Ausgrenzung und
Rassismus vor dem Hintergrund des Corona-Virus
Anlässlich
des Welt-Rom-Tages am 8.April. weist der Förderverein Roma auf die
verstärkte Ausgrenzung und Diskriminierung der Roma und Sinti hin.
Alarmierende Nachrichten informieren über die Lage der Minderheit in
Osteuropa. In Bulgarien werden Roma-Viertel isoliert, da ihnen die
Infizierung und Verbreitung des Virus unterstellt werden. Eine Maßnahme,
mit der keine andere Bevölkerungsgruppe des Landes konfrontiert wird.
Im Kosovo bemängeln Roma-Politiker die mangelnde Information und
Unterstützung und greifen auf eigene Initiativen zurück. Aktivisten
aus Bosnien-Herzegowina berichten über die zunehmende Verelendung, weil
wesentliche Einnahmequellen, nämlich die Sammlung und Verwertung von
Wertstoffen nicht mehr möglich sind; öffentliche Hilfe bleibt aus. In
Albanien protestiert die Roma Community über Verarmung aufgrund der
Ausgangssperre. Bei der Verteilung von Lebensmittelpaketen werden Roma
benachteiligt, medizinische und finanzielle Hilfen bleiben aus. In
Nord-Mazedonien wurden Roma Musiker im Gegensatz zu anderen Einreisenden
in Zwangsquarantäne genommen; infiziert waren die Betroffenen nicht.
In der Slowakei werden landesweit mit Hilfe des Militärs ausschließlich
Roma Siedlung getestet, ohne konkrete Anhaltspunkte für eine Erkrankung zu
haben. Die ungarische Regierung instrumentalisiert die Corona
Pandemie, hetzt gegen Roma und verweigert Entschädigungen, die ihnen
aufgrund von Segregationen im Schulbetrieb seit Monaten höchstrichterlich
zustehen. Die Erklärung des Ausnahmezustandes in Ungarn findet ihre
Begründung u. a. in der breiten Diffamierung von Roma.
Anstatt
schnell und angemessen Unterkünfte für obdachlose Roma zur Verfügung zu
stellen, lassen sich auch viele westeuropäische Städte Zeit. Frankfurt
reagiert bezüglich der Bereitstellung von adäquaten, den aktuellen
Gesundheitsempfehlungen gemäßen Räumen völlig ungenügend. Ein schwer
körperbehinderter Mann, der zur Corona-Hochrisikogruppe gehört, befindet
sich in der Notunterkunft, anstatt endlich ein passendes Hotelzimmer, in
dem Distanz und Hygiene gewahrt werden können, zu erhalten. Eine Familie,
in der die Mutter beschäftigt, der Vater auf Arbeitssuche ist und die
Kinder notdürftig bei Bekannten untergebracht sind, bleibt aufgrund
fehlender behördlicher Unterstützung völlig schutzlos in der
Obdachlosigkeit. Nicht zuletzt Roma, die gezwungen sind, auf der Straße zu
leben, ihre Existenz durch Musik, das Sammeln von Pfandflaschen, durch
Betteln und Tagesjobs notdürftig sichern, sind durch das weitgehende
Einstellen des öffentlichen Lebens betroffen. Ihnen muss
Aufmerksamkeit, Schutz und Hilfe zukommen. Menschen, die bereits durch ein
Leben am Rande der Gesellschaft, durch chronische Krankheiten und eine
umfängliche Form der Ausgrenzung gezeichnet sind, sind einem erhöhten
Infektionsrisiko ausgesetzt. Angesichts geschlossener Grenzen und
humanitärer Notwendigkeit muss sich Verwaltungshandeln an unbürokratischer
menschlicher Unterstützung orientieren. Statt der Verweigerung von Hilfe,
wie beispielsweise der erfolglosen Suche nach eingestellten europäischen
Bahnverbindungen zwecks EU-interner Ausweisung oder der Abschiebung von
Flüchtlingen in Kriegs- und Krisengebiete, ist die schnelle Bereitstellung
von Wohnraum, die gesicherte gesundheitliche und alltägliche Versorgung
und die Umsetzung von erforderlichen Hygienestandards geboten – und dies
insbesondere im Hinblick auf die Minderheit Roma.
Am Welt Roma Tag
erinnert der Förderverein Roma an die Zunahme von neonazistischen und
rechtsradikalen Morden und Überfällen, an die Verweigerung staatlicher
Behörden, zielgerichtet und effektiv zu ermitteln und zu ahnden. Der
Anschlag auf den Regierungspräsidenten Lübke, die Drohbriefe aus dem 1.
Polizei-Revier an die Frankfurter Rechtsanwältin Basay-Yildiz, die
NSU-Morde und die über 300, dem rechten Spektrum zugeordneten Morde in den
letzten 30 Jahren sind angesichts gegenwärtiger Probleme nicht zu
vergessen. Die Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau, drei von ihnen
waren Roma, vermitteln ein genaues Bild davon, was es bedeutet, einer
Minderheit anzugehören, die von der überwiegenden Mehrheit abgelehnt wird
und deren Existenz aktuell mehr denn je dazu dient, der Bevölkerung
vermeintlich Schuldige für die Verbreitung des Corona-Virus zu
präsentieren.
Gleichheit vor dem Virus existiert nicht. Die
sozialen und ökonomischen Unterschiede markieren dies ebenso wie tief
verwurzelte menschenverachtende Vorurteilsstrukturen. Selbst unter
marginalisierten Menschen bleibt die Option der Diskriminierung und trifft
vorrangig Juden, Roma und Muslime. Die den Roma und Sinti seit
Jahrhunderten zugewiesene „Schuldenbock“ Rolle funktioniert in einer dafür
empfänglichen Gesellschaft aktuell perfekter denn je. Dies zu verschweigen
und der allgemeinen Betroffenheit und Solidarität unkritisch das Wort zu
reden, ist eine der ersten Voraussetzungen dafür, dass letztlich
Diffamierung und Unrecht dominieren. Um dieses Stigma zu durchbrechen,
bedarf es Engagement und Sensibilität, die differenziert, die Ungleichheit
benennt. Insbesondere dann, wenn die Covid-19-Meinungsmache erneut auf
rassistische Argumentationsmuster gegenüber Roma und Sinti und auf
Antisemitismus abhebt.
Ffm., den 7.4.2020
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