Der Förderverein Roma e.V. erinnert an den Auschwitz-Erlass vom 16.12.1942, an die Vernichtung von einer halben Million Roma und Sinti,
an die Deportation in das Vernichtungslager Auschwitz und andere NS-Konzentrationslager
(15.12.2021)



Der Förderverein Roma erinnert an den Auschwitz-Erlass vom 16.12.1942, an die Vernichtung von einer halben Million Roma und Sinti, an die Deportation in das Vernichtungslager Auschwitz und andere NS-Konzentrationslager

Im Schnellbrief vom 29. Januar 1943 erging die Anweisung auf Befehl des Reichsführers SS vom 16.12.42 Heinrich Himmler, dass Roma und Sinti ohne Rücksicht in das Vernichtungslager Auschwitz einzuweisen sind.
Die Vorstufe zur späteren Vernichtung wurde durch die Erfassung aller im deutschen Reich lebenden Roma und Sinti geschaffen. Robert Ritter, Leiter der „Rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes Berlin“ und seine enge Mitarbeiter Eva Justin waren hierfür maßgeblich verantwortlich. Ihre sogenannten „rassenbiologischen“ Untersuchungen registrierten minutiös über 20.000 Roma und Sinti. Sie leisteten damit die Voraussetzung für die spätere fabrikmäßige Vernichtung. Beide wurden nach 1945 von der Stadt Frankfurt am Main im Gesundheitsamt beschäftigt und sind für ihre Taten nie zur Rechenschaft gezogen worden. In einem Aufsatz über Roma im Juli 1943 führte Justin auf menschenverachtende Weise akribisch aus, was wenig später in dem industriell vollzogenen Massenmord an Roma und Sinti endete. Allein in der Nacht vom 2. auf den 3. August wurden über 4000 Roma und Sinti im Vernichtungslager Auschwitz vergast.
Die Opfer mussten teilweise bis in die 70iger Jahre auf Entschädigungen seitens deutscher Behörden warten. Zwischenzeitlich waren sie den Beleidigungen ihrer ehemaligen Verfolger, die weiterhin in Amt und Würden waren, ausgesetzt. Angehörige von Frankfurter Roma, die die Vernichtungslager der Nazis überlebt haben, beschreiben die Traumatisierung der Überlebenden und der Kindeskinder seit vielen Jahren. Die Berichte sind gekennzeichnet von Angst, Ignoranz und Gewalt, hervorgerufen durch das Verhalten der Mehrheitsgesellschaft und der Umkehrung von Täter in Opfer. Es wird verdeutlicht, dass der Alltag von Roma und Sinti nach wie vor von Diskriminierung gekennzeichnet ist. Subtil in Ämtern und Institutionen, aggressiv in der Öffentlichkeit und in den Medien.
Die Stimmung gegenüber Roma MigrantInnen und Flüchtlingen hat sich nicht geändert – sie war zu keinem Zeitpunkt von Verständnis und Solidarität seitens der Mehrheit geprägt. Gewalt, Vertreibung, die Akzeptanz von Verelendung als Disziplinierung und gleichzeitig als rassistischer Focus funktionieren ungebrochen. Gleich ob es sich um die wiederholte Räumung der ehemals bewohnten Brachen in Frankfurt, um die Missachtung der menschlichen Würde von Obdach- und mittellosen Menschen oder um die massenhafte Abschiebung von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien handelt.
Die Berichterstattung der unabhängigen Kommission zum Thema Antiziganimus für die Bundesregierung in 2021 stellt fest, „Die Befunde der Einstellungsforschung weisen bundesweit ein stabiles und hohes Niveau antiziganistischer Einstellungen in der Bevölkerung Deutschlands nach. Aufgrund der vorliegenden Befunde muss davon ausgegangen werden, dass die Diskriminierungsbereitschaft in der Bevölkerung Deutschlands gegenüber den Angehörigen der Communitys der Sinti_ze und Rom_nja und damit auch das Diskriminierungsrisiko für Sinti_ze und Rom_nja besonders hoch ist.“ Die repräsentative Autoritarismus-Studie aus Leipzig (2020) analysiert wiederholt die vorurteilsbeladene und teilweise rassistische Haltung der meisten Menschen. Die Mehrheit der Befragten äußert diese Einstellung. Sie möchte nichts mit Roma und Sinti zu tun haben und erklären qua Definitionsgewalt, dass die Betroffenen an ihrem Elend einzig und allein schuldig sind. So wundert es nicht, dass Menschen, die die Beratung und die Bildungsprojekte des Förderverein Roma aufsuchen, Angst vor Behördenkontakten haben, von Willkür und Diskriminierung in Ämtern und bei Polizeikontakten berichten.
