Pressemitteilung: Tod von Stanislav Tomáš durch Polizeigewalt (29.06.2021)



Der gewaltsame Tod von Stanislav Tomáš durch die Polizei in Teplice stößt auf einen breiten Protest innerhalb der europäischen Roma Communitys und ihrer Unterstützer:innen. Angesichts der Vergleichbarkeit mit dem Mord an George Floyd und der weltweiten Aufmerksamkeit, die die rassistische Tat erfuhr, ist die weitgehende Ignoranz hiesiger Medien zum Tod von Stanislav Tomáš bemerkenswert. Die taz hebt sich mit einem von Beleidigungen des Opfers und der Roma generell gespickten Artikel negativ hervor.

In Tschechien finden seit Jahren Morde und rassistische Übergriffe gegenüber Rom:nija statt. Aktuell wird erstmals über eine Entschädigung für bis 2008 zwangssterilisierte Romnia gesprochen. Es gäbe also genügend Anlässe, die lebensgefährliche Situation von Roma in dem Land zu thematisieren.

Im Anschluss weisen wir auf einen Redebeitrag des Förderverein Roma zum Mord an Stanislav Tomas auf der Kundgebung „EU Grenzpolitik tötet“ der Organisation „Seebrücke“ am 3.7., 14.00 Uhr, Schweizer Platz, Frankfurt am Main, hin und veröffentlichen die Kritik von Isidoara Randjelovic und Jane Weiß an dem taz-Artikel:



Wir trauern um Stanislav Tomáš! Wir wünschen unseren Geschwistern in den Selbstorganisationen, die sich in Tschechien direkt mit der Repression von Polizei und Regierung auseinandersetzen müssen viel Kraft! Wir wünschen der Familie und den Freund:innen, Nachbar:innen ausreichend Schutz vor weiteren polizeilichen Übergriffen im Zuge der aktuellen Proteste. Wir sind unseren romani Organisationen dankbar, die trotz des offensichtlich geringen öffentlichen Interesses europaweit die Angriffe auf das Leben und die Würde von Rom:nja und Sinti:zze skandalisieren! Obwohl wir uns eine breitere Berichterstattung über den strukturellen Rassismus gegen Rom:nja wünschen, müssen wir regelmäßig die Erfahrung machen, dass sich das Schweigen der Presse oftmals sogar weniger schädigend als deren uninformierte Artikel auswirkt. Wer die Verleumdung und Dehumanisierung unserer Menschen, aber auch die Spaltung verschiedener rassifizierter Communities untereinander, einmal an einem leicht verständlichen Beispiel nachvollziehen will, liest den TAZ-Artikel zu dem Tod von Stanislav Tomáš von Alexandra Mostyn vom 23.06.21. Hier zeigt sich auf eine klare Art und Weise, wie Sekundärrassismus in all seiner Ignoranz, Kälte und Dreistigkeit funktioniert. Der schlecht recherchierte – oder absichtlich mit falschen Behauptungen verfasste – Artikel verhöhnt sowohl Stanislav Tomáš, Georg Floyd als auch die Menschen, die sich für die Aufklärung des jüngsten Mordes engagieren. Zunächst sieht die Autorin keinen Bedarf im gesamten Artikel einmal den Namen des Opfers zu nennen. Stanislav Tomáš wird hier konsequent als „der Rom“ bezeichnet. Im Weiteren reiht sie Falschbehauptungen einander, die als ein Bewerbungsschreiben für einen Pressedienst der tschechischen Polizei dienen könnten: Sie spricht von einem „etwa vierminütigen Polizeieinsatz“; dabei zeigt das Video von „Romeatv CZ“ 5:55 unendlich lange Minuten, wie die Polizei auf den Nacken des Mannes kniet – das Video endet bevor der Polizist vom mittlerweile regungslosem Opfer aufsteht. Das bereits vor dem Artikel geleakte Video zeigt auch, dass Mostyns weitere Behauptungen falsch bzw. tendenziös sind, wie etwa jene, dass nur ein Polizist auf oder „neben“ Stanislav Tomáš knien würde. Der Polizist kniet nicht daneben, sondern direkt auf seinem Nacken und die anderen beiden Polizisten sind bis zur Minute 3:18 an dem gewaltsamen Festhalten des auf dem Boden liegenden Mannes beteiligt. Die Journalistin konstruiert ein Narrativ demnach der Tod von Stanislav Tomáš nicht in rassistischer polizeilicher Gewalt begründet sei, da ja eine Autopsie Drogenkonsum nachweise und sie schlussfolgert: „Der ‚tschechische George Floyd‘ verfügte offensichtlich über eine weitaus niedrigere Methamphetamin-Toleranz, als das amerikanische Vorbild, das Roma und Menschenrechtsaktivisten seit dem Zwischenfall beschwören.“

