Sechs Wochen nach dem Überfall des russischen Militärs auf die Ukraine
bestätigen sich alle Befürchtungen, die sich bereits wenige Tage nach
Beginn der Invasion abzeichneten, bezüglich Diskriminierung und
Ausgrenzung von geflüchteten Roma. Separation, Beleidigungen, Ignoranz,
unterlassene Hilfeleistung, erschreckend typische rassistische Gewalt und
Apartheid sind Gegenstand der Berichte von Betroffenen. Worum geht es
konkret? Um die Verweigerung der Ausreise wegen fehlenden Papieren - etwa
20 % der in der Ukraine lebenden Roma haben keine notwendigen Dokumente.
Es geht um ethnisch begründete benachteiligende Unterbringung -
beispielsweise wurden Frauen und kleinen Kindern der Zugang zu
Räumlichkeiten des Bahnhofs in Mannheim und Berlin verweigert – um
fehlende Übersetzung, um die Verweigerung der Beförderung und es geht um
vorsätzliche Körperverletzung, um Denunziation, um Zwangsinternierung und
um die Vorenthaltung von Freizügigkeit.
Ein Teufelskreis bildet
sich. Die erheblich erschwerte Ausreise und Segregation von Roma gegenüber
der flüchtenden Mehrheit korrespondiert mit der Zunahme der Gewalt gegen
die Minderheit in der Ukraine. Militär, paramilitärischen Gruppen und
Teile der Bevölkerung instrumentalisieren im Krieg den Hass gegenüber
Roma, mit dem diese seit Jahrhunderten dort wie in allen europäischen
Ländern konfrontiert sind. Das Bild der Plünderer, Verräter und
Kollaborateure wird reaktiviert, auch ein jüdischer Friedhof wurde
geschändet. Unerwähnt bleibt die Erfahrung der Roma, Opfer der deutschen
Wehrmacht im Vernichtungskrieg gewesen zu sein, unberücksichtigt bleibt
ihr Widerstand gegen die Nazis, nicht beachtet wird die generative
traumatische Erfahrung von Verfolgung und Genozid und ausgeblendet sind
Pogrome und Selbstjustiz gegenüber Roma der letzten Jahre in der Ukraine.
Der Welt Roma Tag, der während der ersten internationalen Roma
Konferenz 1971 in London beschlossen wurde, erinnert an die
jahrhundertelange rassistische Ausgrenzung und die Vernichtung der
europäischen Roma und Sinti im Nationalsozialismus. Er ruft gleichzeitig
zum Engagement für die Menschen- und Bürgerrechte der Minderheit auf und
thematisiert die fortdauernde Diskriminierung, insbesondere nach 1945.
Eine Zäsur im Sinne der Betroffenen gab es nie. Erst 40 Jahr nach dem
Menschheitsverbrechen wurde der Völkermord an Roma und Sinti anerkannt.
Diejenigen, die sie in Konzentrations- und Vernichtungslager brachten -
Ärzte, Juristen, Polizei und willfährige Helfer, die dafür nicht zur
Rechenschaft gezogen wurden – verweigerten, hintertrieben oder
verhinderten ihre Entschädigungsanträge. Ihnen wurde vielmehr unterstellt,
sie seien für die Verbrechen selbst schuld. Heute noch gibt es in
Osteuropa Opfer der NS-Herrschaft, die bisher keine Leistungen oder
Zahlungen erhielten. Anlässlich des Welt Roma Tags hat der Förderverein
Roma dem Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt vorgeschlagen, am 8.4.2022
die Fahne der Roma am Rathaus zu hissen; also an dem Ort, an dem sie vor
sechshundert Jahren erstmals urkundlich erwähnt wurden.
