Zwei Jahre rassistischer Anschlag in Hanau. Förderverein
Roma e.V. gedenkt der Opfer, fordert eine konsequente Aufklärung und ein
entschiedenes Vorgehen gegen rechtsextremistischen Terror
Am 19. Februar 2022 jährt sich der rassistische, menschenverachtende
Anschlag von Hanau zum zweiten Mal. Der Förderverein Roma e.V. gedenkt der
Opfer und ruft dazu auf, sich aktiv an den Mahnwachen und Demonstrationen
zu beteiligen. Der Anschlag von Hanau ist, so wie die Mordserie des NSU,
der Mord an Walter Lübcke und der Anschlag in Halle, das Ergebnis einer
jahrzehntelangen politisch bewussten Verharmlosung von Antisemitismus,
Antiziganismus, Rassismus und rechtem Terror in der Bundesrepublik
Deutschland.
Bei dem Anschlag wurden Mercedes Kierpacz, Kalojan
Velkov, Vili-Viorel Păun, Said Neser El Hashemi, Fatih Saracoglu, Sedat
Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtovic, Ferath Ünvar und die Mutter des
Täters ermordet.
Auch Angehörige aus der Minderheit der Roma waren
Opfer. Mercedes Kierpacz lebte in Hanau mit ihrer dreijährigen Tochter und
ihrem 17 Jahre alten Sohn. Als sie für die Kinder Pizza holen wollte,
wurde sie erschossen. Mercedes Kierpacz wurde 35 Jahre alt. Kaloyan Velkov
kam vor zwei Jahren aus Bulgarien nach Hanau. Er war Vater eines
siebenjährigen Sohnes und unterstützte mit seiner Arbeit die Familie in
Bulgarien. In der Bar, in der er gelegentlich aushalf, wurde er ermordet.
Kaloyan Velkov wurde 33 Jahre alt. Vili-Viorel Păun kam im Alter von 16
Jahren aus Rumänien nach Deutschland. Er arbeitete bei einer Kurierfirma.
Inzwischen gilt es als erwiesen, dass er den Täter aufhalten wollte.
Vili-Viorel Păun verfolgte den Täter und versuchte währenddessen
erfolglos, die Polizei zu alarmieren. Am zweiten Tatort in
Hanau-Kesselstadt wurde er vom Täter erschossen. Er war 22 Jahre alt.
Der Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags offenbart Lücken im
Tathergang und wirft Fragen hinsichtlich der demütigenden Vorgehensweise
der Polizei gegenüber den Angehörigen sowie dem Umstand, warum der Notruf
nicht entgegengenommen wurde, auf. Ein fehlendes Verständnis gegenüber den
Opfern offenbarte sich am Morgen nach der Tat, als die Polizei sich beim
Förderverein Roma meldete, weil sie Unruhen aufgrund angereister
Familienmitglieder befürchtete.
Der Förderverein Roma fordert, die
Hintergründe des Anschlags konsequent zu ermitteln und der Öffentlichkeit
darzulegen. Die Angehörigen der Opfer haben das Recht auf eine lückenlose
Aufklärung des Tathergangs, auf angemessene Unterstützung und einen
konsequenten Schutz vor rechtsextremer Gewalt.
Ffm. den 17.2.2022
Der Förderverein Roma weist auch auf die nachstehende
Pressemitteilung des Verbandes deutscher Sinti und Roma, Landesverband
Hessen und dessen Vorsitzenden Adam Strauß hin:
Gesellschaftliche Vorurteile haben tödliche Auswirkungen
Am 19. Februar 2020 erschoss ein Täter neun Menschen aus rassistischen
Motiven und schließlich seine Mutter und sich selbst. An diesem Tag
verloren Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes
Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar
und Kaloyan Velkov ihr Leben, weil sie nicht in sein Weltbild passten.
Das rassistische Weltbild des Täters ist nicht allein erklärbar mit
einer Radikalisierung in geschlossenen digitalen Gruppen. Vielmehr wurden
in den letzten Jahren antiziganistische, rassistische und antisemitische
Positionen immer salonfähiger. Die Anschlagsorte sind hierbei ein
Beispiel. In den Monaten bevor der Täter eine Shisha-Bar und eine
Sportsbar als Anschlagsorte aussuchte, wurde bundesweit Stimmung gemacht
gegen Shisha-Bars und migrantisch geprägte Orte als vermeintliche Orte von
Kriminalität. In der Arena-Bar war darüber hinaus der Notausgang
abgeschlossen. Überlebende berichten, dass dies bereits seit circa einem
Jahr der Fall und auch offiziell bekannt gewesen sei. Der verschlossene
Notausgang hätte in der Vergangenheit polizeiliche Razzien erleichtert.