Mit diesem Satz offenbart die Journalistin nicht nur die Untiefen der Rassismen gegen Schwarze und Rom:nja und ein verqueres Gerechtigkeits- und Rechtsverständnis, damit verhöhnt sie zudem beide Opfer gleichzeitig und diffamiert Rom:nja-Aktivisti:innen sowie deren Verbündete, wobei nach ihrem Verständnis zudem Rom:nja und Menschenrechtsaktivisti:innen offensichtlich zwei verschiedenen Gruppen angehören.

Was will sie uns damit sagen? Drogenkonsum und „verwirrtes aggressives Verhalten“, wie es in einer Zwischenüberschrift des Artikels heißt, rechtfertigt einen solchen Polizeieingriff gegen einen unbewaffneten Menschen? Hier, in Deutschland, wie dort, in Tschechien, behaupten Polizei und politisch Machthabende, dass sie völlig unabhängig von der Herkunft einer Person handeln. Hier wie dort gibt es jedoch etliche Nachweise von racial profiling und damit verbundener Polizeigewalt. Mostyn stützt sich auf Aussagen eines gesellschaftspolitischen Systems, das Rassismus leugnet – die Aktivist:innen stützen sich auf jahrzehntelange Erfahrungen struktureller Polizeigewalt gegen Rom:nja.

Komplett uninformiert über Rassismus schlussfolgert die Autorin, Rom:nja würden Georg Floyd wegen des Vergleichs zu seinem Tod instrumentalisieren: „Das Narrativ eines ‚tschechischen George Floyd‘ scheint dabei allerdings zu schön, um es so leicht aufzugeben.“

Was findet eine Journalistin am Narrativ eines rassistischen Mordfalls schön? Wieso unterstellt sie Rom:nja Aktivist:innen fänden ein Mordnarrativ schön? Glaubt die Autor:in, dass unsere Aktivist:innen den gegenwärtigen Rassismus an unseren Menschen aus Profitgier, reiner Langeweile oder etwa zum Spaß skandalisieren?

Das Narrativ dieses Artikels, Rom:nja würden sich ein Opferstatus erschleichen, kennen wir sehr gut aus dem deutschen Diskurs, in dem nach dem Genozid an unzähligen Rom:nja und Sinti:ze noch bis heute Täter:innen-Opfer-Umkehr und damit verbunden die Zuweisung von Schuld an die Opfer selbst, betrieben und staatlich jahrzehntelang aktiv legitimiert wurde. Die Täter:innen-Opfer Umkehr ist bis heute eine klassische Delegitimationsstrategie, die gegen antirassistische Bewegungen angewandt wird.

Der Artikel endet mit der Schlussfolgerung, dass nicht die rassistische Polizeigewalt, sondern der Alltagsrassismus „den Rom:nja die Luft zuschnüren würde“. Mit dieser moralisierenden sinnfreien Belehrung, die ein „entweder -oder“ von Alltags- und strukturellen Rassismus unterstellt, verhöhnt Mostyn den getöteten Menschen Stanislav Tomáš noch einmal: Dass er und seine Familie tagtäglich Rassismus ertragen müssen, sei nicht seine Schuld. Dass Stanislav Tomáš durch Polizeigewalt zu Tode kam oder die beteiligten Polizisten diesen Tod mindestens billigend in Kauf nahmen, sei seine Schuld – er hätte lediglich keine Drogen nehmen müssen.

Wie kalt und zynisch kann Berichterstattung sein? Die taz muss sich fragen, wie ein solch rassistischer und ignoranter Artikel durch ihre Redaktion bis zur Veröffentlichung kommt? Hierzu wäre jetzt dringend eine seriöse, fundierte und nicht tendenziöse Berichterstattung notwendig. Ebenso sollte die TAZ sich inhaltlich und personell klar distanzieren. Vielleicht hat ja Alexandry Mostyn gesteigertes Interesse an einer Berichterstattung in der Jungen Freiheit, dort wäre sie sicherlich gut aufgehoben und die TAZ hätte ein Problem weniger. Vor allem hätten dann wir, Romn:ja-Sinti:ze-Aktivist:innen, sehr viel mehr Luft zum Atmen und Handeln, denn das ist dringend notwendig. Es ist wieder ein Mensch gestorben: Stanislav Tomáš.


Ffm., den 30.6.2021