Rede auf der Veranstaltung anlässlich des 68. Jahrestages der Liquidation des „Zigeunerlagers“ Auschwitz (02.08.2012)



Sehr geehrte Damen und Herren,

am 3.6.2012 brannten Zelte des Occupy Camps. In einem übernachtete eine junge schwangere Romni. Nur durch die Aufmerksamkeit weiterer Camp-Bewohner konnte verhindert werden, dass Menschen zu Schaden kamen. Mittlerweile verdichtet sich die Befürchtung, dass es sich um einen Brandanschlag handelt. Dem Ganzen voraus gegangen war eine Diffamierungskampagne, die sich vor allem gegen Roma richtete. Die Räumung wegen sozialen und hygienischen Problemen, für die vorwiegend auch Roma verantwortlich gemacht werden, steht kurz bevor.

Am 20.6.2012 suchte eine Roma-Familie vorübergehend Unterkunft in Kelkheim, sie war auf der Durchreise. Da es kein öffentlicher Platz für die Familie gab, wurde sie, eskortiert von der Polizei, nach Höchst gebracht. Die Beamten begründeten nach Information der Betroffenen die Freiheitsberaubung damit, dass die Bürgermeister von Hofheim und Kelkheim „keine Zigeuner“ im Main-Taunus-Kreis wünschen.

Ein aufgebrachter Bürger ärgert sich über laute Musik, die angeblich aus der Kindertagesstätte Schaworalle des Förderverein Roma kommt. Ein Anliegen, das – sollte der Missmut begründet sein – durch ein vernünftiges Gespräch leicht aus der Welt zu schaffen wäre. Stattdessen hängt ein Zettel an der Haustür der Kita. Es ist die Rede von „Kanaken-Zigeuner“, von „Zigeuner-Pack“, „anständigen deutschen Bürgern“ und schändlich ausgegebenen Steuergeldern.

Am Montag letzter Woche brannte es im Keller unter der ehemaligen Beratungs- und Geschäftsstelle des Förderverein Roma. Wir werden in den Räumen im November eine Krabbelstube eröffnen. Brandstiftung ist nach Auskunft der Polizei nicht wahrscheinlich, kann allerdings auch nicht ausgeschlossen werden.

Am 28.11.2012 findet die deutsche Uraufführung des Auschwitz-Requiems des holländischen Sinti Roger Moreno Rathgeb in der Frankfurter Alten Oper statt. Der Abend wird begleitet von unserer Ausstellung Frankfurt-Auschwitz. Anschließend würden wir gerne die Ausstellung samt Begleitveranstaltungen noch 14 Tage, also bis zum 16.12., dem Gedenktag zum Auschwitz-Erlass, im IG-Farben-Haus zeigen, an historischem Ort, nämlich der Stelle, wo die Vernichtung durch Arbeit und Gas in Hinblick auf Profit und Effizienz organisiert worden ist. Die Anfrage des Förderverein Roma an die Uni, einen Raum zur Verfügung zu stellen, blieb bis heute ohne Antwort. Jeder weiß, was das im Verwaltungsdeutsch heißt, nein. Die Ausstellung Frankfurt-Auschwitz ist im IG-Farben-Haus, der neuen Uni-Campus West, die sich doch, so wird es zumindest kolportiert, ihrer historischen Verantwortung durchaus bewusst sei, nicht erwünscht. Auch Mitte der 90iger Jahre, als die Roma-Union und der Förderverein Roma beim Neubezug des Gebäudes vorschlugen, dort zwei oder drei Räume für die Menschenrechts- und Öffentlichkeitsarbeit einzurichten, war die Antwort seitens der Landesregierung negativ.

Letzte Woche brannte es in einem Roma-Flüchtlingslager in Podgorica/Montenegro. Innerhalb einer Nacht wurden 850 Personen, Flüchtlinge aus dem Kosovo, obdachlos. Die Ursache des Brandes ist ungeklärt. Bereits 2011 brannte es im selben Lager. Ein Baby wurde verletzt und 86 Personen obdachlos.

Gestern wurden erneut Roma-Familien, ebenfalls Kriegs-Flüchtlinge, die seit über zehn Jahren in Deutschland leben, vom Flughaben Düsseldorf nach Serbien abgeschoben. Eine Abschiebung in Gefahr an Leib und Leben und in die vollständige Perspektivlosigkeit.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich stelle diese Bemerkungen meiner Rede vor, um zu vergegenwärtigen, wie die aktuelle Situation von Roma und Sinti, insbesondere die von Roma-Flüchtlingen ist. Die Ausführungen erheben keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit.

