Gloss-ip: Endstation Rampe. Wie die Deutsche Bahn das Gedenken untertunnelt (25.03.2025)



Wenn die gemeinsame Pressemitteilung der Deutschen Bahn, des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma und der Berliner Senatsverwaltung für Verkehr proklamiert:
"Weiterbau S 21: Weiter größtmöglicher Schutz für Denkmal für Sinti und Roma“,
dann ist das mit dem „Weiter“ sicherlich - hoffentlich - ironisch gemeint.
Denn die Bahn plante zunächst das Denkmal für die Zeit der Bauarbeiten zu sperren und abzubauen. Erst nach Protest der Verbände und des Künstlers Dani Karavan kam es zum "Dialog“.

Was jetzt "größtmöglicher Schutz“ sein soll, bleibt unklar und ist schon gar nicht überprüfbar. Diese Presseerklärung verbreitet wishful thinking und hat die Absicht den Konflikt um den Erhalt des Mahnmals zu beenden um jetzt zügig ins Planfeststellungsverfahren zu gehen.

Dennoch, der Bau des S-Bahntunnels unter dem Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas findet – so die Berliner Abendzeitung - auf "heiklem Terrain" statt: In den Fokus gerät die Rolle der Bahn bei der Ermordung der europäischen Juden, der Roma und Sinti und zugleich wird das Gedenken der Community, das an diesem Mahnmal einen Ort zum trauern gefunden hat, respektlos und re-traumatisierend beschädigt.

Ansonsten ist die Formulierung in der Pressemitteilung von irritierendem Paternalismus: FÜR das Denkmal und FÜR Sinti und Roma wird gehandelt. Nicht etwa die Bahn oder die Stadt Berlin haben ein Interesse, ein Herzensbedürfnis sich an die deutschen Verbrechen zu erinnern und an dem Mahnmal innezuhalten und es zu bewahren.

Terminus - Rampe

„Das kostbarste aller Güter“ ist ein Film im Stil einer Grafik Novel, nach einem gleichnamigen Kinderbuch.
Er beginnt in einem Deportationszug von Frankreich nach Auschwitz. Ein Familienvater wirft verzweifelt eines seiner Kinder in der Nähe des Vernichtungslagers aus dem Zug in den Schnee. Eine Holzfällerfrau, die am Waldrand den Zug beobachtet, nimmt das Baby mit. Sie lebt mit ihrem Mann direkt an der Bahnstrecke in unmittelbarer Nähe des Todeslagers Auschwitz.
Der Rhythmus dieses Films wird von dem unheilvollen und gewaltsamen Vorbeidröhnen der Deportationszüge bestimmt.
Auch das ikonische Bild von Auschwitz zeigt die Gleise, die durch das Tor des Vernichtungslagers mit der Aufschrift "Arbeit macht frei" führen - direkt bis an die Rampe.

Ohne die Reichsbahn, deren Nachfolgerin die DB ist, ohne die vorzügliche Organisation, die tüchtigen Eisenbahner wäre die Deportation der Menschen aus ganz Europa in Vernichtung und Zwangsarbeit nicht möglich gewesen: sie erstellten die Fahrpläne und Schichtpläne, rechneten die Kosten für die Transporte ab, erweiterten die Strecken im Osten, hielten die Gleise in Schuss - an deren Trassen die Zwangsarbeiter schufteten - und die Waggons rollten direkt an die Rampen der Vernichtungslager.

Auschwitz – Belcec – Maidanek – Sobibor – Treblinka

Die Amtsinhaber und Techniker der Reichsbahn arbeiteten unablässig daran, die Leistungsmöglichkeiten für alle vom Deutschen Reich geplanten Transporte zu steigern und bis zuletzt fanden sie in diesen Bemühungen ihr eigentliches Lebensziel.
In ihren Händen wurde die Eisenbahn eine organische Struktur, die gemeinsam mit der Wehrmacht, der Industrie oder der SS handelte. Die Reichsbahn fand sich nicht am Rande der Ereignisse, sondern im Kernpunkt des Geschehens, bilanziert Raul Hilberg in "Sonderzüge nach Auschwitz".

