Der gewaltsame Tod von Stanislav Tomáš durch die Polizei in
Teplice stößt auf einen breiten Protest innerhalb der europäischen Roma
Communitys und ihrer Unterstützer:innen. Angesichts der Vergleichbarkeit
mit dem Mord an George Floyd und der weltweiten Aufmerksamkeit, die die
rassistische Tat erfuhr, ist die weitgehende Ignoranz hiesiger Medien zum
Tod von Stanislav Tomáš bemerkenswert. Die taz hebt sich mit einem von
Beleidigungen des Opfers und der Roma generell gespickten Artikel negativ
hervor.
In Tschechien finden seit Jahren Morde und rassistische
Übergriffe gegenüber Rom:nija statt. Aktuell wird erstmals über eine
Entschädigung für bis 2008 zwangssterilisierte Romnia gesprochen. Es gäbe
also genügend Anlässe, die lebensgefährliche Situation von Roma in dem
Land zu thematisieren.
Im Anschluss weisen wir auf einen
Redebeitrag des Förderverein Roma zum Mord an Stanislav Tomas auf der
Kundgebung „EU Grenzpolitik tötet“ der Organisation „Seebrücke“ am 3.7.,
14.00 Uhr, Schweizer Platz, Frankfurt am Main, hin und veröffentlichen die
Kritik von Isidoara Randjelovic und Jane Weiß an dem taz-Artikel:
Wir trauern um Stanislav Tomáš! Wir wünschen unseren Geschwistern
in den Selbstorganisationen, die sich in Tschechien direkt mit der
Repression von Polizei und Regierung auseinandersetzen müssen viel Kraft!
Wir wünschen der Familie und den Freund:innen, Nachbar:innen ausreichend
Schutz vor weiteren polizeilichen Übergriffen im Zuge der aktuellen
Proteste. Wir sind unseren romani Organisationen dankbar, die trotz des
offensichtlich geringen öffentlichen Interesses europaweit die Angriffe
auf das Leben und die Würde von Rom:nja und Sinti:zze skandalisieren!
Obwohl wir uns eine breitere Berichterstattung über den strukturellen
Rassismus gegen Rom:nja wünschen, müssen wir regelmäßig die Erfahrung
machen, dass sich das Schweigen der Presse oftmals sogar weniger
schädigend als deren uninformierte Artikel auswirkt. Wer die Verleumdung
und Dehumanisierung unserer Menschen, aber auch die Spaltung verschiedener
rassifizierter Communities untereinander, einmal an einem leicht
verständlichen Beispiel nachvollziehen will, liest den TAZ-Artikel zu dem
Tod von Stanislav Tomáš von Alexandra Mostyn vom 23.06.21. Hier zeigt sich
auf eine klare Art und Weise, wie Sekundärrassismus in all seiner
Ignoranz, Kälte und Dreistigkeit funktioniert. Der schlecht recherchierte
– oder absichtlich mit falschen Behauptungen verfasste – Artikel verhöhnt
sowohl Stanislav Tomáš, Georg Floyd als auch die Menschen, die sich für
die Aufklärung des jüngsten Mordes engagieren. Zunächst sieht die Autorin
keinen Bedarf im gesamten Artikel einmal den Namen des Opfers zu nennen.
Stanislav Tomáš wird hier konsequent als „der Rom“ bezeichnet. Im Weiteren
reiht sie Falschbehauptungen einander, die als ein Bewerbungsschreiben für
einen Pressedienst der tschechischen Polizei dienen könnten: Sie spricht
von einem „etwa vierminütigen Polizeieinsatz“; dabei zeigt das Video von „Romeatv
CZ“ 5:55 unendlich lange Minuten, wie die Polizei auf den Nacken des
Mannes kniet – das Video endet bevor der Polizist vom mittlerweile
regungslosem Opfer aufsteht. Das bereits vor dem Artikel geleakte Video
zeigt auch, dass Mostyns weitere Behauptungen falsch bzw. tendenziös sind,
wie etwa jene, dass nur ein Polizist auf oder „neben“ Stanislav Tomáš
knien würde. Der Polizist kniet nicht daneben, sondern direkt auf seinem
Nacken und die anderen beiden Polizisten sind bis zur Minute 3:18 an dem
gewaltsamen Festhalten des auf dem Boden liegenden Mannes beteiligt. Die
Journalistin konstruiert ein Narrativ demnach der Tod von Stanislav Tomáš
nicht in rassistischer polizeilicher Gewalt begründet sei, da ja eine
Autopsie Drogenkonsum nachweise und sie schlussfolgert: „Der ‚tschechische
George Floyd‘ verfügte offensichtlich über eine weitaus niedrigere
Methamphetamin-Toleranz, als das amerikanische Vorbild, das Roma und
Menschenrechtsaktivisten seit dem Zwischenfall beschwören.“
Mit
diesem Satz offenbart die Journalistin nicht nur die Untiefen der
Rassismen gegen Schwarze und Rom:nja und ein verqueres Gerechtigkeits- und
Rechtsverständnis, damit verhöhnt sie zudem beide Opfer gleichzeitig und
diffamiert Rom:nja-Aktivisti:innen sowie deren Verbündete, wobei nach
ihrem Verständnis zudem Rom:nja und Menschenrechtsaktivisti:innen
offensichtlich zwei verschiedenen Gruppen angehören.
