Der Förderverein Roma e. V. erinnert an den Auschwitz-Erlass vom
16.12.1942, an den Völkermord an einer halben Million Roma und Sinti und
an die Deportation in die NS-Konzentrations- und Vernichtungslager.
Im Schnellbrief vom 29. Januar 1943 erging folgende Anweisung „Auf
Befehl des Reichsführers SS vom 16.12.42 sind Zigeunermischlinge,
Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen
balkanischer Herkunft nach bestimmten Richtlinien auszuwählen und in einer
Aktion von wenigen Wochen in ein Konzentrationslager einzuweisen. Dieser
Personenkreis wird im nachstehenden kurz als 'zigeunerische Personen'
bezeichnet. Die Einweisung erfolgt ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad
familienweise in das Konzentrationslager Auschwitz. “Die Vorstufe zur
späteren Vernichtung wurde durch die Erfassung aller im deutschen Reich
lebenden Roma und Sinti geschaffen. Robert Ritter, Leiter der
„Rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle des
Reichsgesundheitsamtes Berlin“ und seine enge Mitarbeiter Eva Justin waren
hierfür maßgeblich verantwortlich. Ihre sogenannten „rassenbiologischen“
Untersuchungen registrierten minutiös über 20.000 Roma und Sinti. Sie
leisteten damit die Voraussetzung für die spätere fabrikmäßige
Vernichtung. Beide wurden nach 1945 von der Stadt Ffm. im Gesundheitsamt
beschäftigt und sind für ihre Taten nie zur Rechenschaft gezogen worden.
In einem Aufsatz über Roma, im Juli 1943 geschrieben, stellt
Justin fest, dass man es ausnahmslos mit Verbrechern zu tun hat, die das
„Wirtsvolk“ ausnutzen. Sie dokumentiert die Erfolge ihrer
„rassenbiologischen“ Untersuchung, die Erkenntnisse über die genaue
Abstammung, über Aussehen und Verhalten und meldet die „Übergabe“ der
„Volksschädlinge“. Die menschenverachtenden Ausführungen sind Teil ihrer
Praxis, die schließlich im industriell vollzogenen Massenmord an Roma und
Sinti endeten.
Die Opfer mussten teilweise bis in die 70iger Jahre
auf Entschädigung seitens deutscher Behörden warten. Zwischenzeitlich
waren sie den Beleidigungen ihrer ehemaligen Verfolger, die weiterhin in
Amt und Würden walteten, ausgesetzt. In den Ausführungen von Frau Rose und
Frau Strauss, Töchter von Frankfurter Roma, die die Vernichtungslager der
Nazis überlebt haben, wird die Traumatisierung der Überlebenden und der
Kindeskinder genau beschrieben. Die Berichte der beiden Frauen sind
gekennzeichnet von Angst, Ignoranz und Gewalt, hervorgerufen durch das
Verhalten der Mehrheitsgesellschaft und der Umkehrung von Täter in Opfer.
Es wird verdeutlicht, dass der Alltag von Roma und Sinti nach wie vor von
Diskriminierung gekennzeichnet ist. Subtil in Ämtern und Institutionen,
aggressiv in der Öffentlichkeit und in den Medien.
Die Stimmung
gegenüber Roma MigrantInnen und Flüchtlingen hat sich nie grundsätzlich
geändert – sie war zu keinem Zeitpunkt von Verständnis und Solidarität
seitens der Mehrheit geprägt. Hass, Gewalt, Vertreibung, die Akzeptanz von
Verelendung als Disziplinierung und gleichzeitig als rassistischer Focus
dient ungebrochen. Egal ob es sich um die wiederholte Räumung einer Brache
in Frankfurt am Main, um die Missachtung der menschlichen Würde von
Obdach- und mittellosen Menschen oder um die massenhafte Abschiebung von
Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien handelt.
