschließende Jagd ist stets dasselbe.
Die Akteure kommen zum Teil aus gutem Elternhaus, wie etwa die Skinheads, die Nicola Tommasoli in Veneto ermordeten, vermutlich weil er zu lange Haare hatte. Andere wohlbetuchte Jugendliche stammen aus der Bürgermeister-Familie des Ortes Ponticelli bei Neapel und ihre Herkunft hindert sie keineswegs daran, sich zusammenzurotten, um das Camp der Roma anzuzünden. Ergänzt wird das Bild von der aufgebrachten Volksmenge, die für die Vertreibung von Roma und für Lynchjustiz immer zu haben ist. Ihre Straftaten wie schwere Körperverletzung, Mord und Brandstiftung bleiben ohne Belang, während die Roma Geleitschutz in Abschiebehaft, Lager und Gefängnis erhalten. Politik und Justiz verfolgen die Vorgänge mit Interesse, denn sie haben die Legende des Sündenbocks lange genug kultiviert. Ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen, stehen sie im Hintergrund und hetzen auf moderne Art mit Hilfe der Presse und des Fernsehens und nach dem Motto: die Guten sortieren und die Schlechten entfernen. Zu der letzten Kategorie gehören erfahrungsgemäß die Roma – ohne Ausnahme. Es gibt kein Vorurteil und keine rassistische Haltung, die in ihrem Gedankengut, in ihrer ungeteilten Beliebtheit und in ihrer brutalen Vollstreckung so gut zu instrumentalisieren ist wie die herrschende Meinung gegenüber Roma und Juden.
Die gemeine Unterstellung gegenüber den Roma und Sinti in Europa sind überall gleich und äußeren sich in Italien beispielhaft. Armutsflucht, ein Leben jenseits des Existenzminimums mit der höchsten Geburtensterblichkeit und der geringsten Lebenserwartung, die Ausgrenzung von Bildung und die Jahrhunderte lange Erfahrung von Gewalt und schließlich von Vernichtung werden in den Augen der Mehrheitsbevölkerung als Lüge oder als selbstverschuldet betrachtet. Insoweit legitimieren sie natürlich den nationalen Notstand, die Einrichtung von Sonderkommissaren und die Verleihung von Sonderkompetenzen. Sie rechtfertigen sowohl die Vertuschung von Verantwortlichkeit und Täterschaft bezüglich des kürzlichen Todesfalls eines Roma in Polizeigewahrsam in Latium als auch die massenhafte Verbreitung des Gerüchtes eines beabsichtigten Kinderdiebstahls. So funktioniert das Pogrom, es knüpft immer an dieselben Klischees an, wird in rasender Eile ausgeführt und dient darüber hinaus dazu, die Gelegenheit beim Schopf zu packen. Der empfänglichen Bevölkerung wird gleichzeitig das Konzept präsentiert, nunmehr die so genannten Illegalen, die Kriminellen und Asozialen erfolgreich zu bekämpfen und somit für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

Es gibt zu denken, wenn die rassistische Stimmung im Land so geeinigt ist gegenüber den ausgemachten Volksfeinden, dass selbst höchste Regierungsvertreter aus Spanien sich genötigt sehen, zur Mäßigung zu mahnen und an Minderheitenschutz erinnert. Hinter den Kulissen sind sich jedoch - zumindest im Bereich Innenpolitik und Migration - die EU-Vertreter einig und nehmen das fein inszenierte Pogrom gegen Roma und Flüchtlinge in Italien zum Anlass, effektivere Gesetze und engere Kooperation einzufordern. Im Klartext heißt das, die Flucht aus Elend, Verfolgung und Entrechtung wird noch schwieriger und die Kriminalisierung der Roma wird noch entschlossener umgesetzt. Sondergesetze, vereinheitlichte Fingerabdrücke und DNA-Tests, speziell im Hinblick auf die größte europäische Minderheit, sind ein Vorgeschmack, was an Konsequenz aus den Ereignissen in Italien zu erwarten ist.

Vergessen sollte niemand, dass die Vorgänge beileibe keine italienische Spezialität sind. Die geschlossene Ablehnung der Roma durch die Mehrheit ist auch deutsche Realität und wird nicht nur anhand teurer Untersuchungen immer wieder unter Beweis gestellt. Vor 15 Jahren wurde ein Roma-Lager in Frankfurt, am Marbach Weg, geräumt. Blitzschnelle Abschiebungen, Haft und Obdachlosigkeit sind von der Frankfurter Öffentlichkeit ähnlich begrüßt worden wie derzeit von den Bürgern in den Städten Italiens. Es ist kein rein italienisches Phänomen, wenn einerseits unter den Augen der öffentlichen Ordnung die Armutsstätten geschleift, Menschen verprügelt und gedemütigt werden und andererseits die Täter von den Opfern die Prinzipien des zivilen Zusammenlebens einfordern. Den Marsch durchs Lager forderten und unternahmen schon in den achtziger Jahren Geschäftsleute im saarländischen Lebach, denn sie sahen in den Roma-Flüchtlingen nicht nur geschäftsschädigende Gestalten, sondern auch asoziale Elemente. Die Mehrheit der Roma wurde damals allein aus Sicherheitsgründen in andere Bundesländer gebracht, weil man dem Lebacher Pöbel alles zutraute. Trotzdem sind viele der seinerzeit geifernden Geschäftsleute heute bankrott. Soviel zur rassistischen Projektion und vorsätzlichen Lüge.
Als ein Lager in der Slowakei vor kurzem geräumt wurde und die Familien in übliche Wohnungen einzogen, mobilisierten die örtlichen Einwohner mit der Begründung dagegen, die Roma würden bevorzugt. Im griechischen Patras wurden Roma ohne alternative Unterbringung aus ihrem Viertel vertrieben und in einer anderen griechischen Stadt klagten Familien erfolgreich dagegen, dass ihre Kinder die Schule nicht besuchen durften. Allerdings hatte dies zur Konsequenz, dass die besagte Schule nach dem Urteil und wegen erheblicher Elternproteste aus Gründen der Apartheid ein extra Gebäude für die Roma einrichtete.
Die Definition und Beurteilung der Verhaltensweise der Roma bleibt am Ende immer in den Händen derjenigen, die sie beschimpfen oder das vermeintlich Beste für sie wollen.

Sehr geehrte Damen und Herren, aus Köln erreichen uns erste Nachrichten von Roma-Familien, die aus Italien geflohen sind. Wir sollten uns auch hier in Frankfurt am Main für ihren Schutz und ihren Verbleib einsetzen und uns dafür engagieren, dass die Betroffenen nicht vom Regen in die Traufe kommen.

Vielen Dank

Roma-Union, Ffm
Frankfurt, den 14.06.08