Sehr geehrte Damen und
Herren,
am 3.6.2012 brannten Zelte des Occupy Camps. In einem
übernachtete eine junge schwangere Romni. Nur durch die Aufmerksamkeit
weiterer Camp-Bewohner konnte verhindert werden, dass Menschen zu Schaden
kamen. Mittlerweile verdichtet sich die Befürchtung, dass es sich um einen
Brandanschlag handelt. Dem Ganzen voraus gegangen war eine
Diffamierungskampagne, die sich vor allem gegen Roma richtete. Die Räumung
wegen sozialen und hygienischen Problemen, für die vorwiegend auch Roma
verantwortlich gemacht werden, steht kurz bevor.
Am 20.6.2012
suchte eine Roma-Familie vorübergehend Unterkunft in Kelkheim, sie war auf
der Durchreise. Da es kein öffentlicher Platz für die Familie gab, wurde
sie, eskortiert von der Polizei, nach Höchst gebracht. Die Beamten
begründeten nach Information der Betroffenen die Freiheitsberaubung damit,
dass die Bürgermeister von Hofheim und Kelkheim „keine Zigeuner“ im
Main-Taunus-Kreis wünschen.
Ein aufgebrachter Bürger ärgert sich
über laute Musik, die angeblich aus der Kindertagesstätte Schaworalle des
Förderverein Roma kommt. Ein Anliegen, das – sollte der Missmut begründet
sein – durch ein vernünftiges Gespräch leicht aus der Welt zu schaffen
wäre. Stattdessen hängt ein Zettel an der Haustür der Kita. Es ist die
Rede von „Kanaken-Zigeuner“, von „Zigeuner-Pack“, „anständigen deutschen
Bürgern“ und schändlich ausgegebenen Steuergeldern.
Am Montag
letzter Woche brannte es im Keller unter der ehemaligen Beratungs- und
Geschäftsstelle des Förderverein Roma. Wir werden in den Räumen im
November eine Krabbelstube eröffnen. Brandstiftung ist nach Auskunft der
Polizei nicht wahrscheinlich, kann allerdings auch nicht ausgeschlossen
werden.
Am 28.11.2012 findet die deutsche Uraufführung des
Auschwitz-Requiems des holländischen Sinti Roger Moreno Rathgeb in der
Frankfurter Alten Oper statt. Der Abend wird begleitet von unserer
Ausstellung Frankfurt-Auschwitz. Anschließend würden wir gerne die
Ausstellung samt Begleitveranstaltungen noch 14 Tage, also bis zum 16.12.,
dem Gedenktag zum Auschwitz-Erlass, im IG-Farben-Haus zeigen, an
historischem Ort, nämlich der Stelle, wo die Vernichtung durch Arbeit und
Gas in Hinblick auf Profit und Effizienz organisiert worden ist. Die
Anfrage des Förderverein Roma an die Uni, einen Raum zur Verfügung zu
stellen, blieb bis heute ohne Antwort. Jeder weiß, was das im
Verwaltungsdeutsch heißt, nein. Die Ausstellung Frankfurt-Auschwitz ist im
IG-Farben-Haus, der neuen Uni-Campus West, die sich doch, so wird es
zumindest kolportiert, ihrer historischen Verantwortung durchaus bewusst
sei, nicht erwünscht. Auch Mitte der 90iger Jahre, als die Roma-Union und
der Förderverein Roma beim Neubezug des Gebäudes vorschlugen, dort zwei
oder drei Räume für die Menschenrechts- und Öffentlichkeitsarbeit
einzurichten, war die Antwort seitens der Landesregierung negativ.
Letzte Woche brannte es in einem Roma-Flüchtlingslager in
Podgorica/Montenegro. Innerhalb einer Nacht wurden 850 Personen,
Flüchtlinge aus dem Kosovo, obdachlos. Die Ursache des Brandes ist
ungeklärt. Bereits 2011 brannte es im selben Lager. Ein Baby wurde
verletzt und 86 Personen obdachlos.