Hermann Langbein, ein jüdischer Auschwitz-Überlebender, berichtete, dass es im Vernichtungslager Auschwitz Birkenau nichts Elenderes gab als den „Zigeunerblock“. Allein in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 wurden knapp 2900 Roma und Sinti aus dieser Baracke vergast, nachdem sie sich im am 16. Mai desselben Jahres durch einen Aufstand kurzzeitig erfolgreich gegen die massenhafte Vergasung zur Wehr setzten. „Arbeitsfähige“ Roma und Sinti, vor allem diejenigen, die den Widerstand organisiert hatten, wurden vor der Mordaktion selektiert und in andere Lager deportiert.
Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats der deutschen Sinti und Roma, führte dazu folgendes aus:
„In der Geschichte des Widerstandes unserer Minderheit gegen den Nationalsozialismus hat der Aufstand in Auschwitz-Birkenau am 16. Mai 1944 einen besonderen Stellenwert. Um das Handeln der Beteiligten angemessen würdigen zu können, müssen wir uns die Möglichkeiten von Widerstand unter den damaligen Bedingungen bewusst machen.
Bereits mit dem Eintritt in das Konzentrationslager wurde der Häftling zur bloßen Nummer degradiert, die man ihm auf die Haut eintätowierte. An diesem Ort grenzenloser Willkür und – aus Sicht der Opfer – der totalen Ohnmacht ist jeder Versuch, sich der aufgezwungenen Entmenschlichung entgegenzustellen, als ein Akt des Widerstands zu betrachten. Dass es in der Hölle dennoch Solidarität und Standhaftigkeit gegeben hat, verdient unsere höchste Anerkennung.
Dieser Widerstand umfasste ein breites Spektrum: Er reichte vom Protest gegen Entrechtung und Ausgrenzung oder gegen Verschleppung von Angehörigen bis zur Flucht aus den Konzentrationslagern. Als Teil der Befreiungsbewegungen im nationalsozialistisch besetzten Europa leisteten Sinti und Roma auch vielerorts bewaffneten Widerstand, wie zum Beispiel innerhalb der französischen Résistance oder ihm ehemaligen Jugoslawien, wo sich viele Angehörige unserer Minderheit der „Nationalen Befreiungsfront“ unter Tito anschlossen. Sie spielten eine wichtige Rolle bei der Befreiung ihres Landes und erhielten nach dem Krieg höchste Auszeichnungen. Auch darf nicht unerwähnt bleiben, dass in den Reihen der alliierten Truppen, die Europa unter großen Opfern von der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft befreiten, auch zahlreiche Angehörige unserer Minderheit kämpften.“

Ein Rom, der Auschwitz überlebte, berichtete „Alles, was ich damals erlebt habe, kann ich nicht vergessen, bis auf den heutigen Tag. Regelmäßig habe ich nachts Alpträume, dann träume ich von all dem Schrecklichen, das ich in Auschwitz und anderswo erlebt habe, ich wache dann mitten in der Nacht aus meinen Träumen auf und zittere am ganzen Körper. Die Angstträume kehren immer wieder zurück, sie sind ein Teil von mir geworden, den ich nicht mehr loswerde.“

Dieses Gefühl bewegt viele Roma und Sinti und es vereinigt sich mit der Erfahrung, auch nach Auschwitz im Land der Täter mit Verhaltensweisen konfrontiert zu werden, deren Spektrum vom ignoranten Leugnen, über die intelligente Verdrehung bis hin zur Umkehrung der Schuld reicht und zwar so, dass aus den Mördern Opfer und die Geschundenen, die Roma und Sinti, für das widerfahrene Leid selbst verantwortlich gemacht werden. Die ungebrochene Popularität der Auschwitz-Lüge, die Umdeutung von Tätern und Mitläufern in Opfer der Bomben der Alliierten, das ungeteilte heroische Gedenken an NS-Kriegsverbrecher wie Stülpnagel und Nebe anlässlich des 20. Juli 1944, das unerträgliche Hinauszögern der Entschädigung von Zwangsarbeitern und die bis in die 60er Jahre reichende Rechtsprechung im Nazi-Jargon gegen Roma und Sinti bei Wiedergutmachungsprozessen sind nur einige Elemente dieser Konfrontation.

Die Befreiung von Auschwitz durch die rote Armee, der Sieg über die Nazis führte nicht zur rigorosen und konsequenten Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Dem Nürnberger Kriegsverbrecherprozess wurde bereits 1959 vom Bundesgerichtshof die Rechtsgültigkeit abgesprochen. Die Fairness eines rechtsstaatlichen Verfahrens sei nicht gewährleistet gewesen. Wurden die Rechte der über eine Million in Auschwitz ermordeten Juden, der vernichteten Roma und Sinti bei diesem Urteil berücksichtigt? Erst Anfang der 60er Jahre fand der viel beachtete Auschwitz-Prozess in Frankfurt statt; über 15 Jahre nach der Befreiung durch die Alliierten.