Was will sie
uns damit sagen? Drogenkonsum und „verwirrtes aggressives Verhalten“, wie
es in einer Zwischenüberschrift des Artikels heißt, rechtfertigt einen
solchen Polizeieingriff gegen einen unbewaffneten Menschen? Hier, in
Deutschland, wie dort, in Tschechien, behaupten Polizei und politisch
Machthabende, dass sie völlig unabhängig von der Herkunft einer Person
handeln. Hier wie dort gibt es jedoch etliche Nachweise von racial
profiling und damit verbundener Polizeigewalt. Mostyn stützt sich auf
Aussagen eines gesellschaftspolitischen Systems, das Rassismus leugnet –
die Aktivist:innen stützen sich auf jahrzehntelange Erfahrungen
struktureller Polizeigewalt gegen Rom:nja.
Komplett uninformiert
über Rassismus schlussfolgert die Autorin, Rom:nja würden Georg Floyd
wegen des Vergleichs zu seinem Tod instrumentalisieren: „Das Narrativ
eines ‚tschechischen George Floyd‘ scheint dabei allerdings zu schön, um
es so leicht aufzugeben.“
Was findet eine Journalistin am Narrativ
eines rassistischen Mordfalls schön? Wieso unterstellt sie Rom:nja
Aktivist:innen fänden ein Mordnarrativ schön? Glaubt die Autor:in, dass
unsere Aktivist:innen den gegenwärtigen Rassismus an unseren Menschen aus
Profitgier, reiner Langeweile oder etwa zum Spaß skandalisieren?
Das Narrativ dieses Artikels, Rom:nja würden sich ein Opferstatus
erschleichen, kennen wir sehr gut aus dem deutschen Diskurs, in dem nach
dem Genozid an unzähligen Rom:nja und Sinti:ze noch bis heute
Täter:innen-Opfer-Umkehr und damit verbunden die Zuweisung von Schuld an
die Opfer selbst, betrieben und staatlich jahrzehntelang aktiv legitimiert
wurde. Die Täter:innen-Opfer Umkehr ist bis heute eine klassische
Delegitimationsstrategie, die gegen antirassistische Bewegungen angewandt
wird.
Der Artikel endet mit der Schlussfolgerung, dass nicht die
rassistische Polizeigewalt, sondern der Alltagsrassismus „den Rom:nja die
Luft zuschnüren würde“. Mit dieser moralisierenden sinnfreien Belehrung,
die ein „entweder -oder“ von Alltags- und strukturellen Rassismus
unterstellt, verhöhnt Mostyn den getöteten Menschen Stanislav Tomáš noch
einmal: Dass er und seine Familie tagtäglich Rassismus ertragen müssen,
sei nicht seine Schuld. Dass Stanislav Tomáš durch Polizeigewalt zu Tode
kam oder die beteiligten Polizisten diesen Tod mindestens billigend in
Kauf nahmen, sei seine Schuld – er hätte lediglich keine Drogen nehmen
müssen.
Wie kalt und zynisch kann Berichterstattung sein? Die taz
muss sich fragen, wie ein solch rassistischer und ignoranter Artikel durch
ihre Redaktion bis zur Veröffentlichung kommt? Hierzu wäre jetzt dringend
eine seriöse, fundierte und nicht tendenziöse Berichterstattung notwendig.
Ebenso sollte die TAZ sich inhaltlich und personell klar distanzieren.
Vielleicht hat ja Alexandry Mostyn gesteigertes Interesse an einer
Berichterstattung in der Jungen Freiheit, dort wäre sie sicherlich gut
aufgehoben und die TAZ hätte ein Problem weniger. Vor allem hätten dann
wir, Romn:ja-Sinti:ze-Aktivist:innen, sehr viel mehr Luft zum Atmen und
Handeln, denn das ist dringend notwendig. Es ist wieder ein Mensch
gestorben: Stanislav Tomáš.
Ffm., den 30.6.2021
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