Gestern wurden erneut
Roma-Familien, ebenfalls Kriegs-Flüchtlinge, die seit über zehn Jahren in
Deutschland leben, vom Flughaben Düsseldorf nach Serbien abgeschoben. Eine
Abschiebung in Gefahr an Leib und Leben und in die vollständige
Perspektivlosigkeit.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich stelle
diese Bemerkungen meiner Rede vor, um zu vergegenwärtigen, wie die
aktuelle Situation von Roma und Sinti, insbesondere die von
Roma-Flüchtlingen ist. Die Ausführungen erheben keineswegs den Anspruch
auf Vollständigkeit.
Hermann Langbein, ein jüdischer
Auschwitz-Überlebender, berichtete, dass es im Vernichtungslager Auschwitz
Birkenau nichts Elenderes gab als den „Zigeunerblock“. Allein in der Nacht
vom 2. auf den 3. August 1944 wurden knapp 2900 Roma und Sinti aus dieser
Baracke vergast, nachdem sie sich im am 16. Mai desselben Jahres durch
einen Aufstand kurzzeitig erfolgreich gegen die massenhafte Vergasung zur
Wehr setzten. „Arbeitsfähige“ Roma und Sinti, vor allem diejenigen, die
den Widerstand organisiert hatten, wurden vor der Mordaktion selektiert
und in andere Lager deportiert. Romani Rose, der Vorsitzende des
Zentralrats der deutschen Sinti und Roma, führte dazu folgendes aus:
„In der Geschichte des Widerstandes unserer Minderheit gegen den
Nationalsozialismus hat der Aufstand in Auschwitz-Birkenau am 16. Mai 1944
einen besonderen Stellenwert. Um das Handeln der Beteiligten angemessen
würdigen zu können, müssen wir uns die Möglichkeiten von Widerstand unter
den damaligen Bedingungen bewusst machen. Bereits mit dem Eintritt in
das Konzentrationslager wurde der Häftling zur bloßen Nummer degradiert,
die man ihm auf die Haut eintätowierte. An diesem Ort grenzenloser Willkür
und – aus Sicht der Opfer – der totalen Ohnmacht ist jeder Versuch, sich
der aufgezwungenen Entmenschlichung entgegenzustellen, als ein Akt des
Widerstands zu betrachten. Dass es in der Hölle dennoch Solidarität und
Standhaftigkeit gegeben hat, verdient unsere höchste Anerkennung.
Dieser Widerstand umfasste ein breites Spektrum: Er reichte vom Protest
gegen Entrechtung und Ausgrenzung oder gegen Verschleppung von Angehörigen
bis zur Flucht aus den Konzentrationslagern. Als Teil der
Befreiungsbewegungen im nationalsozialistisch besetzten Europa leisteten
Sinti und Roma auch vielerorts bewaffneten Widerstand, wie zum Beispiel
innerhalb der französischen Résistance oder ihm ehemaligen Jugoslawien, wo
sich viele Angehörige unserer Minderheit der „Nationalen Befreiungsfront“
unter Tito anschlossen. Sie spielten eine wichtige Rolle bei der Befreiung
ihres Landes und erhielten nach dem Krieg höchste Auszeichnungen. Auch
darf nicht unerwähnt bleiben, dass in den Reihen der alliierten Truppen,
die Europa unter großen Opfern von der nationalsozialistischen
Schreckensherrschaft befreiten, auch zahlreiche Angehörige unserer
Minderheit kämpften.“
Ein Rom, der Auschwitz überlebte, berichtete
„Alles, was ich damals erlebt habe, kann ich nicht vergessen, bis auf den
heutigen Tag. Regelmäßig habe ich nachts Alpträume, dann träume ich von
all dem Schrecklichen, das ich in Auschwitz und anderswo erlebt habe, ich
wache dann mitten in der Nacht aus meinen Träumen auf und zittere am
ganzen Körper. Die Angstträume kehren immer wieder zurück, sie sind ein
Teil von mir geworden, den ich nicht mehr loswerde.“
Dieses Gefühl