Nach wie
vor pflegen 60% der Mehrheitsbevölkerung in Deutschland ihre
althergebrachten Vorurteile gegenüber Roma und Sinti. Nachbarn sollen sie
nicht sein und in der Innenstadt hätten sie nichts zu suchen,
dokumentieren aktuelle Untersuchungen unisono. Prägnante Ereignisse
bestätigen das. Ein Kind wurde in Handschellen von der württembergischen
Polizei mit dem Grund, ein Sinto zu sein, festgenommen und auf der Wache
schikaniert. Neonazis greifen Wohnwagenplätze an und bedrohen die Bewohner
an Leib und Leben.
Während der Pandemie werden durch die Behörden
Roma in ihr Wohngebiet eingezäunt und die Ausgänge kontrolliert, zugleich
werden grundsätzliche Hygienemaßnahmen missachtet. Schulische Exklusion in Form von überproportionaler
Zuweisung in Förderschulen kennzeichnen Missstände im pädagogischen
Regelbetrieb. Die Beleidigung auf dem Schulhof durch das Z-Wort ist erneut
gängig. Eine norddeutsche Wohnungsgesellschaft verschleiert ihre interne
Anweisung, nicht an Roma und Sinti zu vermieten.
Die
Menschenrechtssituation vieler Bürgerkriegsflüchtlinge ist katastrophal.
Ausweisungen in das ehemalige Jugoslawien sind an der Tagesordnung,
entgegen aller Informationen über Verfolgung und rassistischen Morden an
Roma, vielfach dokumentiert durch Verbände und Organisationen.
Die
Situation von migrierten Roma in Frankfurt hat sich verschärft. Nachdem
auf Grundlage einer Verabredung zwischen dem Förderverein Roma und dem
Sozialdezernat vorübergehend am Bedarf der Betroffenen orientiert Hilfe
geleistet wurde, kehrt sich die Verfahrensweise wieder ins Gegenteil.
Restriktive Prüfungen, übergriffiges diskriminierendes Handeln, Versagung
der Unterkunft und das Angebot zur Ausreise ins Herkunftsland als Lösung
gegen das Elend gehören erneut zum Repertoire der ablehnenden
Verwaltungspraxis. Es fehlt nach wie vor an angemessenem Wohnraum für
Familien, Alleinstehende und Paare und an Projekten, wie dem „Haus für
Roma“, das darüber hinaus Schutz vor rassistischer Ausgrenzung und Gewalt,
die auch in Heimen und Notunterkünften präsent sind, bietet.
Die
Stadtregierung hat im Koalitionsvertrag Mitte 2021 fixiert, dass die
zugangsfreie Unterbringung in Wohnungen Vorrang hat und
Gemeinschaftsunterkünfte keine Dauerlösung sind. Insbesondere im Hinblick
auf Minderheiten wurde festgelegt, dass u. a. die Umsetzung von Konzepten
gegen Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus gefördert werden, das
Engagement des Förderverein Roma zur Unterbringung von wohnsitzlosen
Menschen sowie die Sozialberatung und Jugendbildung unterstützt und
ausgeweitet wird. Explizit heißt es, „um die oft desolate Wohnsituation zu
verbessern, wollen wir prüfen, ob in Frankfurt nach Berliner Vorbild ein
„Haus für Roma“ etabliert wird. Das lang geforderte Roma- und
Sinti-Gemeinde- und Kulturzentrum für Frankfurt wollen wir vorantreiben“.
Angesichts eines hundert Milliarden Programms für den
Verteidigungshaushalt steht zu befürchten, dass es neben der
Refinanzierung der Coronaausgaben der letzten beiden Jahren zukünftig zu
erheblichen Einschränkungen im Sozialetat kommen wird. Was mit politischem
Willen und Empathie alles möglich ist, erfahren berechtigter Weise zurzeit
viele Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Das Engagement, das Verständnis
und die ihnen gewährte konkrete Hilfe ist im selben Maß auch den Menschen
gegenüber zu leisten, die ausgegrenzt, wohnungslos, ohne Versorgung und
krank sind; insbesondere wenn sie von Rassismus und Antisemitismus bedroht
sind.
Ffm., den 6.4.2022
|