Am 27.8.2014 wird das Bundeskabinett über das Hilfspaket für Kommunen
entscheiden, in denen Einwanderer und Flüchtlinge aus Osteuropa leben.
Es geht eigentlich, obwohl der Name nicht fällt, um Roma Familien. Ihnen
soll gemäß gewisser Vorgaben die Freizügigkeit, d. h. das Grundrecht,
welches nicht nur die EU-Osterweiterung, sondern den gesamten europäischen
Einigungsprozess bedingt und nach dessen Vereinbarung vor allem die
deutsche Ökonomie glänzende Geschäfte macht, entzogen werden. Geplant sind
Sanktionen wie härtere Strafen, Ausreisepflicht, Ausweisungen mit
Einreisesperren und höhere Zugangsvoraussetzungen für den Leistungsbezug.
Die Zielrichtung ist klar, wer nützt kann bleiben. Alle anderen sollen
schnellstmöglich verschwinden. Freier Personen-, Dienstleistungs- und
Warenverkehr gilt nicht für jeden und alles.
Formulierungen wie „schwer integrierbare Familien“, „Sozialmissbrauch“
oder „Rechtsmissbrauch“ sind bekannte Synonyme. Die freigesetzte
Assoziationskette ist eingeübt und funktioniert hervorragend. Armut wird
nicht mehr auf das zurückgeführt, was sie verursacht, nämlich Ausgrenzung,
Chancenlosigkeit, Gewalt und Rassismus. In der medialen und politischen
Darstellung wird auf Versagen, individuelles Unvermögen oder böswillige
Gegenkonzepte verwiesen. Den Betrachtern präsentiert man gleichzeitig
Bilder von kinderreichen Familien aus Rumänien und Bulgarien mit dunkler
Hautfarbe und schwarzen Haaren. Differenzierungsvermögen, die Wahrung der
persönlichen Integrität, seriöse Ursachenforschung oder schlichtweg
Humanität bleiben auf der Strecke. Der Sündenbock ist gefunden und heißt
erneut Roma.
Keine Rede von den Verelendungsprozessen in Osteuropa, von
Menschenrechtsverletzungen, Pogromen und dem offenen Hass. Der Ausschluss
von Bildung und gesellschaftlicher Teilhabe spielt keine Rolle. Die
rassistischen Morde in Ungarn, Ausschreitungen gegenüber Roma-Siedlungen,
Apartheitsprogramme, strukturelle Benachteiligungen und Ghettoisierung
werden als Grund für Flucht und Migration nicht zur Kenntnis genommen. In
der allgemeinen Hysterie über „Flut“, „Welle“ und „Ströme“ wird gerne
vergessen, dass nur Wenige über Mittel und Wege für die Reise in den
Westen verfügen. Auch die Verkettung von externen Sparprogrammen als
Auflage für die EU-Neulinge und die daraus folgende breite Verarmung
innerhalb der Bevölkerung bleibt ausgeblendet.
Roma sind der Mehrheitsbevölkerung ein Dorn im Auge. Die seit
Jahrhunderten vorherrschende Betrachtungsweise, wonach die Betroffenen an
ihrer desolaten Situation selber Schuld sind, dominiert die vermeintlich
erforderlichen Gegenstrategien. Ihre Anwesenheit in den Städten ist ebenso
wie ihre Armut für die Mehrheit reine Provokation. Die Konfrontation mit
der Kehrseite von Wohlstand initiiert nicht Verständnis oder gar
Verantwortung angesichts historischer Verfolgung und Vernichtung. Sie
führt nicht zum erwünschten, wenn auch geringen Solidaritätseffekt wie bei
Flüchtlingen aus Afrika und Asien.
Roma begegnet man traditionell anders. Sie werden so genau denunziert,
dass zur Identifikation ihr Name nicht mehr erforderlich ist. Der Bezug
von Kindergeld, die erfolglose Arbeitssuche, Betteln, Obdachlosigkeit, ein
Leben vom Flaschensammeln, unbehandelte schwere chronische Krankheiten und
die Behausung in überbelegten Wohnungen animiert ordnungspolitisches
Handeln flankiert von einschlägiger parteipolitischer Propaganda.
Bisher hieß es, dass der Entzug der Freizügigkeit einzig bei Gefährdung
der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geboten sei – die Kriterien waren
scheinbar hoch gesetzt. Seit geraumer Zeit gilt nun Arbeitslosigkeit,
Aufstockung mit Hartz 4 Leistungen und Schwarzarbeit als Handhabe, den
weiteren Aufenthalt zu verweigern. Es ist bemerkenswert, wie schnell der
Gefährdungsbegriff bezüglich öffentlicher Sicherheit für die Kontrolle und
Kriminalisierung von Roma instrumentalisierbar ist.
Man vergegenwärtige sich die gesellschaftliche Aufregung wegen der
Preisgabe von Grundrechten, ginge es nicht um Roma aus Osteuropa, sondern
um arbeitslose, aufstockende und an der Steuer vorbei handelnde brave
Bundesbürger. Selbst Warnungen aus den eigenen Reihen, dass es sich bei
den Vorwürfen um Vermutungen handele, denen enorme wirtschaftliche Gewinne
gegenüberstehen und dass die Errungenschaft der Freizügigkeit doch nicht
einfach veräußert werden könne, bleiben angesichts der populistischen
Maßgabe, erfolgreich gegen Roma zu mobilisieren, Beiwerk.
Politik, Ökonomie und Gesellschaft sind sich einig in der konzertierten
Aktion. Die Verabschiedung des Pakets am 27. August, das die Ärmsten der
Armen vertreibt, das kosmetische Reparaturen für wenige vorschlägt und
ansonsten zur Eingliederung brauchbarer Arbeitskräfte dient, wird dies
einmal mehr zeigen. Die Roma verbleiben weiter in existentieller Not, sind
Ziele rassistischer Angriffe und das Elend in den Städten und
Herkunftsländern verschärft sich.
Allein der europäische Gerichtshof – wie zu erwarten ist – kassiert den
Beschluss, weil er gegen das Gleichheitsprinzip, das
Diskriminierungsverbot und den grundgesetzlich verbrieften Schutz der
Menschenwürde verstößt.
Förderverein Roma e.V., Ffm., den 25.08.2014
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