Ich möchte mit einer Erklärung der Gruppe "Vereinigte Roma Hamburg“
beginnen. Die Gruppe "Romano Jekipe Ano Hamburg" – hat am 17.9.2015, um
16:30 Uhr die Sankt Michaelis Kirche in Hamburg besetzt. Sie fordert einen
sofortigen Abschiebestopp in den Balkan sowie ein Bleiberecht für die
Familien. Bereits im Juli hat die Gruppe mit einem einwöchigen Protest vor
der Ausländerbehörde und einer Demonstration auf ihre Situation aufmerksam
gemacht. Sie schreibt: „Über 20 Familien haben von der Ausländerbehörde
einen Bescheid für ihre Abschiebung nach Serbien, Mazedonien,
Bosnien-Herzegowina und in den Kosovo innerhalb der nächsten Woche
bekommen. Als letztes Mittel, um nicht in eine Situation von Verfolgung,
Diskriminierung und Elend abgeschoben zu werden, haben wir die Sankt
Michaelis Kirche besetzt. Unsere Forderung ist der sofortige
Abschiebestopp für die Familien in den Balkan und ein Bleiberecht. Wir
werden den Michel so lange besetzen, bis wir unser Ziel erreicht haben!
Die sogenannten „sicheren Herkunftsländer“ sind nicht sicher für uns Roma.
Es herrscht ein gefährlicher Mix aus Rassismus der Bevölkerungsmehrheiten
und den staatlichen Institutionen. Der Zugang zu Arbeitsplätzen, Bildung
und zur Gesundheitsversorgung ist weitestgehend versperrt. Es trifft also
genau das zu, was im Asylverfahrensgesetz unter §3a und §3b als
strukturelle Diskriminierung beschrieben ist. Zusammengenommen ist die
Ausgrenzung lebensbedrohlich, vor allem für Kinder und alte Menschen.
Diese bekannten Fakten ignorieren politische Verantwortliche in der
Ausländerbehörde, der Hamburger Bürgerschaft und der Justiz. Auch wegen
der Geschichte von Verfolgung und Ermordung von Roma durch
Nazideutschland, darf die BRD nicht so tun, als seien wir ein Problem, das
es loswerden muss. Es darf keine Spaltung in »gute« und »schlechte«
Flüchtlinge nach Herkunftsstaaten geben! Unsere Fluchtgründe müssen
wirklich geprüft und nicht pauschal geleugnet werden!"
Die Fluchtgründe der Roma wurden stets geleugnet. Morde während des
Krieges in Jugoslawien, Pogrome in Osteuropa nach der Wende oder die
gebilligte strukturelle Verelendung, der Ausschluss von Bildung und
gesellschaftlicher Teilhabe, die tödliche Instrumentalisierung der größten
europäischen Minderheit als Sündenböcke im Prozess der EU-Osterweiterung
waren nie Gegenstand einer ernsthaften Prüfung der Verletzung von Bürger-
und Menschenrechte und der folgerichtigen Erteilung von Asyl. Auch die
aktuelle Überlegung des Ministeriums für Arbeit, Menschen aus Südosteuropa
im Zuge der Anwerbung von Arbeitskräften eine Perspektive zu bieten,
orientiert sich am Prinzip des Nutzens, nicht der Humanität oder gar, wie
es eigentlich in Bezug auf Roma und Sinti offensichtlich wäre, an einer
historischen Verantwortung speziell von Deutschland angesichts Erfassung,
Deportation und Vernichtung im Nationalsozialismus.
Die Herzlichkeitsgesten der letzten Wochen lichten sich langsam. Sie sind
stets begleitet von Anschlägen gegen Flüchtlinge. Über dreihundert allein
in diesem Jahr. Brandsätze, nicht nur vom rechten Rand, sondern auch aus
der Mitte der Gesellschaft. Lediglich zehn Attacken kamen bisher zur
Aufklärung. Die Welle der Solidarität ging zielgerichtet an den Roma
vorbei. Sie werden nunmehr, soweit sie aus dem ehemaligen Jugoslawien
kommen, zunehmend in Abschiebelagern interniert. Das erleichtert die
Ausweisung. Auch die Unterbringung in Zelten, direkt neben dem Flugplatz
Kassel-Kalden, soll den betroffenen Roma unmissverständlich vermitteln:
ihr seid hier nicht willkommen. Die Verschärfung der Asylgesetzgebung mit
dem schnellen Verfahren für Unerwünschte, der Umstellung auf
Sachleistungen, der Entscheidung über Asyl bereits an der Grenze und dem
Aufbau von Flüchtlingszentren an der EU-Außengrenze vervollständigen das
Bild.
Die Verlängerung des Elends, die ebenso verantwortungs- wie geschichtslose
Vorgehensweise von Kommune, Land und Bund gegenüber Roma-Migranten und
Flüchtlingen sind Bestandteil von Vertreibung, Kontrolle und Repression.
Neben der massenhaften Abschiebung von Roma nach Mazedonien, Serbien,
Bosnien und ins Kosovo, was sich weitestgehend ohne öffentlichen Protest
vollzieht, sind nunmehr auch Familien aus Rumänien und Bulgarien – also
EU-Bürger - von solchen Maßnahmen betroffen.
