Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Leika Böttcher, ich bin der Vorsitzende der Roma-Union.
Bereits letztes Jahr wies die Roma Union auf die besorgniserregende
Situation in Italien hin, wo aufgrund der Straftat eines Einzelnen, Jagd
auf Roma und Sinti gemacht wurde. Der Kreislauf von Diffamierung,
vermeintlicher Schuldzuschreibung, Generalisierung und breiter
Mobilisierung wurde durch Hetze und Gewalt exemplarisch vorgeführt. Die
beabsichtigte Ausweisung von Tausenden Flüchtlingen, die Ankündigung von
„Aktionswochen“ und „Fackelmärschen“ und die Aktivierung von
„Bürgerwehren“ vervollständigten das Bild des zeitgenössischen Pogroms
gegenüber Roma und Sinti in Italien und gaben Anlass zu großer Sorge.
Unsere Presseerklärung wurde nicht beachtet, doch die aktuellen Vorgänge
übertreffen die schlimmsten Befürchtungen.
Alleine die Unterstellung einer nie bewiesenen Straftat reichte aus, um
die angestaute Wut, den Hass gegenüber Ausländern ohne Papiere und
insbesondere gegenüber Roma erneut in rassistische Gewalt umzuwandeln. Das
Bild des Brunnenvergifters, des Schuldigen an der Missernte, an Krankheit
und Unglück ist heute ebenso reaktivierbar wie vor hunderten von Jahren.
Unterlassungen der Regierung Prodi, ihr allzu großes Verständnis für das
bekannte gesunde Volksempfinden, führen nun, unter Berlusconi und seinen
faschistischen Gefolgsleuten, zur offenen Hetze, zur „Exekution des
Volkszorns“ wie landesweit verbreitet wird. Angesichts der aktuellen
Ereignisse wird selbst öffentlich darüber nachgedacht, die heilige Kuh
Fußball zu schlachten, indem Sinti und Roma zukünftig aus
Profi-Mannschaften verbannt werden.
Es sollte sich niemand wundern, denn alles, was zur Zeit in Italien
passiert, war angekündigt und bahnt sich jetzt den Weg vom Mob, der
zündelt und tötet, bis in die oberste Politetage, die in Absprache mit
andern EU-Regierungen beschließt, schnellstmöglich auszuweisen, die
Abschiebehaft auf 18 Monate zu erweitern, die Grenzen noch dichter zu
machen und in Erwägung zieht, kurzerhand rechtlich garantierte
Freizügigkeiten außer Kraft zu setzten. Auch der österreichische
Landeshauptmann Haider meldet sich wieder zu Wort und warnt in alter
Nazimanier vor den flüchtenden Sinti und Roma aus Italien, die Tirol
übervölkern.
In Italien ist der Notstand ausgebrochen. Nicht etwa wegen des
rassistischen neuen und alten Ministerpräsidenten, weil die Müllentsorgung
nicht klappt oder das organisierte Verbrechen trotz staatlichem Segen
überhand nimmt, nein – letzten Endes sind es die Roma, die wiederholt als
Ursache allen Übels entdeckt werden und ihnen geht es aus mindestens zwei
Gründen an den Kragen. Ihr Verbrechen ist doppelt, nämlich Migrant und
Roma zu sein, wobei letzteres am schwersten wiegt und nach wie vor dem
Urteil, vogelfrei zu sein, gleichkommt. Das Szenario für die anschließende
Jagd ist stets dasselbe.
Die Akteure kommen zum Teil aus gutem Elternhaus, wie etwa die Skinheads,
die Nicola Tommasoli in Veneto ermordeten, vermutlich weil er zu lange
Haare hatte. Andere wohlbetuchte Jugendliche stammen aus der
Bürgermeister-Familie des Ortes Ponticelli bei Neapel und ihre Herkunft
hindert sie keineswegs daran, sich zusammenzurotten, um das Camp der Roma
anzuzünden. Ergänzt wird das Bild von der aufgebrachten Volksmenge, die
für die Vertreibung von Roma und für Lynchjustiz immer zu haben ist. Ihre
Straftaten wie schwere Körperverletzung, Mord und Brandstiftung bleiben
ohne Belang, während die Roma Geleitschutz in Abschiebehaft, Lager und
Gefängnis erhalten. Politik und Justiz verfolgen die Vorgänge mit
Interesse, denn sie haben die Legende des Sündenbocks lange genug
kultiviert. Ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen, stehen sie im
Hintergrund und hetzen auf moderne Art mit Hilfe der Presse und des
Fernsehens und nach dem Motto: die Guten sortieren und die Schlechten
entfernen. Zu der letzten Kategorie gehören erfahrungsgemäß die Roma –
ohne Ausnahme. Es gibt kein Vorurteil und keine rassistische Haltung, die
in ihrem Gedankengut, in ihrer ungeteilten Beliebtheit und in ihrer
brutalen Vollstreckung so gut zu instrumentalisieren ist wie die
herrschende Meinung gegenüber Roma und Juden.