„Kriminalität wird hier zu einer Eigenschaft von Minderheiten gemacht.
Kriminell, das sind in der Vorstellung immer ‚die Anderen‘. Dabei ist
egal, ob diese bereits seit Jahrhunderten in Deutschland leben oder
nicht.“, so Adam Strauß, Vorsitzender des Hessischen Landesverbandes
Deutscher Sinti und Roma. „Clan-Kriminalität, Bettel-Mafia und jüdische
Verschwörung sind kriminalisierende Bilder von Minderheiten, die auch
heute noch in der breiten Bevölkerung verankert sind und verheerende
Auswirkungen haben.“
Wie stark und welche Bilder verbreitet werden,
hängt von der gesellschaftlichen Situation ab. Während Corona sind
insbesondere Verschwörungstheorien, die die Verantwortung für die Pandemie
einer vermeintlich elitären Gruppe geben, besonders verbreitet und werden
jede Woche auf der Straße oder in Nachrichtendiensten verbreitet. Aber
auch andere Bilder bleiben aktuell:
„Ende letzten Jahres, im
Dezember 2021, veröffentlichte der Hessische Rundfunk eine
Fernsehreportage zu der Frage ‚Gibt es eine Bettelmafia?‘. Obwohl auch in
dieser betont wurde, dass es keine Statistiken oder konkreten Hinweise im
Rahmen polizeilicher Ermittlungen dazu gibt, wurde immer wieder das Bild
einer kriminellen Gruppe bedient, die bettelt, obwohl sie nicht bedürftig
ist und selbstverständlich nicht aus Deutschland, sondern Osteuropa
kommt.“, betont Adam Strauß. „Hierbei wird das alte Bild bedient, dass
unsere Menschen angeblich unehrlich und auf Kosten der Gesellschaft leben
würden. Ein Bild, das schlimme Folgen hat: so stimmten 2020 in der
sogenannten Leipziger Autoritarismus Studie 35% der Befragten der Aussage
zu, dass Sinti und Roma aus Innenstädten verbannt werden sollten und
vergessen dabei, dass wir normale Bürger dieses Landes sind und in eben
diesen Innenstädten wohnen, arbeiten und zur Schule gehen.“
Aber
selbst im Umgang der Polizei nach dem Anschlag zeigte sich der enorme
Einfluss dieses Bildes. So wurden Überlebende und Hinterbliebene von der
Polizei als potentielle „Gefährder“ angesprochen, dass sie sich nicht am
Vater des Täters rächen sollten. „Das ist absurd und ein Skandal! Hier
wurde Menschen, ohne Anlass Kriminalität und Aggressivität zugeschrieben,
die weiter in direkter Nähe des Vaters wohnen mussten und sich selbst
bedroht fühlten.“, empört sich Strauß.
„Dass ein Anschlag wie in
Hanau sich in Zukunft nicht wiederholt, ist eine gesellschaftliche
Aufgabe. Sie bedeutet auch, dass wir sensibler werden müssen für
gesellschaftlichen Rassismus, Antiziganismus und Antisemitismus und uns
ihm konsequent entgegenstellen.“
Am 19. Februar 2022 wird in vielen
deutschen und hessischen Städten der Ermordeten gedacht.
Auch am Darmstädter Karolinenplatz werden um 19.00 die Portraits der
Ermordeten im Rahmen einer Mahnwache gezeigt. Der
Landesverband beteiligt sich an dieser in Form eines Redebeitrages und
lädt alle Darmstädter*innen und Interessierten zu diesem gemeinsamen
Gedenken ein.
„Ein gesellschaftliches Gedenken ist wichtig, damit
wir die Menschen dahinter nicht vergessen, ebenso wie die Aufgabe und
Verantwortung, die sich der Gesellschaft dadurch stellt.“, so Adam Strauß
abschließend.
Darmstadt, den 14.2.2022
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