Wir sollten nicht vergessen, wie seit Jahren mit Familien aus Rumänien und
Bulgarien umgegangen wird. Obdachlosigkeit, keine ausreichende Versorgung,
keine Erwerbsperspektive, mangelhafte medizinische Hilfe und ständig den
Aggressionen und der Verachtung der Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt,
bestimmen den Alltag der meisten Familien. Die aktuelle Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs, dass keine Sozialleistungen für eingereiste
EU-Bürger erbracht werden müssen, weist eindeutig auf die Beschwerdeführer
aus Deutschland hin. Behörden erarbeiten gegenwärtig Grundlagen, die
ermöglichen, vor allem Roma, die keine Arbeit finden, schnellstmöglich
auszuweisen, mit einem Einreiseverbot zu belegen und wegen schlechter
Dokumentenlage oder mangelhafter Kooperation zu kriminalisieren.
Im öffentlichen Bild und getragen von der Mehrheitsbevölkerung hat sich
längst der EU-Bürger 2. Klasse etabliert. Auch wenn es gegen Menschen- und
Bürger-, gegen Grund- und Verfassungsrechte verstößt, was möglich ist, um
Roma den Aufenthalt zu verwehren, wird umgesetzt. Das bösartige Bild des
Armutsflüchtlings, der Gegenentwurf zur Willkommenskultur, wird
ausschließlich an Roma aus Osteuropa festgemacht. Sie werden so exakt
denunziert, dass es nicht mehr erforderlich ist, ihren Namen zu nennen –
alle wissen blitzschnell, wer gemeint ist.
Reden wir über Frankfurt, so unterscheidet sich die Situation der
obdachlosen Roma aus Rumänien und Bulgarien nicht prinzipiell von der
osteuropäischen, sondern nur graduell und zwar dergestalt, dass die
Möglichkeit, Arbeit zu finden, hier besser ist. Slums, die geräumt werden,
Unterstützung, die verweigert oder wenn überhaupt, nur vorübergehend
geleistet wird und die Betroffenen wieder in die Obdachlosigkeit entlässt,
Menschen in völlig desolater gesundheitlicher Verfassung ohne medizinische
Hilfe bei ernsthaften Erkrankungen sind Alltag. Wir sprechen – und nicht
nur in Ffm. - von Inobhutnahmen, weil der Wohnraum nicht ausreicht oder
fehlt und Verwandtschaftsverhältnisse nicht geklärt sind. Kinderschutz
wird instrumentalisiert für die Durchsetzung restriktiver
ordnungspolitischer Vorstellungen. Der Kindesentzug dient als Druck zur
Ausreise, ohne zu reflektieren, wie es den Kindern im Herkunftsland geht.
Es ist schon bemerkenswert und entlarvend zugleich, wenn die Frankfurter
Sozialdezernentin bekundet, dass die B-Ebene für Flüchtlinge unzumutbar
sei, diesen Bahnhof – um nichts anderes handelt es sich nämlich –
allerdings seit Jahren Obdachlosen, unter denen viel Roma sind, zumutet.
Die jahrelange Stimmungsmache gegen sogenannte „Zigeuner aus Osteuropa“
fruchtet. Das jahrhundertelange Ressentiment ist auf den Punkt aktivierbar
und funktioniert perfekt. Die realisierten enormen Gewinne durch blendende
Geschäfte mit Osteuropa sind Bedingung der Verarmung der dortigen
Bevölkerung, und damit meine ich vor allem das unbeschreibliche Elend der
Roma und deren Erfahrung, Zielscheibe von rechter Politik, rassistischer
Gewalt und Pogromen zu sein. So ist deren Ankunft in Westeuropa auch immer
von der Flucht vor Gefahr an Leib und Leben in den Herkunftsländern
begleitet.
Letztlich ist die nicht erfolgte Hilfe in den Augen von Politik und
Behörde vermeintlich der beste Weg, der Flucht und Einwanderung zu
begegnen. Es ist allerdings ein Holzweg, denn Grund für die Migration der
Roma ist Armut, Ausgrenzung, Verfolgung und andererseits die minimale
Chance, in einem prosperierenden Land besser leben zu können. Solange die
Verhältnisse so sind wie sie sind, wäre jede Sozialpolitik gut beraten,
statt Repression perspektivische Hilfe und Unterstützung bereit zu
stellen.
Der Zentralrat der deutschen Sinti und Roma berichtet, „Die oftmals
katastrophale Lage vieler Roma ist auch ein Ergebnis des strukturellen
Rassismus in vielen Ländern. Es gibt in einzelnen EU-Mitgliedsländern,
insbesondere in Ost- und Südosteuropa, Regionen mit jeweils hunderter
sogenannter „informeller Siedlungen“, in denen zum Teil über 1.000
Menschen ohne Wasseranschluss und ohne Infrastruktur außerhalb der Städte
leben müssen. Dass Menschen durch eine solche Wohnsituation stigmatisiert
werden und dadurch der Zugang zu Bildung, Arbeit und Gesundheit nahezu
unmöglich ist, ist hinreichend dokumentiert. Die besondere Gefahr dieser
Situation ist zudem, dass die Menschen ….. zur Zielscheibe
rechtsextremistischer und gewaltbereiter Propaganda werden, die durch
Populismus in Politik und Medien zusätzlich bis in die Mitte der
Gesellschaft legitimiert wird“.
Verantwortung für die Betroffenen zu übernehmen ist nicht ökonomisch
begründet, sondern zuvorderst historisch, politisch und human. Sie
thematisiert die Verfolgung und Vernichtung von Roma und Sinti in der
NS-Zeit und die ungebrochen fortlaufende Diskriminierung in allen
Bereichen des Lebens. Vor allem dieser Kontext sollte Ratgeber jeder
Sozial- und Asylpolitik, jedes Engagements und jeder persönlicher Haltung
sein, statt sich mehrheitlich in den Behörden, auf der Straße und in den
Medien verachtend, ignorant und jenseits jeglichen Respekts und
Verständnisses zu äußern oder auch zu handeln.
Vielen Dank
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