Am 27.1.2000 wurde in der Braubachstraße aus privaten Mitteln und nur durch massive Öffentlichkeitsarbeit der Roma-Union, des Förderverein Roma und vielen UnterstützerInnen eine Tafel am Stadtgesundheitsamt angebracht. Über zehn Jahre lang haben fast alle Parteien und Gremien und das Institut für Stadtgeschichte die Tafel verhindert. Die Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Täter, eine angeblich unsichere Beweislage über ihre Verbrechen, die namentliche Erwähnung der Verantwortlichen, die Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Nachkriegszeit und die angebliche Gefahr, dass durch die Anbringung der Mahntafel ein Wallfahrtsort für Neonazis entstünde waren die ebenso unglaubwürdigen wie konstruierten Gründe der Ablehnung.
Die Tafel erinnert an die ermordeten Roma und Sinti und benennt, dass die beiden für die Erfassung und Deportation maßgeblich verantwortlichen NS-Rasseforscher Ritter und Justin nach 1945 nicht etwa strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden sind, sondern, wie im Fall von Justin, noch bis in die 60er Jahre im gehobenen medizinischen Dienste der Stadt Frankfurt standen; trotz Wissen über ihre Funktion während der NS-Zeit.

Die Stadt Frankfurt täte gut daran, sich dessen zu erinnern, was der politischen und menschlichen Verantwortung entspricht. Ich meine damit, dass alleine die recht spät errichteten Gedenkplatten auf dem Hauptfriedhof, in der Krupp- und Dieselstrasse und am Stadtgesundheitsamt nicht ausreichen. Die Gedenkplatte auf dem Hauptfriedhof ist kaum zu finden und völlig verdreckt. Verantwortung für die unvergleichbare Vernichtung im Nationalsozialismus fällt wie bei den Tafeln Diesel- und Kruppstraße, wo sich die beiden Frankfurter Lager befanden, von denen aus Sinti und Roma nach Auschwitz deportiert wurden, der beabsichtigten Vergessenheit anheim. Es gibt kein öffentliches Interesse, den relevanten politischen Zusammenhang zwischen NS-Vergangenheit und Gegenwart herzustellen.

Notwendiger denn je ist es, zu erinnern, welche tragenden Rollen NS Bürgermeister Krebs und der Polizeipräsident Beckerle bei der Verfolgung von Roma und Sinti hatten. Es soll nicht verschwiegen werden, dass KZ-Arzt Mengele und einer der Haupttheoretiker der NS-Rassenideologie, Verschuer, an der Frankfurter Uni tätig waren. Hinweise über die Machenschaften während der NS-Zeit des hiesigen Erbgesundheitsgerichtes und die Informationen, aus welchen Schulen Roma und Sinti entfernt wurden, stehen ebenso offen wie die Bezeichnung der Orte, von denen aus deportiert wurde, der Zeitungen und ihren Nachfolgern, die die Hetze betrieben und der Lager in der Krieg-, Solms- und Fritzlaer Straße, die bereits in den frühen 30er Jahren zur Internierung von Roma und Sinti dienten. Und schließlich bleibt die Forderung nach einer zentralen Gedenk- und Erinnerungsstätte in Frankfurt am Main.
Es geht um mehr, wenn wie bereits erwähnt, Roma-Flüchtlinge massenhaft ins Kosovo abgeschoben werden. Zielsicher und rigoros verfolgen die Behörden die Ausweisungen und nehmen die Verfolgung und Diskriminierung der Roma im Kosovo billigend in Kauf, entgegen den Empfehlungen vieler Flüchtlingsorganisationen. Roma aus Serbien und Mazedonien, die vor Armut, Unterdrückung und Perspektivlosigkeit flüchten wollen, wird die Ausreise verweigert. In Italien waren Roma Pogromen ausgesetzt. In Ungarn wurden sechs Roma von faschistischen Kreisen geplant und per Auftrag ermordet, rechtsgerichtete Parteien hetzen nach dem Sündenbockprinzip in ost- und westeuropäischen Ländern. Übergriffe seitens der Ordnungsbehörden speziell gegenüber Roma häufen sich. Die Blaupause erinnert an die hiesigen Morde des nationalsozialistischen Untergrunds. Die betroffenen Familien wurden über Jahre hinweg selbst für die Taten verantwortlich gemacht und obskure Geheimdienstverflechtungen, die Beseitigung von relevantem Belastungsmaterial spielen bei der Vertuschung zunehmend eine Rolle. Was weniger bekannt ist, nicht zuletzt auch Sinti und Roma standen im Fadenkreuz der gezielt rechtsblinden Fahnder. Darunter ältere Menschen und Angehörige, denen die Erfahrung der NS-Lager gegenwärtig war und die sich demütigenden Untersuchungen unterziehen mussten.

Das Verfassungsgerichtsurteil, wonach die Bezeichnung des Holocaust als Zwecklüge und die Morde in der Gaskammer als Geschichtslüge straffrei bleiben, signalisieren vor dem Hintergrund neonazistischer Morde, der Unfähigkeit der Strafverfolgungsbehörden und einem gesellschaftlichen Konsens, der Antisemitismus und Antiziganismus wieder hoffähig macht, das genau falsche Zeichen.

Indem auf die Verbrechen hingewiesen, Rassismus und Antisemitismus widerstanden wird, dominieren statt Vergessen, Vergeben und Verleugnen Erinnerung und verantwortungsbewusstes Handeln, so wie es die Tafel am Stadtgesundheitsamt in Frankfurt am Main einfordert.

Vielen Dank
Joachim Brenner
Förderverein Roma

Ffm., den 2.8.2012