Antiziganismus, der Rassismus gegenüber Roma und Sinti, wirkt ungebrochen. In Osteuropa bricht er sich gewaltvoll Bahn. Es sind zunehmend Pogrome und Überfälle mit Todesfolge zu verzeichnen. Ein Junge in Junge in Bulgarien wurde beim Holzsammeln erschossen. In der Slowakei starb eine Frau mit ihren vier Kindern beim Brand in einer Elendsbaracke. In Die Medienkommentare hierzu waren menschenverachtend. Ermittlungen wegen Verbrechen verlaufen oft systematisch im Sande. Verurteilungen haben Seltenheitswert und sind geprägt von Empathie – Empathie für die Täter. Aktuell ist in Tschechien ein Gerichtsverfahren anhängig, das die Zwangssterilisierung von Roma-Frauen seit den 1960 Jahren bis 2008 zum Gegenstand hat.
Die in Frankfurt bekannt gewordenen neonazistischen Aktivitäten von Polizeibeamten des 1. Reviers sind Anzeichen dafür, wie groß die Grauzone ist. Die Nachfragen des Förderverein Roma wegen den beiden Brandanschlägen im Jahr 2016 auf Roma wird regelhaft mit der Floskel keine neuen Erkenntnisse beantwortet werden. Das Monitoring Antiziganimus aus dem Jahr 2020 des Zentralrats der deutschen Sinti und Roma stellt fest: „Oft werden mögliche rassistische und speziell antiziganistische Motive in polizeilichen Ermittlungen ignoriert. Dies war auch in München 2016 der Fall, als ein 18-jähriger Schüler im Zuge eines Amoklaufes neun Menschen tötete. Unter den Opfern waren ein Sinto und zwei kosovarische Roma. Obwohl fast alle Opfer einen Minderheitenhintergrund hatten und die Staatsanwaltschaft und das LKA Bayern die rechtsextreme Gesinnung des Attentäters erkannten, wurde diese Tat zuerst nicht als rassistische Hasskriminalität eingestuft, weil der Täter sich in psychiatrischer Behandlung befand. Erst Anfang 2018 stufte das Landgericht München den Anschlag als rechtsextreme Tat ein, und erst im Oktober 2019 stellten dann auch die Ermittlungsbehörden und der bayrische Verfassungsschutz fest, dass es gerechtfertigt sein, von einer politischen, rechtsradikalen Motivation zu sprechen. Die Volksverhetzung ist eine der am häufigsten verübten Straftaten im Bereich Antiziganismus. Von 41 verübten antiziganistischen Delikten im Jahr 2017 waren 17 Straftaten der Volksverhetzung zuzuordnen.“
Juden, Roma und Sinti und Muslime nehmen in der Missachtungsskala Spitzenplätze ein. Das ist nicht neu. Neu ist auch nicht die kontinuierliche Ablehnung, die sich durch alle politischen Lager zieht und die ihre einflussreichste Anhängerschaft in der konservativen und reaktionären Mitte hat. Neu ist die nach oben offene Steigerungsrate.
Die beabsichtigte Zerstörung des zentralen Mahnmals an die Vernichtung der Roma und Sinti im Nationalsozialismus in Berlin spielt in diesem Zusammenhang aktuell eine bedeutende Rolle. Wegen dem geplanten Verlauf einer S-Bahn soll die Gedenkstätte verlegt werden. Ein Zeichen für die Ignoranz gegenüber dem Gedenken an den Völkermord an Roma und Sinti und ein alarmierender Vorgang, der Gleichgültigkeit demonstriert und Erinnerungslosigkeit schafft. Diese Kombination ist die Voraussetzung, dass sich Rassismus und Antisemitismus festigen und letztlich legitimiert werden. Die Kritik in der Roma und Sinti Gemeinde zu den Mordanschlägen in Hanau thematisierte dies und beklagte gleichzeitig die mangelnde öffentliche Aufmerksamkeit darüber, dass unter den zehn Toten auch drei Roma waren.
Die Corona-Pandemie hat die Situation erheblich verschärft. Die Unterkünfte für Obdachlose sind allzu oft auch eine Infektionsgefahr für die NutzerInnen. Roma, die auf der Straße leben müssen, sind mehr denn je Ausgrenzungen und Übergriffen ausgesetzt. Nach dem Prinzip der Marginalisierung funktionierte zu Beginn der Pandemie auch die Schuldzuschreibung gegenüber der Minderheit, begleitet von großflächigen Militär- und Polizeieinsätzen in den Ghettos europäischer Städte.
Angesichts des Gedenktags zum Auschwitzerlass klagt der Förderverein Roma die Achtung der Menschenrechte von Roma und Sinti ein und fordert umfassende Aktivitäten zur Verbesserung der Situation und zum Schutz der größten europäischen Minderheit.

Ffm. den 15.12.2021