Verleihung des Integrationspreises der Stadt Frankfurt am Main an den Förderverein Roma e.V. (26.11.2013)




Laudatio von Uwe Paulsen (Stadtverordneter Die Grünen / Mitglied der Jury)

Sehr geehrter Herr Brenner als Geschäftsleiter des Fördervereins Roma e.V., sehr geehrte Frau Ernst als Leiterin der Kindertagesstätte Schaworalle, sehr geehrte Frau Calderas, Frau Cirpaci, Frau Siwak, die als Mitarbeiterinnen des Vereins ebenfalls anwesend sind, sehr geehrte Damen und Herren,
der Philosoph Bertrand Russel hat vor rund 60 Jahren gesagt: „Gesellschaftlicher Fortschritt ist nur über Minderheiten möglich, Mehrheiten zementieren das Bestehende“. In Anlehnung an diese Erkenntnis können wir mit Recht sagen, demokratische und an den Menschen- und Bürgerrechten orientierte Gesellschaften können sich nur dann weiterentwickeln, wenn es Institutionen, Einrichtungen und Menschen gibt, die gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung von Minderheiten kämpfen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Leitbild des Fördervereins Roma wird ein Versäumnis unserer Gesellschaft angesprochen und damit zugleich erklärt, warum es eine Einrichtung wie den Förderverein Roma geben muss. Ich zitiere:
„Roma und Sinti sind die größte ethnische Minderheit in Europa. Sie umfasst über acht Millionen Menschen. Diese Minderheit wird vom größten Teil der Mehrheitsbevölkerung(en) abgelehnt, was die Menschen täglich zu spüren bekommen. Die Folgen sind eine vielfach höhere Arbeitslosigkeit, soziale Isolation, Marginalisierung, Stigmatisierung, eine durchschnittlich geringere Lebenserwartung und höhere Säuglingssterblichkeit sowie unzureichende Bildungschancen.“
Diese Lebensumstände vor Augen formuliert der Förderverein Roma seine Aufgaben:
„Der Förderverein Roma e. V. sieht sich vor diesem Hintergrund den Zielen verpflichtet, die soziale, politische und gesellschaftliche Lage der Roma und Sinti im Sinne einer umfänglichen Gleichberechtigung zu gestalten. Er weist in diesem Zusammenhang auf die besondere Verantwortung angesichts der deutschen Geschichte hin, in der die Diskriminierung und Verfolgung der Roma und Sinti bis zur industriellen Vernichtung während des Nationalsozialismus ging. Nach 1945 wurde die Diskriminierung ungebrochen fortgesetzt.“

In diesem Sinne arbeitet der Förderverein Roma auf zwei wichtigen Feldern: Zum einen soll die Lebenssituation der Roma und Sinti verbessert werden, das entscheidende Stichwort heißt dabei Gleichberechtigung. Um Gleichberechtigung zu erreichen, d.h. für den Verein eine „umfassende menschliche Existenz zu ermöglichen“, muss Bildung einen zentralen Stellenwert haben.
Der 1993 gegründete Förderverein Roma kann stolz und selbstbewusst zurückblicken auf ein langjähriges Engagement. Der Umsetzung des Zieles, „ein organisiertes Engagement gegen Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung“ zu ermöglichen, dienen zahlreiche Schwerpunkte und Initiativen.

Ich möchte einige Arbeitsbereiche nennen:
• Die Sozialberatung umfasst u.a. die Hilfe bei Problemen bezüglich Aufenthalt, Lebensunterhalt, Ausbildung und gleichzeitig auch die Betreuung und Begleitung von Überlebenden der Verfolgung im Nationalsozialismus.
• Das Berufsbildungsprojekt für Roma-Jugendliche. Hier werden angeboten berufliche Bildung und Orientierung sowie schulische Qualifikation für Roma im Alter zwischen 16 und 27 Jahren. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen absolvieren Praktika, besuchen einen Wirtschafts- und Computerkurs und qualifizieren sich schulisch weiter. Zwischen 30 und 50 % der Teilnehmer erwerben den Hauptschulabschluss.
• Eine ambulante sozialpädagogische Lern- und Familienhilfe sowie Erziehungsbeistandschaft unterstützt Roma-Familien in den verschiedenen Stadtteilen.
• Das Erwachsenenbildungsprojekt für Roma bietet 15 Teilnehmern und Teilnehmerinnen Angebote mit den Schwerpunkten Alphabetisierung, berufliche Orientierung und Weitervermittlung in Qualifikation, Ausbildung oder Erwerbstätigkeit.
• Der Förderverein Roma war auch Gründungsmitglied des 2001 gegründeten Philharmonischen Vereins der Sinti und Roma. Der Philharmonische Verein wird in vielfältiger Form unterstützt in seinem selbstformulierten Auftrag, das musikalische Erbe der Sinti und Roma zu pflegen.
• Im Februar 2013 wurde eine Krabbelstube mit zehn Plätzen für Kinder von 0 - 3 Jahren eröffnet.
• Schließlich sei erwähnt die Kindertagesstätte Schaworalle in der Stoltzestraße. Hierzu muss ich Ihnen aus meiner persönlichen Erfahrung sagen, dass wir kürzlich mit einigen Mitgliedern der Grünen-Fraktion die Kindertagesstätte Schworalle besucht haben und dann feststellen konnten, dass die Kindertagesstätte gleichzeitig ein bundesweit anerkanntes Modellprojekt für Grund- und Hauptschüler integriert hat. Im Sommer diesen Jahres wurden 70 Kinder im Alter von 3 bis 15 Jahren, überwiegend Roma aus Rumänien, in dieser Einrichtung betreut. Schon im Jahre 2006 erhielt Schaworalle für sein beispielhaftes Engagement die Theodor-Heuss-Medaille.