Die
Corona-Pandemie hat die Situation erheblich verschärft. Verordnete
Unterkünfte für Obdachlose lassen die Hygieneregeln außer Acht, die
Infektionsgefahr ist enorm. Roma, die auf der Straße leben müssen, sind
mehr denn je Ausgrenzungen und Übergriffen ausgesetzt. Nach dem Prinzip
der Missachtung funktioniert im Corona-Kontext auch die Schuldzuschreibung
gegenüber der Minderheit, begleitet von großflächigen Militär- und
Polizeieinsätzen in den Ghettos europäischer Städte.
Die
repräsentative Autoritarismus-Studie aus Leipzig dokumentierte wiederholt
die vorurteilsbeladene und teilweise rassistische Haltung der meisten
Menschen. Eine Mehrheit der Befragten äußerte diese Einstellung; sie
möchte nichts mit Roma und Sinti zu tun haben und erklärten qua
Definitionsgewalt, dass die Betroffenen keine Perspektive haben, an ihrem
Elend einzig und allein schuldig sind. So wundert es nicht, dass viele
Menschen, die die Beratung und die Bildungsprojekte des Förderverein Roma
aufsuchen, Angst vor Behördenkontakten haben, von Willkür und
Diskriminierung in Ämtern und bei Polizeikontakten berichten.
Antiziganismus, der Rassismus gegenüber Roma und Sinti, wirkt ungebrochen.
In Osteuropa bricht er sich gewaltvoll Bahn. Es sind zunehmend Pogrome und
Überfälle mit Todesfolge zu verzeichnen. Ein Junge in Junge in Bulgarien
wurde beim Holzsammeln erschossen. In der Slowakei starb eine Frau mit
ihren vier Kindern beim Brand in einer Elendsbaracke. Die Medienkommentare
hierzu waren menschenverachtend. Ermittlungen verlaufen oft systematisch
im Sand. Verurteilungen haben Seltenheitswert und sind geprägt von
Empathie – Empathie für die Täter.
Die in Frankfurt bekannt
gewordenen neonazistischen Aktivitäten von Polizeibeamten des 1. Reviers
sind Anzeichen dafür, wie groß die Grauzone ist. Die Nachfragen des
Förderverein Roma wegen den beiden Brandanschlägen im Jahr 2016 auf Roma
wird regelhaft mit der Floskel "keine neuen Erkenntnisse" beantwortet.
Juden, Roma und Sinti und Muslime nehmen in der gesellschaftlichen
Missachtungsskala Spitzenplätze ein. Das ist nicht neu. Neu ist auch nicht
die kontinuierliche Ablehnung, die sich durch alle politischen Lager zieht
und die ihre einflussreichste Anhängerschaft in der konservativen und
reaktionären Mitte hat. Neu ist die nach oben offene Steigerungsrate.
Die beabsichtigte Zerstörung des zentralen Mahnmals in Berlin, das an
die Vernichtung der Roma und Sinti im Nationalsozialismus erinnert, spielt
in diesem Zusammenhang aktuell eine bedeutende Rolle. Wegen dem geplanten
Verlauf einer S-Bahn soll die Gedenkstätte verlegt werden. Ein Zeichen für
die Ignoranz gegenüber dem Gedenken an den Völkermord an Roma und Sinti
und ein alarmierender Vorgang, der Gleichgültigkeit demonstriert und
Erinnerungslosigkeit schafft. Diese Kombination ist die Voraussetzung,
dass sich Rassismus und Antisemitismus festigt und letztlich legitimiert
wird. Die Kritik in der Roma und Sinti Gemeinde zu den Mordanschlägen in
Hanau thematisiert dies und beklagt gleichzeitig die mangelnde öffentliche
Aufmerksamkeit darüber, dass unter den zehn Toten auch drei Roma waren.
Der Förderverein Roma e. V. ruft anlässlich des Gedenktags zum
Auschwitz-Erlass zum Engagement gegen Rassismus und Diskriminierung, zur
Solidarität und praktischen Unterstützung von Roma und Sinti auf.
Ffm. den 15.12.2020
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