Mehr als fünf Millionen Juden, 500 000 Sinti und Roma fanden in den Ghettos, den Erschießungsgruben und Gaskammern den Tod. Zwischen Oktober 1941 und Oktober 1944, also in einer Zeitspanne von nur drei Jahren, beförderte die Reichsbahn mehr als die Hälfte dieser Menschen in die Vernichtungslager. Trotz aller Probleme und Verzögerungen blieb in der ganzen Zeit kein einziger Jude*, kein einziger Rom* wegen Transportschwierigkeiten am Leben (Hilberg). In den verplombten Güterwagen der Bahn, tagelang ohne Wasser und Verpflegung, ohne Luft zum Atmen zusammengepfercht - um eine effiziente Auslastung zu ermöglichen - starben Tausende der Deportierten in den Waggons, an den Gleisen, auf den Bahnhöfen, in der "Obhut" der Reichsbahn. Der damalige Bahnhofsvorsteher von Bialystok, Hans Pitsch erklärte: "Über die auf meinen Bahngelände gefundenen Leichen habe ich ordnungsgemäß Aktenvorgänge angelegt." (Hilberg)

Nach 1945 befanden sich unter den Hunderten Angeklagten der Nürnberger Prozesse – SS-Offiziere, Generäle, Bankiers, Staatsbeamte, Diplomaten und Ärzte – kein einziger Eisenbahner. (Hilberg)
Obwohl Staatsanwaltschaften Ermittlungen bei den deutschen Eisenbahnern anstellten, fand kein einziger Prozess vor deutschen Gerichten statt.
Der einzige Fall, in dem Anklage wegen seiner "Beteiligung am Abtransport der Juden in die Vernichtungslager" erhoben wurde, betraf den damaligen Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium und stellvertretenden Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn Dr. Alfred Ganzenmüller.
Zu Beginn des Prozesses hatte der Angeklagte einen Herzinfarkt - wegen Verhandlungsunfähigkeit fand dieser Prozess nicht mehr statt. (siehe bei Hilberg, im Vorwort Adalbert Rückerl)
Ein Richter stellte im Treblinkaprozess fest: "Der Gedächtnisschwund bei der Bundesbahn ist in der Tat phänomenal!"

Für sehr lange Zeit lief der Betrieb ruhig. Bei der Kontinuität im Personalwesen z.B. bei Beförderungen und Pensionierungen des erprobten Personals, dem Eigenlob über den technischen Fortschritt und der Effizienz des deutschen Eisenbahnwesens (Museum in Nürnberg) fand nichts Störendes statt - außer natürlich die Zurückweisung von Entschädigungsforderungen.
Nur selten geriet die Deutsche Bahn unter Druck: in den 90er Jahren, als sich Vorstand Mehdorn zunächst weigerte, die von Beate Klarsfeld konzipierte Ausstellung über die 10.000 deportierten jüdischen Kinder aus Frankreich durch die Reichsbahn während der NS-Zeit auf deutschen Bahnhöfen zu zeigen.

Untertunnelung des Gedenkens

Ansonsten ist der Bahnvorstand (Richard Lutz) Mitglied im "Freundeskreis Yad Vashem" und schreibt in einem Beitrag bei "Deutsche Bahn" solche Stehsätze: "Das Gedenken an die Opfer lebendig halten" oder "Haltung muss sich im Tun widerspiegeln". Dass dies reine Floskeln sind zeigt sich in "Haltung" und "Tun" der Bahn, den S-Bahntunnel unter dem "Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas" durchzuplanen und zu bauen.
Ist das Beschädigen eines Mahnmals und das Zerstören des Ensembles des Gedenkortes von Dani Karavan etwa gemeint mit der Aussage, "Das Gedenken an die Opfer lebendig halten"?
Die Toten von Auschwitz haben kein Grab und die Monstrosität des Verbrechens ist unverjährbar. Das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas wurde quälende 68 Jahre nach der Vernichtung in Berlin durchgesetzt, um 12 Jahre später im Prozess dieser gerühmten deutsch-meisterlichen "Erinnerungskultur" unter die Räder zu geraten – im tatsächlichen Sinne des Wortes.