Pressemitteilung zum Welt-Roma-Tag am 08.04.2022



Sechs Wochen nach dem Überfall des russischen Militärs auf die Ukraine bestätigen sich alle Befürchtungen, die sich bereits wenige Tage nach Beginn der Invasion abzeichneten, bezüglich Diskriminierung und Ausgrenzung von geflüchteten Roma. Separation, Beleidigungen, Ignoranz, unterlassene Hilfeleistung, erschreckend typische rassistische Gewalt und Apartheid sind Gegenstand der Berichte von Betroffenen. Worum geht es konkret? Um die Verweigerung der Ausreise wegen fehlenden Papieren - etwa 20 % der in der Ukraine lebenden Roma haben keine notwendigen Dokumente. Es geht um ethnisch begründete benachteiligende Unterbringung - beispielsweise wurden Frauen und kleinen Kindern der Zugang zu Räumlichkeiten des Bahnhofs in Mannheim und Berlin verweigert – um fehlende Übersetzung, um die Verweigerung der Beförderung und es geht um vorsätzliche Körperverletzung, um Denunziation, um Zwangsinternierung und um die Vorenthaltung von Freizügigkeit.

Ein Teufelskreis bildet sich. Die erheblich erschwerte Ausreise und Segregation von Roma gegenüber der flüchtenden Mehrheit korrespondiert mit der Zunahme der Gewalt gegen die Minderheit in der Ukraine. Militär, paramilitärischen Gruppen und Teile der Bevölkerung instrumentalisieren im Krieg den Hass gegenüber Roma, mit dem diese seit Jahrhunderten dort wie in allen europäischen Ländern konfrontiert sind. Das Bild der Plünderer, Verräter und Kollaborateure wird reaktiviert, auch ein jüdischer Friedhof wurde geschändet. Unerwähnt bleibt die Erfahrung der Roma, Opfer der deutschen Wehrmacht im Vernichtungskrieg gewesen zu sein, unberücksichtigt bleibt ihr Widerstand gegen die Nazis, nicht beachtet wird die generative traumatische Erfahrung von Verfolgung und Genozid und ausgeblendet sind Pogrome und Selbstjustiz gegenüber Roma der letzten Jahre in der Ukraine.

Der Welt Roma Tag, der während der ersten internationalen Roma Konferenz 1971 in London beschlossen wurde, erinnert an die jahrhundertelange rassistische Ausgrenzung und die Vernichtung der europäischen Roma und Sinti im Nationalsozialismus. Er ruft gleichzeitig zum Engagement für die Menschen- und Bürgerrechte der Minderheit auf und thematisiert die fortdauernde Diskriminierung, insbesondere nach 1945. Eine Zäsur im Sinne der Betroffenen gab es nie. Erst 40 Jahr nach dem Menschheitsverbrechen wurde der Völkermord an Roma und Sinti anerkannt. Diejenigen, die sie in Konzentrations- und Vernichtungslager brachten - Ärzte, Juristen, Polizei und willfährige Helfer, die dafür nicht zur Rechenschaft gezogen wurden – verweigerten, hintertrieben oder verhinderten ihre Entschädigungsanträge. Ihnen wurde vielmehr unterstellt, sie seien für die Verbrechen selbst schuld. Heute noch gibt es in Osteuropa Opfer der NS-Herrschaft, die bisher keine Leistungen oder Zahlungen erhielten. Anlässlich des Welt Roma Tags hat der Förderverein Roma dem Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt vorgeschlagen, am 8.4.2022 die Fahne der Roma am Rathaus zu hissen; also an dem Ort, an dem sie vor sechshundert Jahren erstmals urkundlich erwähnt wurden.

Nach wie vor pflegen 60% der Mehrheitsbevölkerung in Deutschland ihre althergebrachten Vorurteile gegenüber Roma und Sinti. Nachbarn sollen sie nicht sein und in der Innenstadt hätten sie nichts zu suchen, dokumentieren aktuelle Untersuchungen unisono. Prägnante Ereignisse bestätigen das. Ein Kind wurde in Handschellen von der württembergischen Polizei mit dem Grund, ein Sinto zu sein, festgenommen und auf der Wache schikaniert. Neonazis greifen Wohnwagenplätze an und bedrohen die Bewohner an Leib und Leben.

Während der Pandemie werden durch die Behörden Roma in ihr Wohngebiet eingezäunt und die Ausgänge kontrolliert, zugleich werden grundsätzliche Hygienemaßnahmen missachtet. Schulische Exklusion in Form von überproportionaler Zuweisung in Förderschulen kennzeichnen Missstände im pädagogischen Regelbetrieb. Die Beleidigung auf dem Schulhof durch das Z-Wort ist erneut gängig. Eine norddeutsche Wohnungsgesellschaft verschleiert ihre interne Anweisung, nicht an Roma und Sinti zu vermieten.

Die Menschenrechtssituation vieler Bürgerkriegsflüchtlinge ist katastrophal. Ausweisungen in das ehemalige Jugoslawien sind an der Tagesordnung, entgegen aller Informationen über Verfolgung und rassistischen Morden an Roma, vielfach dokumentiert durch Verbände und Organisationen.

Die Situation von migrierten Roma in Frankfurt hat sich verschärft. Nachdem auf Grundlage einer Verabredung zwischen dem Förderverein Roma und dem Sozialdezernat vorübergehend am Bedarf der Betroffenen orientiert Hilfe geleistet wurde, kehrt sich die Verfahrensweise wieder ins Gegenteil. Restriktive Prüfungen, übergriffiges diskriminierendes Handeln, Versagung der Unterkunft und das Angebot zur Ausreise ins Herkunftsland als Lösung gegen das Elend gehören erneut zum Repertoire der ablehnenden Verwaltungspraxis. Es fehlt nach wie vor an angemessenem Wohnraum für Familien, Alleinstehende und Paare und an Projekten, wie dem „Haus für Roma“, das darüber hinaus Schutz vor rassistischer Ausgrenzung und Gewalt, die auch in Heimen und Notunterkünften präsent sind, bietet.

Die Stadtregierung hat im Koalitionsvertrag Mitte 2021 fixiert, dass die zugangsfreie Unterbringung in Wohnungen Vorrang hat und Gemeinschaftsunterkünfte keine Dauerlösung sind. Insbesondere im Hinblick auf Minderheiten wurde festgelegt, dass u. a. die Umsetzung von Konzepten gegen Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus gefördert werden, das Engagement des Förderverein Roma zur Unterbringung von wohnsitzlosen Menschen sowie die Sozialberatung und Jugendbildung unterstützt und ausgeweitet wird. Explizit heißt es, „um die oft desolate Wohnsituation zu verbessern, wollen wir prüfen, ob in Frankfurt nach Berliner Vorbild ein „Haus für Roma“ etabliert wird. Das lang geforderte Roma- und Sinti-Gemeinde- und Kulturzentrum für Frankfurt wollen wir vorantreiben“.

Angesichts eines hundert Milliarden Programms für den Verteidigungshaushalt steht zu befürchten, dass es neben der Refinanzierung der Coronaausgaben der letzten beiden Jahren zukünftig zu erheblichen Einschränkungen im Sozialetat kommen wird. Was mit politischem Willen und Empathie alles möglich ist, erfahren berechtigter Weise zurzeit viele Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Das Engagement, das Verständnis und die ihnen gewährte konkrete Hilfe ist im selben Maß auch den Menschen gegenüber zu leisten, die ausgegrenzt, wohnungslos, ohne Versorgung und krank sind; insbesondere wenn sie von Rassismus und Antisemitismus bedroht sind.

Ffm., den 6.4.2022