Die gemeine Unterstellung gegenüber den Roma und Sinti in Europa sind
überall gleich und äußeren sich in Italien beispielhaft. Armutsflucht, ein
Leben jenseits des Existenzminimums mit der höchsten Geburtensterblichkeit
und der geringsten Lebenserwartung, die Ausgrenzung von Bildung und die
Jahrhunderte lange Erfahrung von Gewalt und schließlich von Vernichtung
werden in den Augen der Mehrheitsbevölkerung als Lüge oder als
selbstverschuldet betrachtet. Insoweit legitimieren sie natürlich den
nationalen Notstand, die Einrichtung von Sonderkommissaren und die
Verleihung von Sonderkompetenzen. Sie rechtfertigen sowohl die Vertuschung
von Verantwortlichkeit und Täterschaft bezüglich des kürzlichen Todesfalls
eines Roma in Polizeigewahrsam in Latium als auch die massenhafte
Verbreitung des Gerüchtes eines beabsichtigten Kinderdiebstahls. So
funktioniert das Pogrom, es knüpft immer an dieselben Klischees an, wird
in rasender Eile ausgeführt und dient darüber hinaus dazu, die Gelegenheit
beim Schopf zu packen. Der empfänglichen Bevölkerung wird gleichzeitig das
Konzept präsentiert, nunmehr die so genannten Illegalen, die Kriminellen
und Asozialen erfolgreich zu bekämpfen und somit für Ruhe und Ordnung zu
sorgen.
Es gibt zu denken, wenn die rassistische Stimmung im Land so geeinigt ist
gegenüber den ausgemachten Volksfeinden, dass selbst höchste
Regierungsvertreter aus Spanien sich genötigt sehen, zur Mäßigung zu
mahnen und an Minderheitenschutz erinnert. Hinter den Kulissen sind sich
jedoch - zumindest im Bereich Innenpolitik und Migration - die
EU-Vertreter einig und nehmen das fein inszenierte Pogrom gegen Roma und
Flüchtlinge in Italien zum Anlass, effektivere Gesetze und engere
Kooperation einzufordern. Im Klartext heißt das, die Flucht aus Elend,
Verfolgung und Entrechtung wird noch schwieriger und die Kriminalisierung
der Roma wird noch entschlossener umgesetzt. Sondergesetze,
vereinheitlichte Fingerabdrücke und DNA-Tests, speziell im Hinblick auf
die größte europäische Minderheit, sind ein Vorgeschmack, was an
Konsequenz aus den Ereignissen in Italien zu erwarten ist.
Vergessen sollte niemand, dass die Vorgänge beileibe keine italienische
Spezialität sind. Die geschlossene Ablehnung der Roma durch die Mehrheit
ist auch deutsche Realität und wird nicht nur anhand teurer Untersuchungen
immer wieder unter Beweis gestellt. Vor 15 Jahren wurde ein Roma-Lager in
Frankfurt, am Marbach Weg, geräumt. Blitzschnelle Abschiebungen, Haft und
Obdachlosigkeit sind von der Frankfurter Öffentlichkeit ähnlich begrüßt
worden wie derzeit von den Bürgern in den Städten Italiens. Es ist kein
rein italienisches Phänomen, wenn einerseits unter den Augen der
öffentlichen Ordnung die Armutsstätten geschleift, Menschen verprügelt und
gedemütigt werden und andererseits die Täter von den Opfern die Prinzipien
des zivilen Zusammenlebens einfordern. Den Marsch durchs Lager forderten
und unternahmen schon in den achtziger Jahren Geschäftsleute im
saarländischen Lebach, denn sie sahen in den Roma-Flüchtlingen nicht nur
geschäftsschädigende Gestalten, sondern auch asoziale Elemente. Die
Mehrheit der Roma wurde damals allein aus Sicherheitsgründen in andere
Bundesländer gebracht, weil man dem Lebacher Pöbel alles zutraute.
Trotzdem sind viele der seinerzeit geifernden Geschäftsleute heute
bankrott. Soviel zur rassistischen Projektion und vorsätzlichen Lüge.
Als ein Lager in der Slowakei vor kurzem geräumt wurde und die Familien in
übliche Wohnungen einzogen, mobilisierten die örtlichen Einwohner mit der
Begründung dagegen, die Roma würden bevorzugt. Im griechischen Patras
wurden Roma ohne alternative Unterbringung aus ihrem Viertel vertrieben
und in einer anderen griechischen Stadt klagten Familien erfolgreich
dagegen, dass ihre Kinder die Schule nicht besuchen durften. Allerdings
hatte dies zur Konsequenz, dass die besagte Schule nach dem Urteil und
wegen erheblicher Elternproteste aus Gründen der Apartheid ein extra
Gebäude für die Roma einrichtete.
Die Definition und Beurteilung der Verhaltensweise der Roma bleibt am Ende
immer in den Händen derjenigen, die sie beschimpfen oder das vermeintlich
Beste für sie wollen.
Sehr geehrte Damen und Herren, aus Köln erreichen uns erste Nachrichten
von Roma-Familien, die aus Italien geflohen sind. Wir sollten uns auch
hier in Frankfurt am Main für ihren Schutz und ihren Verbleib einsetzen
und uns dafür engagieren, dass die Betroffenen nicht vom Regen in die
Traufe kommen.
Vielen Dank
Roma-Union, Ffm
Frankfurt, den 14.06.08
|