Der Förderverein Roma beschäftigt zur Zeit 40 Personen, etwa die Hälfte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Roma. Der Verein selber hat 16 Mitglieder.

Meine Damen und Herren,
die Arbeit des Fördervereins verlief nicht ohne Konflikte mit anderen Entscheidungsträgern. In einem Gespräch berichtete mir Herr Brenner von den Vorbehalten, die es auch in der städtischen Verwaltung gab. Das schlug dann aber um in Anerkennung für die Arbeit. So soll ein zunächst skeptischer Amtsleiter im Sozialdezernat sich nach einiger Zeit anerkennend geäußert haben mit den Worten: „Die reden nicht nur, sondern sie machen auch was“.

Ein anderes Beispiel: Im September 2011 gab es in der Kindertagesstätte Schaworalle eine so genannte Inobhutnahme von Kindern. Dies führte zu einer schweren Belastung für das so dringend notwendige Vertrauensverhältnis zu den Klienten.

Meine Damen und Herren,

in Frankfurt und Umgebung leben zur Zeit etwa 3000 - 4000 Roma, in der Mehrzahl ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Etwa 300 Roma in Frankfurt sind zurzeit obdachlos. Die gegenwärtige bundespolitische Diskussion über die so genannte Armutsmigration aus Osteuropa ist auch eine Diskussion über das Schicksal und die Lebensumstände der Roma. Wenn heute Bundespolitiker fordern, die so genannte Armutsmigration aus Osteuropa durch Grenzkontrollen zu stoppen, dann wollen sie auch die Rechte der Roma einschränken. Wer das fordert, widerspricht dem Geist der europäischen Union und der europäischen Integration. Europa ist nicht nur, aber auch eine Wertegemeinschaft. Diese Werte sind nicht teilbar. Es darf in Europa keine Unterteilung in Bürger erster und Bürger zweiter Klasse geben.

Umso wichtiger ist es, dass es ein Engagement gibt, wie es der Förderverein Roma vorlebt. Das gilt auch für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Die Gedenktafel am Stadtgesundheitsamt und die Ausstellung Frankfurt-Auschwitz, die bundesweit gezeigt wurde, sind Ausdruck dieser wichtigen historischen Verantwortung, der sich der Verein stellt.

Sehr geehrter Herr Brenner, sehr geehrte Frau Ernst, wir waren sehr überzeugt von Ihrer Arbeit und ich möchte Ihnen im Namen der Jury ganz herzlich zur Verleihung des Integrationspreises 2013 gratulieren.



Joachim Brenner, Förderverein Roma e.V.
Rede zur Verleihung des Integrationspreises 2013, Römerberg, Kaisersaal, 26.11.2013, 18.30 Uhr

"In Frankreich protestierten landesweit, mit Nachdruck und lautstark, Menschen gegen die Abschiebung einer Roma-Schülerin und ihrer Familie ins Kosovo. Die erfolgreiche Schülerin spricht weder serbokroatisch noch albanisch. Ihre Muttersprache ist romanes und französisch. Als Reaktion skandierte Innenminister Valls, Roma seien nicht integrierbar. Selbst wenn man dem Begriff Integration kritisch gegenübersteht, denn es geht mehr um Diversität, Inklusion, um Respekt, Akzeptanz und Anerkennung, bleibt die Aussage von Valls zutiefst rassistisch. Wie über Jahrhunderte hinweg existierende Vorurteile zu einem verachtenden Medienhype werden, zeigt die Berichterstattung über das angeblich entführte blonde Roma-Mädchen in einem griechischen Camp. Von den haltlosen Behauptungen bezüglich Kauf, Diebstahl und Misshandlung blieb am Ende nichts übrig, außer der Gewissheit, dass es auch blonde Roma-Mädchen gibt und die vorschnelle Inobhutnahme bzw. Rückführung nach Bulgarien genauso falsch war wie die zeitgleiche Herausnahme von blonden Kindern aus Roma-Familien in anderen Ländern.