bewegt viele Roma und Sinti und es vereinigt sich mit der Erfahrung, auch
nach Auschwitz im Land der Täter mit Verhaltensweisen konfrontiert zu
werden, deren Spektrum vom ignoranten Leugnen, über die intelligente
Verdrehung bis hin zur Umkehrung der Schuld reicht und zwar so, dass aus
den Mördern Opfer und die Geschundenen, die Roma und Sinti, für das
widerfahrene Leid selbst verantwortlich gemacht werden. Die ungebrochene
Popularität der Auschwitz-Lüge, die Umdeutung von Tätern und Mitläufern in
Opfer der Bomben der Alliierten, das ungeteilte heroische Gedenken an
NS-Kriegsverbrecher wie Stülpnagel und Nebe anlässlich des 20. Juli 1944,
das unerträgliche Hinauszögern der Entschädigung von Zwangsarbeitern und
die bis in die 60er Jahre reichende Rechtsprechung im Nazi-Jargon gegen
Roma und Sinti bei Wiedergutmachungsprozessen sind nur einige Elemente
dieser Konfrontation.
Die Befreiung von Auschwitz durch die rote
Armee, der Sieg über die Nazis führte nicht zur rigorosen und konsequenten
Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Dem Nürnberger
Kriegsverbrecherprozess wurde bereits 1959 vom Bundesgerichtshof die
Rechtsgültigkeit abgesprochen. Die Fairness eines rechtsstaatlichen
Verfahrens sei nicht gewährleistet gewesen. Wurden die Rechte der über
eine Million in Auschwitz ermordeten Juden, der vernichteten Roma und
Sinti bei diesem Urteil berücksichtigt? Erst Anfang der 60er Jahre fand
der viel beachtete Auschwitz-Prozess in Frankfurt statt; über 15 Jahre
nach der Befreiung durch die Alliierten.
Am 27.1.2000 wurde in der
Braubachstraße aus privaten Mitteln und nur durch massive
Öffentlichkeitsarbeit der Roma-Union, des Förderverein Roma und vielen
UnterstützerInnen eine Tafel am Stadtgesundheitsamt angebracht. Über zehn
Jahre lang haben fast alle Parteien und Gremien und das Institut für
Stadtgeschichte die Tafel verhindert. Die Wahrung der
Persönlichkeitsrechte der Täter, eine angeblich unsichere Beweislage über
ihre Verbrechen, die namentliche Erwähnung der Verantwortlichen, die
Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Nachkriegszeit und die
angebliche Gefahr, dass durch die Anbringung der Mahntafel ein
Wallfahrtsort für Neonazis entstünde waren die ebenso unglaubwürdigen wie
konstruierten Gründe der Ablehnung. Die Tafel erinnert an die
ermordeten Roma und Sinti und benennt, dass die beiden für die Erfassung
und Deportation maßgeblich verantwortlichen NS-Rasseforscher Ritter und
Justin nach 1945 nicht etwa strafrechtlich zur Verantwortung gezogen
worden sind, sondern, wie im Fall von Justin, noch bis in die 60er Jahre
im gehobenen medizinischen Dienste der Stadt Frankfurt standen; trotz
Wissen über ihre Funktion während der NS-Zeit.
Die Stadt Frankfurt
täte gut daran, sich dessen zu erinnern, was der politischen und
menschlichen Verantwortung entspricht. Ich meine damit, dass alleine die
recht spät errichteten Gedenkplatten auf dem Hauptfriedhof, in der Krupp-
und Dieselstrasse und am Stadtgesundheitsamt nicht ausreichen. Die
Gedenkplatte auf dem Hauptfriedhof ist kaum zu finden und völlig
verdreckt. Verantwortung für die unvergleichbare Vernichtung im
Nationalsozialismus fällt wie bei den Tafeln Diesel- und Kruppstraße, wo
sich die beiden Frankfurter Lager befanden, von denen aus Sinti und Roma
nach Auschwitz deportiert wurden, der beabsichtigten Vergessenheit anheim.
