Pressemitteilung: 4. Jahrestag des rassistischen Anschlags in Hanau am 19.02.2020
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In Hanau wurden am 19.02.2020 neun Menschen, Mercedes Kierpacz, Vili Viorel Paun, Kaloyan Velkov, Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Hamza Kurtovic, Fatih Saracoglu und Ferhat Unvar aus rassistischen Gründen ermordet – anschließend erschoss der aus Hanau stammende Tobias R. seine Mutter und sich selbst. Mercedes Kierpacz war eine junge deutsche Romni, sie hinterlässt zwei Kinder und ihren Mann, Kaloyan Velkov war Rom aus Bulgarien und Vili Viorel Paun Rom aus Rumänien. Er verfolgte vor seinem Tod den Täter. Ihm gelang es nicht, die Polizei zu verständigen, da der Notruf nicht angenommen wurde.
Die Kontinuität von tödlichem Hass, Denunziation und Ignoranz verdeutlicht sich in der Familiengeschichte der ermordeten Romni. Filip Gomans Großvater wurde in Auschwitz vergast. Sein Vater und er haben sich vergeblich für Anerkennung und Respekt gegenüber der Minderheit engagiert – das wurde nicht nur behördlich, sondern auch gesellschaftlich verweigert. Vor vier Jahren hat Filip Gomann seine Tochter Mercedes Kierpacz verloren - durch Schüsse eines Neonazis in Hanau.
Trotz Untersuchungsausschuss gibt es noch Fragen der Angehörigen. Die Drohungen des Täters wurden nicht ernst genommen, die Fluchttür an einem Tatort war verschlossen, die Polizei traf zu spät ein, handelte unkoordiniert und ging völlig unsensibel gegenüber den Angehörigen vor. Auch die Frage nach einer finanziellen Entschädigung ist weiterhin offen.
Tobias R. bekundete und begründete über Video und Bekennerschreiben seine rechtsextreme und neonazistische Gesinnung. Die Tat war vorhersehbar. Nicht allein, weil das militante rechtsextreme Umfeld immer brutaler agiert, wie beispielsweise bei den Anschlägen in Halle, Kassel und München, sondern auch, weil sich seit Jahren die tödlichen Hasstiraden nachdrücklich in der sogenannten bürgerlichen Mitte und letztlich in der Mehrheit der Gesellschaft etablieren. Es bleibt nicht ohne Folgen, wenn Minderheiten, insbesondere Roma und Sinti, Geflüchtete und MigrantInnen bedroht und diskriminiert werden, ohne dass dies nennenswerte Konsequenzen für die gutorganisierten Denunzianten nach sich zieht.
Die aktuellen Demonstrationen gegen die AfD und deren groß angelegten Abschiebungspläne thematisieren einen Teil des Problems. Es sollte nicht vergessen werden, dass die Ausweisung in unmenschliche Lebensumstände, die Einschränkung grundgesetzlicher Rechte, die Verwehrung des Schutzes von Minderheiten, insbesondere von Roma und Sinti, die Praxis regierender bürgerlicher Parteien ist. Sie gleichen sich in ihrer politischen Programmatik dem rechten Rand an. Verbindungen zu reaktionären, neonazistischen Kreisen sind nicht erst seit der Potsdamer Konferenz Gegenstand von Kritik.
Der Förderverein Roma hat in Kooperation mit dem hessischen Landesverband der deutschen Sinti und Roma die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) eingerichtet. Die umfängliche Dokumentation von rassistischen Vorfällen und die Ahndung der Täter ist ihre Aufgabe. Wie wichtig MIA ist, veranschaulicht gegenwärtig die Arbeit von RIAS, der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus. Vor dem Hintergrund des Massakers durch die Hamas am 7. Oktober 2023 hat sie eine existentielle Aufgabe: sie beschreibt und veröffentlicht den rasanten Anstieg von antisemitischen Vorfällen, sichert Beistand und fordert gesellschaftliches Engagement und Widerstand gegen die organisierte Unmenschlichkeit. Der Förderverein Roma setzt sich in seinen Aktivitäten gegen Rassismus und für die Rechte von Roma-MigrantInnen ein, sie sind aufgrund ihres oft prekären sozialen Status mehr denn je verletzlich und schutzbedürftig.
Ffm., den 16.02.2024