Seit Jahren werden Roma aus dem Bundesgebiet und auch aus Hessen entgegen Empfehlungen von Menschenrechtsorganisationen ins ehemalige Jugoslawien ausgewiesen. Ähnlich wie bei der Räumung des Blockupy-Camps letztes Jahr, in dem viele der ärmsten Roma allein Unterstützung und Versorgung fanden, wird versucht, die Betroffenen zu vertreiben. Das Wenige an Hab und Gut, wie die so wichtige Iso-Matte, wird oftmals einbehalten.

Alle Ordnungspolitiker können sicher sein: das Elend in den Herkunftsländern - und damit meine ich die hohe Säuglingssterblichkeit, die um 20 Jahre geringere Lebenserwartung, die enorme Arbeits- und Perspektivlosigkeit, die desolate Wohn-, Versorgungs- und Gesundheitssituation, der Ausschluss von Bildung und gesellschaftlicher Teilhabe und die zum Teil tödliche Aggression des pogromähnlichen Volkszorns gegenüber den Roma - ist so unvorstellbar, dass Abschreckung nicht funktioniert. Selbst wenn es nur wenige sind, die den Weg in den Westen Europas finden, sie werden hier ankommen und die Gesellschaft mit der Kehrseite der florierenden Geschäfte, wie sie beispielsweise mit den Billiglohnländern Rumänien oder Bulgarien seit Jahrzehnten gemacht werden, konfrontieren.

Im Wahlkampf redeten Innenminister vom Zuzug in die Sozialsysteme und verbreiteten gefälschte Zahlen. Rechte Plakate propagierten im NS-Stil den Hass gegenüber Roma, der bis in die Mitte der Gesellschaft reicht. Selbst als sich die Anschuldigungen als völlig haltlos erwiesen, dass Sinti und Roma die NSU-Verbrechen begangen hätten, wurde seitens des Bundeskriminalamtes weiter gegen sie ermittelt. Ein Polizei-Beamter aus Frankfurt hetzte als rechtslastiger Parteikandidat in seinem Heimatbezirk, indem er auf Roma im Bahnhofsviertel hinwies und den Untergang Deutschlands beschwörte. Der seitens der jüdischen Gemeinde anlässlich des 75. Jahrestages der Reichspogromnacht massiv kritisierte erstarkte Antisemitismus geht einher mit der zunehmenden Diskriminierung von Roma und Sinti.

Von Obdachlosigkeit, Krankheit und mangelhafte Versorgung sind auch Roma in Frankfurt betroffen. Statt Verweigerung von Leistungen sollten sich die politisch Verantwortlichen darüber klar werden, dass ordnungspolitisches Maxime kein Elend lindern. Es darf nicht vergessen werden, dass wir es zu einem großen Teil mit europäischen Staatsbürgern zu tun haben, deren Rechtsansprüche auf Hilfe verbrieft und zunehmend höchstrichterlich bestätigt werden – ebenso wie ihr Recht auf Freizügigkeit. Skandalös ist, dass der Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr in der europäischen Union offenbar mehr Wert ist, als die von Armut betroffenen Menschen, die in ihr leben.

Jano Grünholz, ein 60jähriger Frankfurter Roma, dessen Familie seit Generationen in Deutschland zuhause ist, ist staatenlos, weil die Nazis die deutsche Staatsbürgerschaft der Eltern aberkannten und sie seither nicht mehr verliehen wurde - Jano hätte vermutlich dem Preis kritisch gegenüber gestanden. Die Realität zwischen unseren Erfahrungen, insbesondere in der Sozialberatung und den sicherlich ernst gemeinten, wohlwollenden Zielen des Preises, ist so groß. Gleich ob es die 77 jährige Frau ist, die nicht untergebracht werden konnte und letztes Jahr im Rollstuhl auf der Straße starb oder der eklatante Mangel an der Bereitstellung von menschenwürdigem Wohnraum und angemessener Versorgung - es bleibt eine enorme Diskrepanz.

Sicherlich ist die Stadt Frankfurt und das Jobcenter mit der Unterstützung der Kita Schaworalle, dem Jugend- und Erwachsenenbildungsprojekt und der Sozialberatung weitaus mehr engagiert als viele andere Kommunen. Dennoch, es kann nicht einerseits zerstört werden, was andererseits mit viel ambitionierter, erfolgreicher und bundesweit anerkannter Arbeit aufgebaut wurde.

Die am kommenden Donnerstag mit Hilfe des Dezernats für Integration stattfindende Veranstaltung zur Situation der Roma in Osteuropa - auf der auch ein alternatives Konzept aus Berlin, das über 200 Roma Flüchtlingen Perspektiven in den Bereichen Wohnen, Schule, Ausbildung und Erwerbstätigkeit bietet, zur Sprache kommt - sollte ein Schritt in die richtige Richtung sein.

Sehr geehrte Frau Dr. Eskandari-Grünberg, für Ihr Engagement, die Ausstellung Frankfurt-Auschwitz vor zwei Jahren in der Paulskirche - und somit auch die Thematisierung der speziellen deutschen Verantwortung gegenüber Roma und Sinti - präsentieren zu können und für die Verleihung des Preises heute Abend danken wir Ihnen recht herzlich."