Es gibt kein öffentliches Interesse, den relevanten politischen
Zusammenhang zwischen NS-Vergangenheit und Gegenwart herzustellen.
Notwendiger denn je ist es, zu erinnern, welche tragenden Rollen NS
Bürgermeister Krebs und der Polizeipräsident Beckerle bei der Verfolgung
von Roma und Sinti hatten. Es soll nicht verschwiegen werden, dass KZ-Arzt
Mengele und einer der Haupttheoretiker der NS-Rassenideologie, Verschuer,
an der Frankfurter Uni tätig waren. Hinweise über die Machenschaften
während der NS-Zeit des hiesigen Erbgesundheitsgerichtes und die
Informationen, aus welchen Schulen Roma und Sinti entfernt wurden, stehen
ebenso offen wie die Bezeichnung der Orte, von denen aus deportiert wurde,
der Zeitungen und ihren Nachfolgern, die die Hetze betrieben und der Lager
in der Krieg-, Solms- und Fritzlaer Straße, die bereits in den frühen 30er
Jahren zur Internierung von Roma und Sinti dienten. Und schließlich bleibt
die Forderung nach einer zentralen Gedenk- und Erinnerungsstätte in
Frankfurt am Main. Es geht um mehr, wenn wie bereits erwähnt,
Roma-Flüchtlinge massenhaft ins Kosovo abgeschoben werden. Zielsicher und
rigoros verfolgen die Behörden die Ausweisungen und nehmen die Verfolgung
und Diskriminierung der Roma im Kosovo billigend in Kauf, entgegen den
Empfehlungen vieler Flüchtlingsorganisationen. Roma aus Serbien und
Mazedonien, die vor Armut, Unterdrückung und Perspektivlosigkeit flüchten
wollen, wird die Ausreise verweigert. In Italien waren Roma Pogromen
ausgesetzt. In Ungarn wurden sechs Roma von faschistischen Kreisen geplant
und per Auftrag ermordet, rechtsgerichtete Parteien hetzen nach dem
Sündenbockprinzip in ost- und westeuropäischen Ländern. Übergriffe seitens
der Ordnungsbehörden speziell gegenüber Roma häufen sich. Die Blaupause
erinnert an die hiesigen Morde des nationalsozialistischen Untergrunds.
Die betroffenen Familien wurden über Jahre hinweg selbst für die Taten
verantwortlich gemacht und obskure Geheimdienstverflechtungen, die
Beseitigung von relevantem Belastungsmaterial spielen bei der Vertuschung
zunehmend eine Rolle. Was weniger bekannt ist, nicht zuletzt auch Sinti
und Roma standen im Fadenkreuz der gezielt rechtsblinden Fahnder. Darunter
ältere Menschen und Angehörige, denen die Erfahrung der NS-Lager
gegenwärtig war und die sich demütigenden Untersuchungen unterziehen
mussten.
Das Verfassungsgerichtsurteil, wonach die Bezeichnung des
Holocaust als Zwecklüge und die Morde in der Gaskammer als Geschichtslüge
straffrei bleiben, signalisieren vor dem Hintergrund neonazistischer
Morde, der Unfähigkeit der Strafverfolgungsbehörden und einem
gesellschaftlichen Konsens, der Antisemitismus und Antiziganismus wieder
hoffähig macht, das genau falsche Zeichen.
Indem auf die
Verbrechen hingewiesen, Rassismus und Antisemitismus widerstanden wird,
dominieren statt Vergessen, Vergeben und Verleugnen Erinnerung und
verantwortungsbewusstes Handeln, so wie es die Tafel am
Stadtgesundheitsamt in Frankfurt am Main einfordert.
Vielen Dank
Joachim Brenner Förderverein Roma
Ffm., den
2.8.2012
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