Offener Brief an den Hessischen Rundfunk / Hessenschau
Der Förderverein Roma und das Hausprojekt Nika protestieren
entschieden gegen den hessenschau-Beitrag „Bahnhofsviertel nach Lockdown“
vom 28.06.20 der Autorinnen Ana Radic und Katharina Schol.
Hier unsere Kritik:
Die Anmoderation zum
hessenschau-Beitrag anlässlich der Petition der RestaurantbesitzerInnen
stimmt die Zuschauerlnnen auf „Junkies“ im „berühmt-berüchtigten“
Bahnhofsviertel ein, auf Zustände die „Angst machen“.
Doch gleich
in den ersten beiden Einstellungen wird eine Gruppe unkenntlich gemachter
Personen und eine Frau im langen Rock gezeigt: Damit ist die Minderheit
der Roma bereits markiert. Daran geschnitten der O-Ton eines
Restaurantbetreibers „Wir haben Angst ...“. Dann folgen verschiedene
Kameraeinstellungen, undeutlich, abgebrochene Schwenks, immer wieder
unkenntlich gemachte Leute, eine Frau, die auf Taschen am Rande des
Bürgersteigs sitzt und in ihrer Kleidung nicht den deutsch-Deutschen
zuzuordnen ist.
Was als Personenschutz durch Unkenntlichmachung
daherkommt, dient als Kennzeichnung: Das sind die Menschen, die „Probleme“
machen. Das diffuse Szenario der Bedrohlichkeit geht mit der Diffamierung
einher, dass die „Probleme“ im Viertel, „Junkies“ und „Penner“ mit der
Minderheit der Roma bebildert werden. Durch die Kameraeinstellungen auf
die immer selbe Personengruppe aus unterschiedlichen Blickwinkeln wird das
Gefühl einer bedrohlichen Anzahl suggeriert.
Und so geht es munter
weiter. Nach einer Bild-Textfolge über Müll/Klagen über den Gestank/
Polizeiauto, wird auf den Text „ … andere, die sich im Viertel breit
machen“ wieder die Einstellung der Frau mit Rock und Kopftuch (siehe
oben), auf ihrer Tasche sitzend, gezeigt. Die Restaurantbesitzer sind
„verzweifelt"; Romafamilien die musizieren, werden in versteckter, Gefahr
signalisierender Handyoptik ins Bild gesetzt.
Die Text- und
Bildsprache entspricht dem rassistischen Stereotyp über Roma, das in dem
Buch "Antiziganismus in der deutschen Öffentlichkeit. Strategien und
Mechanismen medialer Kommunikation" von Markus End analysiert wird.
Bilderbuchmäßig.
Restaurantbesitzer und ein Ordnungspolitiker
kommen zu Wort, aber kein Sozialverband im Viertel (z.B. Weser 5,
Drogenhilfe oder Förderverein Roma e.V.) , der die Situation der prekär
Lebenden im Bahnhofsviertel kennt, wird befragt; es fehlt an
journalistisch-kritischer Einordnung.
Und so schließt der
„journalistische“ Beitrag: „Immerhin ist das Problem bei der Stadt
angekommen“, im Bild wird dazu das „Problem“ gezeigt: Frauen in langen
Röcken gehen über die Straße. Das Lehrstück in Anmaßung und Diffamie
endet: „Das Frankfurter Bahnhofsviertel: Vielfalt und Andersartigkeit (!)
sind hier willkommen— Störenfriede nicht.“ Und was sehen wir? Die oben
beschriebene Handyaufnahme mit musizierenden Romamusikerlnnen.
Festzuhalten ist: journalistische Sorgfalt und Ausgewogenheit findet nicht
statt; rassistische Stimmungsmache und Parteinahme (für wen eigentlich?)
feiert fröhliche Urständ; Herabsetzung von Minderheiten und Menschen in
prekären Lebenssituationen ist bestimmend; eine verrohte Sprache so z.B.
„Junkies" anstatt Suchtkranke oder Drogenabhängige oder „Störenfriede",
bedient dumpfen Boden. Die Reporterinnen sagen und zeigen deutlich, wer
hier nicht „willkommen“ ist. Blind und taub zeigt sich dieser Beitrag
in seiner Selbstgerechtigkeit und anmaßenden Kommentaren gegenüber der
Diskussion über systemischen Rassismus. Weit über dem Atlantik wird er
scharf in den Blick genommen, gegenüber einer deutschen und europäischen
Minderheit wird er ungehemmt praktiziert.
Förderverein Roma e.V. &
Hausprojekt NiKa
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